OGH 14Os93/16g

OGH14Os93/16g20.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Heidar Z***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 28. Juni 2016, GZ 9 Hv 37/16m‑97, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00093.16G.1020.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Heidar Z***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 (richtig:) vierter Fall StGB (II), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 (zu ergänzen:) erster Fall StGB (III), der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 (zu ergänzen:) erster Fall StGB (IV) und der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (V) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

Danach hat er in G***** und an anderen Orten Österreichs

(I) am 27. August 2015 Zena Moussa Al M***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er mit einem etwa 30 cm langen Küchenmesser einen Stich in Richtung ihrer Halsregion führte;

(II) von 26. April bis 26. August 2015 in wiederholten Angriffen Zena Moussa Al M***** mit Gewalt „und auch durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper“ zur Vornahme und Duldung des Beischlafs und diesem gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihr Schläge in das Gesicht versetzte, sie an Händen und Körper festhielt, ihre Beine auseinander drückte und Vaginal- sowie in einem Fall Analverkehr an ihr vollzog und sie in mehreren Fällen zur Vornahme von Oralverkehr veranlasste, wobei er teils in ihren Mund und teils in ihr Gesicht ejakulierte, wodurch sie besonders erniedrigt wurde;

von 26. April bis 26. August 2015 in wiederholten Angriffen Karar Z***** und Zena Moussa Al M*****

(III) durch die mehrfache Äußerung, „er werde die Familie und sie umbringen“, durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Unterlassung einer Anzeigeerstattung (ersichtlich gemeint: wegen der zu II, IV und V genannten Taten) genötigt;

(IV) durch die mehrfache Äußerung, er werde Zena Moussa Al M***** töten und ihr „die Augen ausziehen“ gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

(V) andere vorsätzlich am Körper verletzt, indem er

1) Karar Z***** mit der Hand, einem Sessel, einem Glas und dem Adapter eines Ladekabels schlug und ihm Fußtritte versetzte, wodurch er Hämatome, Nasenbluten und eine Verletzung am Fuß erlitt;

2) Zena Moussa Al M***** mit der Faust, Schuhen und anderen Gegenständen schlug, wodurch sie Hämatome erlitt.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 345 Abs 1 Z 4 und 5 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die – unter Hinweis auf gegenüber der Verteidigerin getätigte Angaben des „Torwartes“ (Portiers) zu einer automatischen Sperre der Eingangstüre des Gerichtsgebäudes um 19:00 Uhr aufgestellte – Behauptung eines (Nichtigkeit nach Z 4 begründenden) Verstoßes gegen § 228 Abs 1 StPO durch faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit (RIS‑Justiz RS0117048), weil die Hauptverhandlung am 28. Juni 2016 vor der Verkündung des Urteils um 19:44 Uhr (ON 96 S 47 f) „weder […] wieder eröffnet, noch die Strafsache wieder aufgerufen wurde und bei der Urteilsverkündung […] weder die Eingangstüre des Gerichts geöffnet noch potentiellen Zuhörern sonst eine erkennbare Möglichkeit geboten wurde, Einlass zu bekommen“, trifft nicht zu.

Davon überzeugte sich der Oberste Gerichtshof in freier Beweiswürdigung (vgl auch Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 97 und 312), insbesondere aufgrund von gemäß §

285f StPO eingeholten schriftlichen Stellungnahmen der Vorsitzenden, die der Verteidigung zur Äußerung zugestellt wurden. Durch die darin beschriebene Vorgangsweise des Gerichts, ab Abwesenheit des Tordienstes um 15:30 Uhr an der Eingangstüre des Gerichtsgebäudes einen schriftlichen Hinweis anzubringen, nach dem interessierte Zuhörer unter der (angegebenen) Telefonnummer des Verhandlungssaals anrufen und solcherart Zutritt zu diesem erlangen könnten, wurden nämlich hinreichende Vorkehrungen zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung getroffen (erneut RIS‑Justiz RS0117048 [T3]). Dies wird auch durch die Äußerung des Beschwerdeführers zur Stellungnahme der Vorsitzenden, wonach seine Verteidigerin bei ihrer Rückkehr in das Gerichtsgebäude eine an der (zu diesem Zeitpunkt noch geöffneten) Eingangstüre angebrachte schriftliche Information nicht wahrgenommen habe, nicht in Frage gestellt (vgl RIS‑Justiz RS0120127; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 37, 252).

Entgegen dem Beschwerdestandpunkt (nominell Z 5, der Sache nach Z 5 iVm Z 13 erster Fall; Ratz in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 9) wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einholung eines weiteren Sachverständigen-Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie“, Verteidigungsrechte nicht verletzt. Dieser war in der Hauptverhandlung am 21. Juni 2016 auf Basis der Behauptung einer nicht ausreichend „fundierten Expertise“ im Gutachten des Sachverständigen Univ.‑Prof. Dr. Manfred W***** (ON 58, ON 88 S 75 ff) zum Beweis dafür gestellt worden, „dass der Angeklagte an keiner kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet und auch keine Gefährlichkeit im Sinne des § 21 Abs 2 StGB vorliegt“ (ON 88 S 85 f). Ein durch § 345 Abs 1 Z 5 StPO garantiertes Überprüfungsrecht besteht nur dann, wenn der Beschwerdeführer in der Lage ist, einen der in § 127 Abs 3 StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen (RIS‑Justiz RS0117263; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351). Mit der im Antrag geübten Kritik an der fehlenden „Anwendung forensischer Gefährlichkeitsprofile“ (vgl dazu Hinterhofer, WK‑StPO § 127 Rz 23; RIS‑Justiz RS0097355) sowie an der – insoweit geradezu denknotwendigen – Prämisse der Verübung der Anlasstaten (dazu RIS-Justiz RS0090524) wurde ein derartiger Mangel (vgl dazu Hinterhofer, WK‑StPO § 127 Rz 19 ff und 24 ff) nicht bezeichnet.

Dem Antrag auf „Einholung einer Auskunft bei der Western Union Irak“ zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte im Zeitraum 2012 bis Ende 2014 immer wieder auf den Namen der Zena Moussa Al M***** Geldbeträge aus Bagdad nach Ankara geschickt hat“,

hat das Erstgericht gleichfalls zu Recht nicht entsprochen, weil damit ausdrücklich bloß die Unrichtigkeit der Angaben der Zeugin Zena Moussa Al M***** zur fehlenden Kenntnis des Angeklagten von deren Aufenthalt während ihrer von 2012 bis 2014 dauernden Flucht erwiesen und solcherart die Glaubwürdigkeit der Genannten durch Beweis von mit dem eigentlichen (ausschließlich Vorfälle nach ihrer Rückkehr nach Österreich betreffenden) Tatgeschehen in keinem Zusammenhang stehenden Umständen in Frage gestellt werden sollte (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327, 340 f und 432; RIS‑Justiz RS0120109 [T3]).

Das zur Fundierung der Anträge in der Beschwerde nachgetragene – im Übrigen weitgehend bloß beweiswürdigende – Vorbringen stellt eine unzulässige

Neuerung dar (vgl RIS-Justiz RS0099117).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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