OGH 14Os31/20w

OGH14Os31/20w4.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel in der Strafsache gegen ***** G***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall, § 15 StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 21. Februar 2020, GZ 29 Hv 105/19w‑36, sowie über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 6. Dezember 2019, GZ 29 Hv 105/19w‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00031.20W.0504.000

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Zur Entscheidung über die Berufung wird der Akt dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 6. Dezember 2019, GZ 29 Hv 105/19w‑31, wurde ***** G***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall, § 15 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach der Urteilsverkündung meldete der Angeklagte die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung an (ON 30 S 11). Die Urteilsausfertigung wurde dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr. ***** S***** (ON 6) am 16. Jänner 2020 zugestellt (ON 32 S 3). Am 17. Februar 2020 gab Rechtsanwalt Mag. ***** Ga***** seine Bevollmächtigung durch den Angeklagten bekannt und führte die angemeldeten Rechtsmittel aus (ON 34). Eine Zurücklegung der Vollmacht durch Dr. S***** oder eine Kündigung derselben durch den Angeklagten ist nicht aktenkundig.

Mit Beschluss vom 21. Februar 2020 wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285a Z 2 StPO zurück, weil die Ausführung derselben verspätet eingebracht und bei der Anmeldung des Rechtsmittels kein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt bezeichnet worden sei (ON 36).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 27. Februar 2020 (ON 37 S 50 f), der unter einem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung beantragt (ON 37 S 41 ff).

 

Zur Beschwerde:

Da der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde noch in einer – innerhalb der mit 13. Februar 2020 endenden Frist eingebrachten – Ausführung derselben einen Nichtigkeitsgrund (§ 281 Abs 1 Z 1 bis 11 und § 281a StPO) deutlich und bestimmt bezeichnet hat, erfolgte die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch die Vorsitzende des Schöffengerichts zu Recht (§ 285a Z 2, § 285b Abs 1 StPO).

Dass die Voraussetzungen des § 285a Z 2 StPO nicht vorgelegen wären, behauptet die Beschwerde gar nicht. Mit der Ansicht, der „erste Wahlverteidiger“ wäre nach Maßgabe des § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde verpflichtet gewesen, wird eine Mangelhaftigkeit des Beschlusses ebenso wenig aufgezeigt wie mit der Behauptung, der Angeklagte habe „zumindest implizit die Vollmacht“ des zunächst einschreitenden Wahlverteidigers gekündigt (vgl aber zur Möglichkeit der Bevollmächtigung mehrerer Verteidiger § 58 Abs 3 zweiter Satz StPO), der aber die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses dem Gericht nicht bekanntgegeben und damit „die Vorgangsweise gemäß §§ 61 ff StPO unterbunden“ habe.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen (§ 285b Abs 4, § 285i StPO).

 

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Der Angeklagte bringt vor, dass es die (über langjährige Berufserfahrung verfügende und sonst stets verlässliche) Kanzleiangestellte des „ehemaligen“ Verteidigers Dr. S***** aus nicht nachvollziehbaren Gründen versäumt habe, „auf dem Urteilsexemplar, das am 21. 01. 2020 dem Wiedereinsetzungswerber per e-mail übermittelt wurde, eine Eingangsstampiglie [dessen] Kanzlei […] anzubringen“, weshalb er dem nunmehr einschreitenden Verteidiger Mag. Ga***** den 21. Jänner 2020 als Zustelldatum genannt habe. Anderes habe sich auch aus den Kopien des Handakts des „ehemaligen“ Verteidigers nicht ergeben, weil auch das „dabei erhaltene Exemplar der Urteilsausfertigung […] weder einen Eingangsvermerk, noch einen Fristvormerk, und auch keinen WebERV‑Hinterlegungsvermerk“ getragen habe.

Nach § 364 Abs 1 StPO ist (unter anderem) einem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist (hier: zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie der Berufung) zu bewilligen, sofern er (neben weiteren Voraussetzungen) nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Die Strafprozessordnung unterscheidet nicht, ob ein zur Fristversäumnis führendes Versehen dem Angeklagten oder seinem Verteidiger unterlaufen ist, wenngleich letzterer einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt und Fehler desselben in der Handhabung des Fristenwesens in der Regel eine Wiedereinsetzung ausschließen (RIS‑Justiz RS0103976, RS0101272 [T11]; Lewisch , WK‑StPO § 364 Rz 28).

Vorliegend hat es der zuerst – und nach der Aktenlage nach wie vor – bevollmächtigte Verteidiger unterlassen, die angemeldeten Rechtsmittel auszuführen. Der nun einschreitende Verteidiger wiederum hat sich auf die– für den Fristenlauf irrelevante – Übermittlung der Urteilsausfertigung durch den zunächst einschreitenden Verteidiger an den Angeklagten sowie auf – schon nach dem Vorbringen für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit ebenfalls unzureichende – Kopien aus dessen Handakt verlassen und den Zeitpunkt der Zustellung der Urteilsausfertigung an den zuerst bevollmächtigten Verteidiger nicht verlässlich geprüft.

Gemessen am Standard gewissenhafter und umsichtiger Rechtsanwälte (vgl dazu RIS-Justiz RS0131735; 15 Os 105/17f, 106/17b; Lewisch , WK‑StPO § 364 Rz 25) liegt den Vorgangsweisen der Verteidiger daher nicht ein Versehen bloß minderen Grades zugrunde, weshalb die Wiedereinsetzung – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Angeklagten (der sich darin unzulässiger Weise auf einen anderen als den im Antrag nach § 364 Abs 1 StPO behaupteten Grund beruft (vgl RIS‑Justiz RS0097061) – nicht zu bewilligen war.

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Eine Kostenentscheidung unterblieb, weil es weder durch die Beschwerde nach § 285b Abs 2 StPO noch durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 364 StPO zu einem Rechtsmittelverfahren iSd § 390a Abs 1 StPO gekommen ist ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 11 und 19; 15 Os 105/17f, 106/17b).

Angemerkt wird, dass die vom Obersten Gerichtshof gesetzte Frist nach § 24 StPO gemäß § 9 Z 3 1. COVID‑Begleitgesetz, BGBl I 2020/16 idF BGBl I 2020/24, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen war und mit 1. Mai 2020 neu zu laufen begann, sodass für den Verteidiger – seiner Kritik zuwider – keine Notwendigkeit bestand, die Äußerung (rechtswirksam; vgl RIS‑Justiz RS0100035; zu deren Einmaligkeit RS0130883) bereits vor Beginn des Fristlaufs zu erstatten.

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