OGH 14Os19/14x

OGH14Os19/14x1.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fellner als Schriftführer in der Strafsache gegen Thomas E***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. November 2013, GZ 27 Hv 109/13k-28, und über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas E***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (I) und des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 und Abs 4 StGB (II) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 19. Mai 2013 in S*****

(I) Birgit Em***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine die Dauer von 24 Tagen übersteigende Traumatisierung mit psychiatrisch behandlungsbedürftigen Angstzuständen von Krankheitswert, zur Folge hatte, indem er sich auf die Genannte setzte, sein Gewicht auf ihren Oberkörper verlagerte und sie bis zur Atemnot würgte, wodurch sie Strangulationsmale am Hals sowie eine Einblutung im Auge erlitt, und sie dabei aufforderte, mit ihm zu schlafen;

(II) Michele H***** dazu zu bestimmen versucht, als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung falsch auszusagen, indem er sie in einer Facebook-Nachricht bat, wahrheitswidrig zu bestätigen, dass sie im Tatzeitraum der zu (I) beschriebenen Tat mit ihm zusammen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte am 20. November 2013 ‑ sohin innerhalb der dreitägigen Frist des § 284 Abs 1 erster Satz StPO ‑ Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche an (ON 30).

Seinem Verteidiger wurde die schriftliche Urteilsausfertigung ‑ via Web‑ERV ‑ am 24. Dezember 2013 zugestellt (vgl den Zustellnachweis bei ON 32; § 89d Abs 2 GOG). Der letzte Tag der damit ausgelösten vierwöchigen Frist für die Ausführung der Rechtsmittel (§§ 285 Abs 1, 294 Abs 2 StPO) war daher der 21. Jänner 2014.

Die elektronische Einbringung der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung am 22. Jänner 2014 (ON 35) erfolgte somit verspätet.

Innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der ‑ einen Hinweis auf die verspätete Ausführung enthaltenden ‑ Äußerung der Generalprokuratur an den Verteidiger brachte dieser am 4. März 2014 (unter gleichzeitiger neuerlicher Übermittlung der ursprünglichen Rechtsmittelausführungen) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ein (ON 6 im Os-Akt).

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Nach dem Antragsvorbringen befolgte die mit der gegenständlichen Fristeintragung befasste Kanzleimitarbeiterin des Verteidigers dessen ‑ im Bereich des Fristenwesens besonders detaillierte und strikte ‑ Anweisungen, berücksichtigte aber ‑ entgegen ausdrücklicher Instruktion ‑ den 24. Dezember (aufgrund des Erscheinungsbildes des Kanzleikalenders, in dem dieser kanzleiintern arbeitsfreie Tag ebenso mit einem roten Querstrich gekennzeichnet war wie die daran anschließenden Feiertage des 25. und 26. Dezember) irrtümlich nicht als für den Beginn des Fristenlaufs relevanten Werktag (vgl § 89d Abs 2 GOG). Demzufolge versah sie die (nach den arbeitsfreien Tagen) am 27. Dezember 2013 ausgedruckte Urteilsausfertigung mit der Eingangsstampiglie dieses Tages, vermerkte im Tagsatzungs- und Fristenkalender ‑ entsprechend der kanzleiinternen Gepflogenheiten, Fristen aus Vorsichtsgründen einen Tag vor deren Ablauf einzutragen ‑ den 23. Jänner 2014 als letzten Tag der Frist und brachte zudem im Kalender eine Woche davor einen Hinweis auf deren nahenden Ablauf an.

Die Kanzleimitarbeiterin sei professionell ausgebildet, sowohl kanzleiintern als auch durch regelmäßige Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen (zur Kanzleiorganisation) im Fristenwesen geschult und verrichte seit Jahren zuverlässige und fehlerfreie Arbeit (auch) in diesem Bereich; eine unrichtige Fristeneintragung sei bislang noch nicht vorgekommen.

Die Richtigkeit des Vorbringens wurde im Wesentlichen durch Kopien der relevanten Seiten aus dem Tagsatzungs- und Fristenkalender der Kanzlei des Verteidigers, durch dessen eidesstattliche Erklärung und diejenige der betroffenen Kanzleimitarbeiterin bescheinigt.

Ein einmaliges Versehen einer sonst verlässlichen, entsprechend ausgebildeten Kanzleikraft stellt nach ständiger Judikatur ein unvorhersehbares Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO dar (RIS-Justiz RS0101310, RS0101329), wobei fallbezogen weder dem Angeklagten noch seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades ‑ wie beispielsweise die Verletzung von Organisations- oder Kontrollpflichten (13 Os 120/07g, SSt 2007/85; jüngst 13 Os 15/13z, 16/13x) ‑ zur Last liegt.

Da die Wiedereinsetzung eine Woche nach Verständigung des Verteidigers von der Fristversäumnis, also innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses, beantragt (§ 364 Abs 1 Z 2 StPO) und die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachgeholt (§ 364 Abs 1 Z 3 StPO) wurde, war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 285a Rz 2 mwN) ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ zu bewilligen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Die auf Z 4, 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konnte die begehrte „Einholung eines Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Verletzungen der Birgit Em***** nicht als schwer im strafrechtlichen Sinn zu bewerten sind“ (ON 27 S 35), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben.

Dem Antrag ließ sich nämlich nicht entnehmen, weshalb dieses Beweismittel angesichts der umfassend dokumentierten, noch unmittelbar nach der Tat im Krankenhaus Kufstein begonnenen psychiatrischen und in der Folge bis zum 9. Oktober 2013 psychotherapeutisch fortgesetzten Behandlung des Tatopfers wegen einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung (ON 2 S 46, ON 7a, ON 11, ON 14, Beilage 1./ zu ON 27) geeignet sein sollte, die Grundlage für eine Beurteilung der Dauer der Gesundheitsschädigung mit weniger als 25 Tagen zu liefern, womit er auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS‑Justiz RS0099523; RS0118444; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327, 330). Ob die Belastungsstörung (auch) als an sich schwere Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 1 zweiter Fall StGB einzustufen wäre, betrifft im Hinblick auf die vom Erstgericht im Sinn des ersten Falles dieser Bestimmung angenommene, länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (US 2, 5, 11 f) keine entscheidende Tatsache.

Der weiters thematisierte Antrag auf „Einholung eines Gutachtens zum Beweis dafür, dass die durch Fotos im Akt dokumentierten Rötungen im Halsbereich der Birgit Em***** nicht auf starkes Würgen oder Zudrücken zurückzuführen sind, sondern auch durch Erfassen am Hals mit geringerer Intensität entstehen können“ (ON 27 S 35), verfiel gleichermaßen zu Recht der Abweisung, weil der unter Beweis zu stellende Umstand selbst im Fall seiner Erweislichkeit dem festgestellten, § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB subsumierbaren Tatgeschehen nicht entgegenstünde, womit sich das Begehren nicht auf schuld- oder subsumtionserhebliche Tatsachen bezog.

Dem Standpunkt der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zum Schuldspruch (I) zuwider begegnet die Ableitung der Feststellungen zu der beim Opfer eingetretenen, tatkausalen und länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung aus den ‑ in der Hauptverhandlung vorgekommenen ‑ umfangreichen Behandlungsunterlagen (US 11 f) unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken. Eines zwingenden Schlusses bedarf es dazu nicht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 449).

Ebensowenig widerspricht der vom Erstgericht in Bezug auf die subjektive Tatseite zu beiden Schuldsprüchen unter anderem von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen (US 12 f und 14 f) gezogene Schluss den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (Z 5 vierter Fall; RIS-Justiz RS0098671; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452).

Dass aus der ‑ gleichermaßen zur Begründung der festgestellten Täterintention herangezogenen ‑ Aussage der Birgit Em***** zum vom Schuldspruch (I) umfassten Tatgeschehen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlüsse gezogen werden können, stellt den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund nicht her. Mit der Behauptung, die ‑ von den Tatrichtern mit mängelfreier Begründung als lebensfremd und unglaubwürdig erachteten (US 15 f) ‑ Angaben des Angeklagten zum Schuldspruch (II) wären mit Blick auf sein Alter von 19 Jahren „keineswegs unglaubwürdig“, wird unzulässig die erstgerichtliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft.

Die ‑ von der Rüge partiell und sinnentstellt zitierte ‑ Passage aus der Aussage der Zeugin Michele H*****, nach der sie der Angeklagte per Facebook-Nachricht (richtig:) aufforderte, ihm ein falsches Alibi für den Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Vergewaltigung zu geben, und sie in diesem Zusammenhang bat, sich bei seiner Mutter zu melden (ON 2 S 32), steht nicht in erörterungsbedürftigem Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zur Urteilsannahme, dass es dem Beschwerdeführer (auch) darum ging, die Genannte zu einer falschen Aussage vor der ‑ in einem Strafverfahren ermittelnden ‑ Polizei zu veranlassen.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) zum Schuldspruch (I) erschöpft sich darin, aus der Aussage des Tatopfers gegenteilige Schlüsse zu ziehen als die Tatrichter und damit erneut in einer Kritik an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung außerhalb der Anfechtungskriterien dieses Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 391, 490).

Mit urteilskonträren Spekulationen zum Bedeutungsinhalt der an Michele H***** übermittelten Facebook-Nachricht und dem Hinweis, dass die Genannte tatsächlich mit einem Anruf bei der Mutter des Beschwerdeführers darauf reagierte, vermag die Rüge auch keine erheblichen Bedenken gegen die dem Schuldspruch (II) zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB (Schuldspruch I) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) argumentiert mit ihrem Einwand, die vom Erstgericht konstatierte „länger als 24 Tage andauernde Belastungsstörung“ sei „keineswegs mit einer Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit im Sinn des § 84 Abs 1 StGB gleichzusetzen“, nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt solcherart den (auf der Sachverhaltsebene) gerade darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581). Unter verdeutlichender (vgl RIS‑Justiz RS0114639) Heranziehung des Referats der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; US 2: „Traumatisierung und … Angstzustände mit Krankheitswert“) hat das Erkenntnisgericht nämlich durch die von der Rüge zitierten Urteilsannahmen im Verein mit der (in der Beweiswürdigung nachgetragenen; US 11) Konstatierung, wonach das Tatopfer durch die Vergewaltigung eine „posttraumatische Belastungsstörung F43.1“ (sohin gemäß der Klassifikation nach ICD-10 eine psychische Erkrankung) erlitt, eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage (nämlich den Eintritt einer länger als 24 Tage dauernden posttraumatischen Belastungsstörung mit Krankheitswert; RIS‑Justiz RS0092798; Philipp in WK² StGB § 201 Rz 30) für die vorgenommene Subsumtion festgestellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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