OGH 14Os18/23p

OGH14Os18/23p28.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. März 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Gigl in der Strafsache gegen * W* und andere Angeklagte wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten * Wi* sowie die Berufung des Angeklagten W* gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 21. Oktober 2022, GZ 79 Hv 66/22w-31, sowie über die Beschwerde des Angeklagten W* gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00018.23P.0328.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld der * Wi* werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe und wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche sowie die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Der Angeklagten Wi* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – * Wi* des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie nachts zum 15. Mai 2021 in R* zur Ausführung der strafbaren Handlung des * W*, der mit der am * 2008 geborenen, somit unmündigen * B* wiederholt (US 6) den Beischlaf unternahm, dadurch beigetragen, dass sie nach erfolgter Übergabe eines Kondoms an W* mit den von * I* geäußerten Worten „man weiß ja nie was der Abend noch bringt“ zustimmend lächelte, wodurch sie W*, der mit dem Kondom in der Hand hantierte, in seinem Vorhaben nach Geschlechtsverkehr mit der Unmündigen bestärkte, indem sie ferner die Unmündige in einem Gespräch dazu ermutigte, sich körperlich an W* zu wenden und von ihm einen Kuss einzufordern, die Unmündige anschließend mit ihrem Fuß zu seinem Körper schob, sodass sie sich küssen konnten, es zuließ, dass W* mit der Unmündigen eng umschlungen auf der Couch liegen konnte, die beiden sodann alleine im Raum zurückließ und sie nach dem ersten Beischlaf aufforderte, im Schlafzimmer zu schlafen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 9 lit a und lit b StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Wi* ist nicht im Recht.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet, die auszugsweise erfolgte Wiedergabe der Ton‑ und Bildaufnahme der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin B* in der Hauptverhandlung (ON 30 S 15) verletze § 252 Abs 1 Z 2a StPO, weil diese nicht zur Hauptverhandlung geladen und dort nicht von ihrem „Aussageverweigerungsrecht“ Gebrauch gemacht habe. Ein Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO liegt nicht vor, weil eine Entschlagungserklärung (wie hier) auch schon vor der Hauptverhandlung im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung rechtswirksam abgegeben werden kann (RIS‑Justiz RS0111315 [T13]; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 74). Durch die Erklärung, wonach das Opfer in der Hauptverhandlung nicht noch einmal bei Gericht aussagen möchte, sondern stattdessen das Video vorgespielt werden soll (ON 23 S 16), hat es unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, von seinem Aussagebefreiungsrecht in der Hauptverhandlung (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO) Gebrauch zu machen.

[5] In einer bloßen Rechtsbehauptung erschöpft sich das Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a), dass insbesondere psychische Beitragshandlungen „eine gewisse Intensität“ erreichen müssten, nur strafbar seien, wenn eine „fassbare Beeinflussung“ sowohl hinsichtlich der objektiven Tatbildverwirklichung als auch des Vorsatzes vorliege und sämtliche Beitragshandlungen diese Schwelle nicht erreichen würden. Weshalb die Urteilskonstatierungen, wonach die Angeklagte durch die von ihr gesetzten Handlungen bewusst und gewollt psychisch und physisch zur Tat des W* in kausaler Weise beitrug, indem sie ihn seinem Ziel nach Geschlechtsverkehr mit der Unmündigen näher brachte (US 7), keine ausreichende Tatsachenbasis für die Annahme eines Tatbeitrags (§ 12 dritter Fall StGB) bilden sollten (zum Ganzen RIS-Justiz RS0090516; RS0089238; RS0090508; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 83; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari StGB14 § 12 Rz 15), erklärt die Rüge nicht. Damit entbehrt sie der gebotenen Ableitung der behaupteten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565).

[6] Ferner setzt sich die Behauptung, sämtliche Beitragshandlungen seien weder kausal noch stünden sie in einem adäquaten Zusammenhang zur unmittelbaren Tat, über die anders lautenden Konstatierungen (US 7) hinweg und vernachlässigt damit die gebotene Ausrichtung am Urteilssachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810).

[7] Soweit die Rechtsrüge Feststellungen zur „Garantenstellung“ betreffend das Zurücklassen des Opfers mit W* im Raum einfordert, verfehlt sie neuerlich die prozessförmige Ausführung (RIS‑Justiz RS0116565), weil sie nicht erklärt, weshalb das durch aktive und passive Verhaltenselemente gekennzeichnete, insgesamt als Beitrag zum Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB beurteilte Tatverhalten der Angeklagten kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen iSd § 2 StGB darstellen sollte (zum Primat des Tuns bei mehrdeutigem Tatverhalten RIS‑Justiz RS0089526; Lehmkuhl in WK2 StGB § 2 Rz 23 f).

[8] Mit dem bloßen Verweis (Z 9 lit a; nominell [verfehlt] auch lit b) auf eine veraltete, die Kausalität rein psychischer Unterstützungshandlungen behandelnde Entscheidung (12 Os 40/02), ohne Auseinandersetzung mit der ständigen Rechtsprechung, wonach ein zu einem Vorhaben bereits Entschlossener zu diesem (im Sinn einer Vertiefung des Handlungsentschlusses) bestärkt werden kann (RIS‑Justiz RS0089893 [T9]; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 54, 88 f), wird die Behauptung, intellektuelle/psychische Beitragstäterschaft komme grundsätzlich (und damit auch hier) nicht mehr in Betracht, wenn der unmittelbare Täter den Entschluss zu der in seiner Vorstellung individualisierten Tat bereits gefasst hat und daher einer Belehrung, Beratung oder Bestärkung nicht mehr bedarf, nicht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS‑Justiz RS0116565). Das Erstgericht war im Übrigen vorliegend – auch mit Blick auf das hier aus psychischen und physischen Beitragshandlungen bestehende Tatverhalten – entgegen der Rüge nicht dazu verhalten, nähere Feststellungen zum Zeitpunkt des Vorsatzentschlusses des W* zu treffen.

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Wi* war daher – ebenso wie deren im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285d Abs 1, § 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[10] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Wi* und W* wegen des Ausspruchs über die Strafe und der Angeklagten Wi* gegen das Adhäsionserkennntis sowie die – gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende – Beschwerde des Angeklagten W* gegen den Beschluss gemäß § 494a Abs 6 StPO (§ 285i StPO; § 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte