European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00125.19Z.0115.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen. Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird zurückgewiesen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der unter anderem nach § 207 Abs 3 erster Fall StGB beurteilten Tat zu I. (§ 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB) und II. (§ 212 Abs 1 Z 2 StGB) sowie demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:
Gerhard P***** hat außer den ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruchs zur Last liegenden strafbaren Handlungen ein Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl 1998/153 und ein Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 2006/56 begangen.
Er wird hierfür und für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich jeweils eine unbestimmte Anzahl von Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, von Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB und von Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207 Abs 1 Z 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 207 Abs 3 StGB idF BGBl I 1998/153 zu einer Freiheitsstrafe von
f ü n f J a h r e n
verurteilt.
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerhard P***** eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und einer jeweils unbestimmten Anzahl von Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./) sowie von Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (III./) schuldig erkannt.
Danach hat er in A***** in wiederholten Angriffen zum Nachteil der am 23. Juli 1993 geborenen L***** D*****, der Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin,
I./ von 2000 bis 23. Juli 2007 außer dem Fall des § 206 Abs 1 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person unternommen, indem er sie in vielfachen Angriffen an der unbekleideten Brust und Scheide betastete, streichelte und massierte, sie aufforderte, seinen Penis zu berühren und zu streicheln und vor ihr masturbierte, „wobei in einem Fall die Tat eine schwere Körperverletzung der L***** D*****, nämlich eine ausgeprägte Essstörung in Form einer Magersucht (Anorexia nervosa ICD‑10: F50.0) und eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD‑10: F62.0) zur Folge hatte“;
II./ von 2000 bis 23. Juli 2011 mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung dieser Stellung geschlechtliche Handlungen vorgenommen und vornehmen lassen, um sich geschlechtlich zu befriedigen, nämlich durch die zu Punkt I./ genannten Handlungen und nach dem 23. Juli 2007 darüber hinaus, indem er sie aufforderte, sich vor ihm und vor laufender Kamera durch Einführen ihres Fingers und von Gegenständen selbst zu befriedigen;
III./ zwischen dem 23. Juli 2007 und dem 23. Juli 2011 pornographische Darstellungen mündiger Minderjähriger und zwar wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien oder der Schamgegend, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, sowie wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen einer mündigen minderjährigen Person an sich selbst hergestellt, indem er von der Genannten Nacktfotos anfertigte und sie aufforderte, sich vor laufender Kamera selbst zu befriedigen (vgl US 7).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 4 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Mit der Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert der Rechtsmittelwerber die Abweisung seiner in der Hauptverhandlung am 2. Juli 2019 gestellten Anträge auf Vernehmung von
Weiters stellte er den Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis seiner Glaubwürdigkeit und gleichfalls dafür, dass er „weder pädophile Züge und/oder Neigungen hat und sich auch nicht zu jüngeren Mädchen sexuell hingezogen fühlt“ (ON 39 S 89 f).
Durch die Abweisung dieser Anträge (ON 39 S 91 f) wurden Verteidigungsrechte nicht geschmälert:
Da eine pädophile Neigung weder eine Tatbestandsvoraussetzung der inkriminierten Straftaten darstellt noch deren (Nicht‑)Vorliegen Aufschluss über die Täterschaft zulässt, betrifft das Beweisthema keinen für die Entscheidung erheblichen Umstand; der Antrag lief so im Ergebnis auf eine – unzulässige – Erkundungsbeweisführung hinaus (15 Os 141/02; 13 Os 40/06s). Inwiefern die Zeugen unmittelbare eigene Wahrnehmungen dazu haben könnten, dass sich der Angeklagte nicht zu jüngeren Mädchen sexuell hingezogen fühlt, ließ der Antrag nicht erkennen (RIS‑Justiz RS0097540).
Die Untersuchung mit einem Lügendetektor verletzt die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung und ist daher – ohne Rücksicht auf das Einverständnis des Angeklagten – unzulässig (RIS‑Justiz RS0098187; RS0112719; Michel‑Kwapinski, WK‑StPO § 166 Rz 26). Das gilt dementsprechend für einen Bericht über dessen Anwendung.
Schließlich obliegt auch die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten grundsätzlich dem erkennenden Gericht im Rahmen der ihm zukommenden freien Beweiswürdigung (§§ 14, 258 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0097733). Eine Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt insoweit nur in Ausnahmefällen, etwa bei erheblichen Bedenken gegen die allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit, in Betracht (RIS‑Justiz RS0120634; RS0097576). Konkrete Anhaltspunkte, die eine gutachterliche Beurteilung erforderlich scheinen lassen, hat der Antrag aber nicht angegeben.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet unter Verweis auf eine Passage in den beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts, wonach die beim Tatopfer aufgetretenen Gesundheitsschädigungen „mit großer Wahrscheinlichkeit“ in Folge des jahrelangen Missbrauchs und der umfassenden Manipulationen entstanden sind (US 17), die Feststellungen des Erstgerichts seien nicht geeignet, die Annahme der Qualifikation des § 207 Abs 3 erster Fall StGB zu tragen. Sie geht dabei aber nicht – wie dies bei Geltendmachung materiell-rechtlicher Nichtigkeit notwendig ist (RIS‑Justiz RS0099810) – vom gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt aus. Aus diesem ergibt sich nämlich zweifelsfrei der Wille der Tatrichter, zu konstatieren, dass die inkriminierten Handlungen des Angeklagten kausal für die beim Tatopfer aufgetretenen Gesundheitsschädigungen waren (US 1 f, 9; vgl auch US 22: „… mitkausal für die schwere Körperverletzung, sodass die Ursächlichkeit des Täterverhaltens für den Erfolg … gegeben ist.“).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen und die im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§§ 280, 283 Abs 1 StPO) zurückzuweisen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aber davon, dass den Schuldsprüchen I./ und II./ ein von Amts wegen wahrzunehmender, vom Beschwerdeführer selbst nicht geltend gemachter, ihm aber zum Nachteil gereichender Rechtsfehler anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO):
Das Erstgericht ging zu I./ hinsichtlich einer Tat von einem qualifizierten Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idgF aus, verbunden mit einem Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe. Nach dem zur Tatzeit (im Bereich 2000 bis 23. Juli 2007) geltenden § 207 Abs 3 StGB idF BGBl I 1998/153 betrug die Strafdrohung allerdings bloß ein bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Somit erweist sich das Tatzeitrecht als günstiger als das vom Erstgericht angewendete Urteilszeitrecht (§§ 1, 61 StGB). Aufgrund des Verbots der Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten im Fall der Idealkonkurrenz (RIS‑Justiz RS0119085 [T4, T5]) ist demgemäß auch die vom Erstgericht vorgenommene Unterstellung der betreffenden Tat unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (II./) verfehlt.
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war somit in der Subsumtion jener Tat zu I./ und II./ aufzuheben und es war insoweit wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.
Bei der dadurch erforderlichen Strafneubemessung waren als erschwerend das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen und Vergehen, der lange Tatzeitraum, das geringe Alter des Opfers zu Beginn der Tathandlungen sowie der Missbrauch einer Autoritätsstellung zu III./ (§ 33 Abs 2 Z 3 StGB), als mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel und das längere Zurückliegen der Taten zu werten.
Bei Abwägung dieser Strafzumessungsgründe und unter Gewichtung der Dauer und besonderen Schwere der Tatfolgen war die aus dem Spruch ersichtliche, dem Unrecht der Tat und der Schuld des Angeklagten angemessene Strafe zu verhängen.
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Das Erstgericht verpflichtete den Angeklagten, der Privatbeteiligten L***** D***** einen Betrag von 10.000 Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Entgegen dem Vorbringen der dagegen gerichteten Berufung wurde der Angeklagte zu den privatrechtlichen Ansprüchen des Tatopfers gehört (ON 39 S 85; § 245 Abs 1a StPO).
Mit Blick auf die Vielzahl der Tathandlungen über einen langen Zeitraum und die mit dem Missbrauch einhergehende psychische Belastung des Tatopfers ist auch die Höhe des vom Erstgericht in freier Überzeugung (§ 369 Abs 2 StPO; § 273 ZPO) zuerkannten Betrags nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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