European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00042.18K.0703.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohammad H***** gemäß § 259 Z 3 StPO von der – in der Hauptverhandlung modifizierten (ON 17 S 7) – Anklage freigesprochen, er habe am 5. August 2017 in W***** „mit Gewalt gegen eine Person, Henry Louis Robert L***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich dessen Mobiltelefon ... im Wert von cirka 200 Euro mit dem Vorsatz abzunötigen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er zur Erlangung des Mobiltelefons versuchte, dieses in mehrfachen Angriffen aus den Händen des Henry Louis Robert L***** zu entreißen, was aber aufgrund von Abwehrbewegungen misslang“.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen (nominell) aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie einen – anklagedifformen – Schuldspruch wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB anstrebt, ist im Recht.
Das Erstgericht ging soweit hier wesentlich– deutlich genug – davon aus, dass der Angeklagte tatsächlich versuchte, Henry L***** sein Mobiltelefon „aus welchen Gründen auch immer“ (zumindest kurzfristig) wegzunehmen (US 3 f iVm US 5), hielt es aber weder für erwiesen, dass er dabei mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz handelte, noch, dass er dem mutmaßlichen Opfer Schläge oder Fußtritte versetzte. Konstatierungen zur Intensität der zur Erlangung des Geräts eingesetzten „Kraft“ konnten nach Ansicht des Schöffengerichts nicht mit der für das Strafverfahren nötigen Sicherheit getroffen werden (US 4 f).
In Bezug auf die Negativfeststellungen zur Gewaltanwendung führten die Tatrichter aus, dass die „zu den Aussagen der Polizistin (Anm: der einschreitenden Polizeibeamtin Marina S*****) widersprüchlichen Angaben“ des (auch aufgrund seiner Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt unzuverlässigen) Zeugen Henry L***** nicht geeignet seien, entsprechende (positive) Urteilsannahmen darauf zu gründen. Dieser habe aber „jedenfalls“ betont, dass „der Angeklagte seinen Körper nicht berührt oder beeinträchtigt hätte“, während die „unbeteiligte Zeugin“ Marina S***** in der Hauptverhandlung „meinte“, der Versuch des Angeklagten, „auf das Mobiltelefon zu greifen“, sei daran gescheitert, dass sich „Henry L***** weggedreht hätte“ (US 5).
Zutreffend zeigt die Beschwerdeführerin Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) dieser Begründung zufolge Unterlassung der Erörterung erheblicher Passagen aus den Angaben der letztgenannten – in anderem Zusammenhang pauschal als glaubwürdig beurteilten – Zeugin auf.
Diese hatte nämlich im unmittelbaren Anschluss an die vom Erstgericht referierte Sachverhaltsschilderung von zwei „angesetzten“ Fußtritten des Angeklagten berichtet (ON 12 S 8) und diese Ausführungen über Nachfrage der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft dahin konkretisiert, dass „das“ nach den Abwehrbewegungen des Henry L***** „immer intensiver“ wurde, Mohammad H***** schließlich „aggressiv auf das Handy zugreifen wollte“ und „als er gemerkt hat, dass er so nicht weiterkommt“ zwei Mal „zum Fußtritt ansetzte“, wobei zunächst unbekannte Personen und schließlich die Polizeibeamtin selbst „dazwischen gingen“ (ON 12 S 10), worauf die Beschwerdeführerin mit Recht verweist.
Ungeachtet dessen, dass das Schöffengericht– insoweit von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpft – einen auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz nicht festzustellen vermochte, ist die Frage, ob der Angeklagte durch Versetzen von Fußtritten gegen das mutmaßliche Tatopfer in den Besitz des Mobiltelefons zu kommen versuchte, im Hinblick auf eine allfällige Tatbeurteilung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB entscheidend (zum Gewaltbegriff des § 105 Abs 1 StGB vgl RIS‑Justiz RS0093620 ua). Unbeschadet des Gebots zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe
(§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) hätte es daher unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall einer Auseinandersetzung mit den von der Anklagebehörde relevierten Aussagepassagen bedurft (RIS‑Justiz RS0106642 [T1]).
Indem die Beschwerde – wenn auch im Rahmen der Mängelrüge – deutlich genug (unter anderem) auf dieses, auch das Vorliegen der entsprechenden subjektiven Tatseite (nämlich eines auf den Einsatz von Gewalt zur Wegnahme des Telefons gerichteten Vorsatzes) indizierende Verfahrensergebnis hinweist, auf dieser Basis entsprechende Konstatierungen begehrt und damit – im Ergebnis – diesbezügliche Feststellungsmängel geltend macht (der Sache nach Z 9 lit a), entspricht sie ebenfalls den Kriterien erfolgreicher Freispruchsanfechtung (vgl RIS‑Justiz RS0127315).
Weil schon diese aufgezeigten Mängel die Aufhebung des angefochtenen Urteils, die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und die Verweisung der Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien erfordern, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen (insbesonders jenes zum – nicht entscheidungswesentlichen
[RIS‑Justiz
RS0088761] – Motiv des Angeklagten).
Bleibt daher nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass der Beschwerdeführerin auch insoweit beizupflichten ist, als das Urteil den – nach demVorgesagten – eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt der Angaben des Zeugen Nikolas B***** in ihren wesentlichen Teilen unvollständig wiedergibt (Z 5 fünfter Fall, RIS‑Justiz RS0099431 [T1]). Das Erstgericht verneinte nämlich (inhaltlich) die Relevanz der Aussage des Genannten mit der Begründung, dieser habe „lediglich“ gesehen, dass „sich der Zeuge und der Angeklagte gestoßen hätten“ und– insoweit richtig referiert – „ein Mobiltelefon gar nicht wahrgenommen“ (US 6), während der Polizeibeamte, der gemeinsam mit der Zeugin Marina S***** zum Tatort kam, tatsächlich zudem bekundete, er habe „auch einen Fußtritt wahrgenommen“ (ON 12 S 11).
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