Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gregor R***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (1.) und der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt.
Danach hat er am 12. März 2002 in Klagenfurt Oana Mihaela A***** (nunmehr R*****
1. durch einen Kniestoß gegen den Kopf, einen Faustschlag gegen den Unterleib, durch weitere Schläge und Ausreißen von Haaren vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch sie Rötungen im Bereich des behaarten Teils des Hinterhaupts sowie im Scheitelbereich, eine Schwellung des Jochbogens, Schmerzen im Bereich des Kreuzbeins und im Genitalbereich sowie einen 1 x 1 cm großen Bluterguss erlitt;
2. durch gefährliche Drohung, er werde sie umbringen, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung bei der Polizei bzw zum (richtig: vom) Verlassen des Bordells "Cats" zu nötigen versucht.
Hingegen wurde der Angeklagte von der weiter wider ihn erhobenen Anklage, er habe in Klagenfurt und anderen Orten [jeweils im Rückfall nach § 39 Abs 1 StGB] Oana Mihaela A***** (nunmehr R*****
1. in der Zeit von spätestens Herbst 2001 bis 13. März 2002 mit dem Vorsatz, sich aus deren gewerbsmäßiger Unzucht eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, ausgebeutet, indem er sie bis zur Erschöpfung arbeiten ließ, sie unzureichend mit Nahrung und Medikamenten versorgte und ihr nahezu den gesamten Schandlohn abnahm, sie eingeschüchtert, indem er sie fortlaufend wiederholt körperlich misshandelte und bedrohte, sowie ihr die Bedingungen der Ausübung der Unzucht vorgeschrieben, indem er die Zeiten, in denen sie sich in ihrem Zimmer bzw im jeweils zugewiesenen Bordell aufzuhalten hatte, sowie die gesamte Lebensführung bestimmte;
2. an nicht mehr feststellbaren Tagen in diesem Zeitraum bis vor dem 13. März 2002 jeweils wiederholt durch Versetzen von Schlägen, Stößen und Reißen an den Haaren am Körper verletzt, wodurch sie Gesichts- und Schädelprellungen erlitt;
3. vor dem 13. März 2002 wiederholt durch die Äußerung, sollte sie zur Polizei gehen und ihn anzeigen, werde er sie umbringen, durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Unterlassung der Anzeige genötigt bzw zu nötigen versucht;
4. an einem nicht mehr feststellbaren Tag in diesem Zeitraum wiederholt durch die Äußerung, er wisse, wo sie in Rumänien wohne, und er werde ihr, sollte sie versuchen, nach Rumänien zu reisen, russische oder kosovoalbanische Killer hinschicken, die sie umbringen werden, somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Duldung der unter 1. und 2. angeführten Taten genötigt,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Die Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus Z 5, 5a, 9 (zu ergänzen:) lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO.
Gegen die Freisprüche wendet sich die Staatsanwaltschaft mit einer auf Z 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Zur Beschwerde des Angeklagten:
Der Vorwurf einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) des Schuldspruches 2. ist unberechtigt.
Die Tatrichter erschlossen aus den Schilderungen der Zeugin Elke M*****, wonach Oana Mihaela A***** am 12. März 2002 gegen 22.10 Uhr spärlich bekleidet und weinend um Einlass ins Cafe "Melange" gebeten sowie auch Angst vor dem vor dem Lokal "patrouillierenden" Angeklagten gehabt (der sie laut eigenen Erzählungen zuvor geschlagen und bedroht haben soll) und mehrfach um die Verständigung der Polizei ersucht habe, in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) und ohne Verstoß gegen Grundsätze logischen Denkens, dass der Angeklagte vorher versuchte, A***** durch gefährliche Drohung zu nötigen, das Bordell nicht zu verlassen und keine Anzeige wegen der vorausgegangenen Körperverletzung zu erstatten (US 8 f, 12 f iVm S 419 ff/I).
Entgegen dem weiteren Beschwerdestandpunkt sind die vom Schuldspruch 1. umfassten (leichten) Verletzungen durch das amtsärztliche Gutachten vom 13. März 2002 (S 225/I) und durch die Angaben der im Urteil (S 11) namentlich bezeichneten Zeugen hinreichend fundiert.
Indem der Rechtsmittelwerber in der gegen den Schuldspruch 2. gerichteten Tatsachenrüge (Z 5a) schwerpunktmäßig unter Wiederholung des Vorbringens in der Mängelrüge und mit eigenen Beweiswerterwägungen die aus den Schilderungen der Zeugin M***** empirisch einwandfrei abgeleiteten Rückschlüsse des Tatgerichtes bezweifelt, bekämpft er lediglich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die zu seinem Nachteil ausgefallene Lösung der Schuldfrage, ohne auf Aktengrundlage erhebliche Bedenken gegen den konstatierten Nötigungsversuch zu wecken.
Die Rechtsrüge (Z 9 [zu ergänzen:] lit a) zum Schuldspruch 2. verabsäumt die aus dem Gesetz zu entwickelnde Darlegung, welche zusätzlichen Konstatierungen über die festgestellte, iSd § 105 Abs 1 StGB tatbildliche Drohung mit dem Umbringen hinaus (US 2, 8, 9) für die rechtsrichtige Subsumtion erforderlich sein sollen. Solcherart verfehlt sie die prozessordnungsgemäße Ausführung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes.
Die eine rechtsirrige Beurteilung der Anwendungsvoraussetzung des § 39 StGB behauptende Sanktionsrüge (Z 11 [zweiter Fall]) verkennt, dass Nichtigkeit nur bei - hier nicht aktuellem - rechtsfehlerhaftem Gebrauch der erwähnten fakultativen Strafschärfungsbestimmung vorliegen könnte (Ratz, WK-StPO § 281 Z 11 Rz 712; Mayerhofer StPO4 § 281 Z 11 E 27).
Unverständlich ist der Rechtsmittelantrag, "nach § 288a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten und die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das zuständige Gericht erster Instanz zu verweisen", weil vorliegend infolge Einspruchsverzichts (S 187/I) der Gerichtshof zweiter Instanz nicht über einen Anklageeinspruch entschieden oder die Versetzung in den Anklagestand ausgesprochen hat (§ 281a StPO).
Zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft:
Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert zunächst die Abweisung des in der (fortgesetzten) Hauptverhandlung am 2. August 2002 gestellten Antrags auf Vernehmung der Zeugin Oana A***** (S 495/I). Mit Bezugnahme auf eine nicht näher zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (erkennbar 12 Os 81/98 = EvBl 1999/36 = JBl 1999, 543), der zufolge die materielle Privilegierungsbestimmung des § 166 StGB in jenen Fällen ausgeschlossen sein soll, in denen der Täter die Angehörigeneigenschaft (durch Eheschließung) allein zur Deliktsbegehung und durch Täuschung darüber erreichte, wird die (verfehlte) Ansicht vertreten, dass auch das Entschlagungsrecht des § 152 Abs 1 Z 2 StPO nicht auf den Formalakt der Eheschließung, sondern auf das durch die Ehe (in der Regel) begründete nahe Angehörigenverhältnis abstelle. Das Bestehen eines derartigen Naheverhältnisses hätte (nach Meinung der Beschwerde) vorliegend verneint werden müssen, weil Ojana A***** den Angeklagten am 30. Juli 2002 bloß zum Schein, nämlich zum Zweck der Schaffung eines Entschlagungsrechtes und der daraus ableitbaren Beweisverwertungsverbote geehelicht habe.
Auszugehen ist davon, dass gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO ein Zeuge absolut (unbedingt) von der Verbindlichkeit zur Ablegung einer Aussage befreit ist, wenn er ua gegen einen Angehörigen (§ 72 StGB) aussagen soll. Zum Angehörigenkreis des § 72 Abs 1 StGB gehört - neben anderen Personen - die Ehegattin des Beschuldigten (Angeklagten), jedoch nur während des Bestands einer formell gültigen Ehe (Leukauf/Steininger Komm3 RN 3; Jerabek WK2 Rz 7 jeweils zu § 72 StGB). Über die Begriffsbestimmung des § 72 Abs 1 StGB hinaus bleibt allerdings zufolge der Sonderregelung des § 152 Abs 1 Z 2 StPO die auf einem Eheverhältnis beruhende Angehörigeneigenschaft aufrecht, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht. Aus der bezeichneten Erweiterung des personenstandsrechtlich auszulegenden Angehörigenbegriffs (EvBl 1997/144; Jerabek aaO § 72 Rz 4) ergibt sich unmissverständlich, dass in prozessualer Hinsicht für die Zubilligung des hier problematisierten Zeugnisentschlagungsrechts keineswegs die tatsächliche Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern ausschließlich der personenstandsrechtliche Status maßgebend ist. Voraussetzung für das Zeugnisverweigerungsrecht des Ehegatten ist demnach, dass im Zeitpunkt der Vernehmung (ungeachtet des Vorliegens allfälliger Nichtigkeits- und Auflösungsgründe) eine formell gültige, also eine im Inland wirksam geschlossene (§§ 15, 17 EheG) oder eine im Ausland geschlossene, nach österreichischem Recht als gültig anzuerkennende (§§ 16 Abs 2, 17 IPRG) Ehe (§ 44 ABGB) mit dem Angeklagten besteht oder früher bestanden hat. Da somit die mit Gregor R***** (formell gültig) verheiratete Zeugin Oana A***** (R*****) in der Hauptverhandlung am 2. August 2002 berechtigter Weise das ihr als Ehegattin nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO zukommende Entschlagungsrecht in Anspruch genommen hat (S 489/I), wurde deren Vernehmung vom Gerichtshof zu Recht abgelehnt.
Einen formellen Antrag "auf Verlesung der vorliegenden Anzeigen mit den darin enthaltenen Angaben der Oana A*****" hat die Anklagebehörde nach dem ungerügt gebliebenen, vollen Beweis machenden Protokoll in der Hauptverhandlung am 2. August 2002 nicht gestellt. Deshalb geht die weitere Beschwerdebehauptung (Z 4), ein solcher sei abgewiesen worden, ins Leere.
Im Übrigen wäre der Antrag "auf Verlesung desjenigen Akteninhaltes, der durch die Vernehmung der Beamten in der Hauptverhandlung am 25. Juni 2002 vorgeführt wurde" (S 495/I), schon deswegen nicht zielführend gewesen, weil ein in der Hauptverhandlung bereits iSd § 258 Abs 1 StPO eingebrachtes Beweissubstrat in der fortgesetzten Hauptverhandlung nicht noch einmal verlesen werden muss.
Auch die in der Mängelrüge reklamierte Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt nicht vor.
Die Erhebungsbeamten AI Gerhard S***** und BI Gerhard S***** wurden in der Hauptverhandlung am 25. Juni 2002 nach dem darüber verfassten Protokoll keineswegs zum Inhalt der von der Zeugin Oana A***** ihnen gegenüber gemachten Aussagen vernommen. Vielmehr wurden sie ausschließlich über andere Wahrnehmungen anlässlich der sicherheitsbehördlichen Zeugenvernehmung befragt, nämlich zur damaligen psychischen und physischen Verfassung der Oana A*****, zu den an ihr wahrgenommenen Verletzungen sowie zur Art und Weise der Protokollierung (S 409 f bzw S 414 f/I). Da somit die vom Tatopfer vor der Sicherheitsbehörde geschilderte Geschehensdarstellung gar nicht in die Hauptverhandlung eingebracht wurde (§ 258 Abs 1 StPO), kann deren (rechtsrichtige) Nichtverwertung keinesfalls die im Rechtsmittel relevierte Unvollständigkeit bewirken (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 75 Ratz aaO § 281 Rz 421; Foregger/Fabrizy StPO8 § 281 Rz 43).
Die Rechtsrügen (Z 9 lit a und 10) entsprechen nicht dem Gesetz, weil die behaupteten Feststellungsdefizite prozessordnungswidrig auf die zuvor erwähnten, in der Hauptverhandlung tatsächlich nicht vorgekommenen Aussagen der Zeugin Oana A***** gestützt werden.
Somit waren die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators - teils als offenbar unbegründet (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO), teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§§ 285d Abs 1 Z 1, 285a Z 2 StPO) bei nichtöffentlicher Beurteilung sofort zurückzuweisen.
Über die Berufungen und die Beschwerden wird gemäß §§ 285i, 498 Abs 1 und Abs 3 StPO das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden haben.
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