OGH 15Os125/15v

OGH15Os125/15v9.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Kristina K***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 23. April 2015, GZ 605 Hv 13/13m‑113, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kristina K***** von der wider sie erhobenen Anklage, sie habe ‑ zusammengefasst und soweit im gegenständlichen Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant ‑

I./ von 1. Juni 2009 bis Anfang Juni 2012 eine längere Zeit hindurch gegen ihren am 18. Dezember 2003 geborenen Sohn Luka F***** und ihre am 5. März 2002 geborene Tochter Klara F***** fortgesetzt und länger als ein Jahr Gewalt ausgeübt, indem sie die Genannten ohrfeigte, zwickte, am Ohr packte, ins Badezimmer zog, die Tür versperrte und dann mit einem Ledergürtel oder einem dünnen Stock oder Ast auf deren Rücken, Gesäß oder Beine schlug, wodurch die Unmündigen Hämatome, Striemen und Rötungen erlitten, und zwar

1./ von 1. Juni 2009 bis 2. Jänner 2012 in S***** mehrmals pro Woche;

2./ von Anfang Februar bis Anfang Juni 2012 in G***** zirka einmal pro Woche;

II./ von Anfang 2008 bis Juni 2012 in S***** und andernorts ihren unmündigen Kindern Luka F***** und Klara F***** die persönliche Freiheit entzogen, indem sie die Genannten regelmäßig bis zu einmal pro Woche bis zu einer Stunde lang im Haus oder in der Wohnung einsperrte und wegging, sodass die Unmündigen das Haus oder die Wohnung nicht verlassen konnten;

III./1./ von Anfang 2006 bis 31. Mai 2009 in S***** Luka F***** und Klara F***** regelmäßig am Körper verletzt, indem sie die Genannten zwickte, am Ohr packte, ins Badezimmer zog, die Tür versperrte und dann mit einem Ledergürtel oder einem dünnen Stock oder Ast auf deren Rücken, Gesäß oder Beine schlug, wodurch die Unmündigen Hämatome, Striemen und Rötungen erlitten;

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die (nur) gegen den Freispruch von diesen Anklagevorwürfen gerichtete, aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffene und eine Verurteilung nach den Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB (I./) sowie den Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (II./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./1./) anstrebende Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt ihr Ziel.

Zu I./ und III./1./:

Der Beantwortung der Nichtigkeitsbeschwerde ist voranzustellen, dass das Erstgericht zu I./ Feststellungen zu zwei Vorfällen traf, wonach die Angeklagte ihrer Tochter Klara F***** einerseits im September 2009 „einige Male mit der flachen Hand auf den Popo schlug“, und ihr andererseits im Frühling 2010 „eine leichte Ohrfeige auf die Wange“ gab, wobei nicht festgestellt werden könne, dass die Angeklagte es zumindest ernstlich für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe, „Klara ernsthaft weh zu tun, geschweige denn zu verletzen“ (US 12 f). Im Übrigen konstatierte das Erstgericht zu I./ und III./1./, es könne nicht festgestellt werden, „dass die Angeklagte im Zeitraum Anfang 2006 bis Juni 2012 gegen Luka und Klara, abgesehen von den bereits geschilderten Vorfällen, Gewalt ausübte, indem sie die Genannten ohrfeigte, zwickte, am Ohr packte, ins Badezimmer zog, die Tür versperrte und dann mit einem Ledergürtel oder einem dünnen Stock bzw. Ast auf deren Rücken, Gesäß oder Beine schlug“ (US 14). Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu I./ und III./1./ traf das Erstgericht nicht.

Die Beschwerde (Z 5 zweiter und vierter Fall) rügt die Begründung der Negativfeststellungen zur objektiven Tatseite als unvollständig und offenbar unzureichend, setzt sich mit einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen auseinander, die das Erstgericht aus Sicht der Anklagebehörde bei der ‑ den Konstatierungen zur objektiven Tatseite zugrunde liegenden ‑ Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen habe und bezeichnet mehrere Passagen der ‑ diese Konstatierungen betreffenden ‑ Beweiswürdigung als „völlig lebensfremd“, willkürlich, außerhalb der Lebenserfahrung und als bloße Scheinbegründungen.

Damit spricht sie ‑ ohne dass es einer inhaltlichen Prüfung der einzelnen Argumente bedarf ‑ mit Blick auf das nicht in Kritik gezogene Fehlen von (positiven) Feststellungen zur (jeweils) subjektiven Tatseite von vornherein keine entscheidenden Tatsachen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0117264; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 399) an, schließt doch der unbekämpfte Mangel dieser Feststellungen den von der Beschwerdeführerin angestrebten Schuldspruch nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB (I./) und nach § 83 Abs 1 StGB (III./1./) jedenfalls aus (zur subjektiven Tatseite des § 107b StGB vgl 13 Os 71/12h, 72/12f und Winkler SbgK § 107b Rz 38, 114).

Bleibt daher im Übrigen die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Erinnerung zu rufen, dass es für den Erfolg einer gegen einen Freispruch erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde erforderlich ist, nicht nur zu (sämtlichen) verneinten oder der angestrebten Subsumtion entgegenstehenden Tatbestandselementen (erfolgreich) einen Begründungsmangel geltend zu machen, sondern auch hinsichtlich jener Tatbestandsmerkmale, zu denen das Urteil keine Konstatierungen enthält, unter Berufung auf derartige Feststellungen indizierende und in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse einen Feststellungs-mangel (Z 9 lit a) ‑ fehlen dafür nötige Indizien, bedarf es der Geltendmachung darauf bezogener Anträge aus Z 4 ‑ mit Erfolg zu reklamieren (vgl RIS‑Justiz RS0127315, RS0118580 [T17 und T20]).

Zu II./:

Nach den Konstatierungen des Erstgerichts kann nicht festgestellt werden, „dass die Angeklagte Luka und Klara im Zeitraum Anfang 2008 bis Juni 2012 die persönliche Freiheit entzog, indem sie die Kinder in der Wohnung bzw. dem Haus einsperrte und wegging“. Ebensowenig könne festgestellt werden, „dass die Angeklagte es ernstlich für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, den Kindern Luka und Klara durch diese kurzen Abwesenheiten die persönliche Freiheit zu entziehen“ (US 15).

Dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider konnte das Erstgericht unberücksichtigt lassen, dass auf jenem Zettel, auf dem die Telefonnummern der Angeklagten und des Kindsvaters vermerkt waren, auch notiert gewesen sein soll: „Brav sein, wenn Ihr aufsteht ruft mich an. Mami“, spricht doch dieses Verfahrensergebnis nicht gegen die Annahmen des Schöffengerichts, es könne nicht festgestellt werden, „dass die Hauseingangstüre und auch Wohnungseingangstüre versperrt wurden“, und die Kinder hätten sowohl die Wohnung als auch das Haus verlassen können (US 15; vgl RIS‑Justiz RS0118316).

Mit den Angaben des Zeugen Zeljko F***** zur Frage, wie schwer die Terrassentür zu öffnen gewesen war, hat sich das Schöffengericht - der weiteren Beschwerde zuwider - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechend (RIS-Justiz RS0098377 [T1, T7, T17, T20]) ebenso befasst wie mit der den Angaben der Angeklagten widersprechenden Aussage des Zeugen Luka F***** (US 31).

Soweit die Beschwerde behauptet, die Argumentation des Erstgerichts ‑ wonach allgemein bekannt sei, dass Türen jeglicher Art für Kinder im Volksschulalter kein Hindernis seien und von diesen jederzeit geöffnet werden können, zumal gerade Türen und Öffnungsmechanismen eine besondere Faszination auf kleine Kinder ausüben würden (US 31) ‑ erweise sich als „außerhalb jeder Lebenserfahrung“, weil dies auf herkömmliche Wohnungstüren, nicht jedoch auf Terrassentüren zutreffe, die selbst von Erwachsenen nicht immer auf Anhieb geöffnet werden könnten, und es Kindern an ausreichender Kraft und Geschicklichkeit mangle, zeigt sie keine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) auf (RIS-Justiz RS0118317), sondern übt in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik.

Wenngleich sich ein Eingehen auf die gegen die Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite gerichteten Beschwerdeeinwände mit Blick auf die erfolglose Bekämpfung der ‑ einer Verurteilung nach § 99 Abs 1 StGB somit entgegenstehenden ‑ Konstatierungen zur objektiven Tatseite erübrigt, bleibt anzumerken, dass mit dem pauschalen Einwand, dass das Schöffengericht „weder unter Würdigung sämtlicher Beweismittel, noch denklogisch zu begründen vermochte, warum es den Angaben von Luka und Klara F***** keinen Glauben schenkt und nicht feststellen kann, (...) dass die Angeklagte es ernsthaft für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe, den Kindern Luka und Klara durch Abwesenheiten die persönliche Freiheit zu entziehen“, kein Begründungsdefizit (Z 5) in Betreff der Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite aufgezeigt, sondern neuerlich nur die tatrichterliche Beweiswürdigung kritisiert wird.

Die ‑ auch zu I./ und III./1./ ‑ offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO). Der Anordnung eines Gerichtstags bedurfte es demnach nicht (vgl hingegen 17 Os 45/14t; Ratz , WK‑StPO § 285d Rz 8/2 und § 288 Rz 1).

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