OGH 15Os105/17f

OGH15Os105/17f19.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Adem B***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB, AZ 86 Hv 11/17t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 24. Juli 2017 (ON 53), über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. April 2017 (ON 41), ferner über die Beschwerden von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem gegen den unter einem gefassten Beschluss nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00105.17F.0919.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. April 2017 wurde Adem B***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 wurde unter einem vom Widerruf einer ihm gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert (ON 41).

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte mit Schriftsatz vom 2. Mai 2017 fristgerecht die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung an (ON 44). Die Urteilsausfertigung wurde dem Wahlverteidiger am 31. Mai 2017 zugestellt (ON 52).

Am 12. Juni 2017 gab dieser dem Gericht die Vollmachtsauflösung bekannt (ON 47), worauf dem Angeklagten nach Beigebung eines Verteidigers durch das Gericht mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 13. Juni 2017 ein Verfahrenshilfeverteidiger bestellt wurde (ON 48).

Am 13. Juli 2017 führte die Substitutin des Verfahrenshilfeverteidigers die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung aus (ON 51).

Mit Beschluss vom 24. Juli 2017 wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285a Z 2 StPO zurück. Bei der Anmeldung seien keine Nichtigkeitsgründe bezeichnet worden, die Ausführung sei nach Ablauf der mit 29. Juni 2017 endenden Ausführungsfrist, somit verspätet, eingebracht worden (ON 53).

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 1. August 2017 (ON 56); überdies hat er am selben Tag auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (und Berufung) eingebracht (ON 57).

Dazu wird vorgebracht, das Bestellungsdekret und „die erste Seite des Urteils“ seien der Substitutin des Verfahrenshelfers am 16. Juni 2017 zugestellt worden. Auf diesen Urkunden habe sich kein Hinweis auf eine bereits erfolgte Urteilszustellung (an den Wahlverteidiger) befunden, weshalb die Substitutin „dieses Hinterlegungsdatum“ (16. Juni 2017) als „Fristbeginn für die Einbringung des Schriftsatzes“ in das Fristenbuch eingetragen habe. In der Folge habe sie eine Aktenabschrift bestellt. Auch aus dieser sei – weil „nämlich Rückscheine aus dem Akt nicht abgelichtet“ würden – nicht hervorgegangen, dass das Urteil bereits an den Wahlverteidiger zugestellt worden war.

Rechtliche Beurteilung

Zur Beschwerde:

Gemäß § 285a Z 2 StPO hat das Landesgericht bei dem eine Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet wird, diese zurückzuweisen, wenn nicht bei ihrer Anmeldung oder in ihrer Ausführung ein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt bezeichnet wird.

Da die Beschwerde kein inhaltliches Vorbringen zu einer allfälligen Mangelhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses, sondern lediglich zu den Gründen für die Fristversäumnis erstattet, war ihr – nach umfassender, keinen Fehler erweisenden Prüfung des Beschlusses (§ 89 Abs 2b StPO) – nicht Folge zu geben.

Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Nach § 364 Abs 1 StPO ist einem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Die Strafprozessordnung macht insofern keinen Unterschied, ob ein zur Fristversäumnis führendes Versehen dem Angeklagten oder seinem Verteidiger, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt, unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0101272). Dabei ist eine Wiedereinsetzung bei allen eigenen Fehlern des Verteidigers in der Handhabung des Fristenwesens in der Regel ausgeschlossen (Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 28).

Vorliegend hat es die Verteidigerin unterlassen, den tatsächlichen Zeitpunkt der Zustellung der Urteilsausfertigung zu erheben bzw zu überprüfen, und sich auf die – für den Fristenlauf irrelevanten – Übermittlungen des Bestellungsdekrets mitsamt der „ersten Seite des Urteiles“ sowie auf eine von ihr angeforderte – unvollständige – Aktenabschrift verlassen. Darin kann – gemessen am Standard eines gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwalts (vgl Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 25) – kein Versehen bloß minderen Grades erblickt werden. Die Wiedereinsetzung war daher zu verwehren.

Bleibt anzumerken, dass die Nichtigkeitsbeschwerde bei Rechtzeitigkeit der Ausführung vom Obersten Gerichtshof zurückzuweisen gewesen wäre, weil das ausschließlich auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Rechtsmittel keinen nichtigkeitsrelevanten Begründungs-mangel darzulegen vermag. Dem Urteil haftet im Übrigen auch kein Rechtsfehler an (§ 290 Abs 1 StPO).

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden ist folglich das Oberlandesgericht zuständig (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil es nicht zu einem Rechtsmittelverfahren im Sinn des § 390a Abs 1 StPO gekommen ist und ein erfolgloser Antrag auf Wiedereinsetzung keine Kostenersatzpflicht auslöst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 11 und 19).

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