OGH 14Os145/09v (14Os146/09s)

OGH14Os145/09v (14Os146/09s)15.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer in der Strafsache gegen Andrzej S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 erster und zweiter Fall und Z 3, 130 dritter und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 37 Hv 42/09t des Landesgerichts Salzburg, über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zu deren Einbringung und seine Grundrechtsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Salzburg vom 23. Juli 2009, GZ 37 Hv 42/09t-188, und des Oberlandesgerichts Linz vom 27. August 2009, AZ 7 Bs 276/09a (ON 194), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

Beschluss

gefasst:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Andrzej S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird, soweit sie den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 27. Juli 2009, GZ 37 Hv 42/09t-188, bekämpft, zurückgewiesen, soweit sie sich aber gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. August 2009, AZ 7 Bs 276/09a (ON 194), richtet, abgewiesen.

Text

Gründe:

Andrzej S***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 19. August 2008, GZ 36 Hv 30/08v-101, des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 erster und zweiter Fall und Z 3, 130 dritter und vierter Fall StGB (I), zweier Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (II und IV), des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 12 dritter Fall, 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (III) sowie des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (V) schuldig erkannt.

In teilweiser Stattgebung einer dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten hob der Oberste Gerichtshof das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, in den Schuldsprüchen I, II und V, demzufolge auch im Strafausspruch auf, ordnete insoweit eine neue Hauptverhandlung an und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Salzburg (AZ 14 Os 9/09v, 14 Os 10/09s; ON 173).

Mit Urteil dieses Gerichts vom 21. September 2009 wurde der Angeklagte „im Sinne der verbliebenen und ausgedehnten Anklage der Staatsanwaltschaft" erneut der genannten strafbaren Handlungen schuldig erkannt und hiefür unter Einbeziehung der bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüche zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 ½ Jahren verurteilt (ON 213), wogegen er fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung anmeldete (ON 215).

In der im zweiten Rechtsgang durchgeführten Hauptverhandlung wurde die über Andrzej S***** am 18. November 2007 verhängte (ON 4) und bereits wiederholt fortgesetzte Untersuchungshaft mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 23. Juli 2009, GZ 37 Hv 42/09t-188, aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit b und c StPO neuerlich fortgesetzt.

Einer dagegen erhobenen Beschwerde des Genannten gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 27. August 2009, AZ 7 Bs 276/09a (ON 194), nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den vom Erstgericht angenommenen Haftgründen an.

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger des Angeklagten - eigenen Angaben zufolge, ein Rückschein findet sich nicht im Akt - am 7. September 2009 zugestellt.

Mit am 15. Oktober 2009 beim Erstgericht überreichtem Schriftsatz begehrte dieser - unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Verfahrenshandlung (§ 364 Abs 1 Z 3 StPO) - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Grundrechtsbeschwerde (ON 227; §§ 4 Abs 1 GRBG, 364 Abs 1 StPO).

Rechtliche Beurteilung

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Darin wird im Wesentlichen eine einmalige Fehlleistung seiner Kanzleiangestellten mit der Begründung geltend gemacht, diese habe es nach korrekter Anbringung der Eingangsstampiglie auf der Beschlussausfertigung versehentlich unterlassen, die 14-tägige Frist für die Erhebung der Grundrechtsbeschwerde im Advokat-Programm vorzumerken, weshalb deren fristgemäße Einbringung unterblieb. Dem Verteidiger sei der Fehler erst 1. Oktober 2009 anlässlich der Ausführung einer Beschwerde gegen einen von der Vorsitzenden des Schöffengerichts am 29. September 2009 gefassten weiteren Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aufgefallen. Die betreffende - seit 1. September 2004 bei ihm angestellte - Sekretärin, die schon zuvor sechs Jahre lang in einer anderen Rechtsanwaltskanzlei tätig war, habe die Post (einschließlich Fristvormerkungen) seit Beginn des Jahres 2006 selbstständig bearbeitet, wobei sie sich uneingeschränkt als äußerst gewissenhaft und zuverlässig erwies.

Dem zulässigen (§ 10 GRBG, 11 Os 60/93) - durch eidesstättige Erklärung der Sekretärin des Verteidigers gestützten - Antrag kommt Berechtigung zu, weil das Verschulden einer Kanzleiangestellten der Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegensteht, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts des Ausbildungsstands, der Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war, und dem Verteidiger keine Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (vgl RIS-Justiz RS0101310, RS0101329; vgl zur vergleichbaren Regelung des § 146 ZPO auch 10 ObS 117/02g).

Zur Grundrechtsbeschwerde:

Soweit sich die Beschwerde inhaltlich gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg wendet und eine Grundrechtsverletzung in der dort unterbliebenen Anführung jener bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht ergibt, erblickt, war sie als unzulässig zurückzuweisen. § 1 Abs 1 GRBG setzt die Erschöpfung des Instanzenzugs voraus, weshalb Beschlüsse, gegen die der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) Beschwerde ergreifen kann, in diesem Umfang nicht Gegenstand der Grundrechtsbeschwerde sind.

Die Behauptung, das Oberlandesgericht Linz habe in dem angefochtenen Beschluss aufgrund einer nach Ablauf der dreitägigen Frist des § 176 Abs 5 StPO, sohin verspätet eingebrachten - ursprünglich als Enthaftungsantrag bezeichneten - „Beschwerdeausführung" (ON 190, 191) „die Fortsetzung der Untersuchungshaft verfügt", trifft nicht zu. Tatsächlich hat der Angeklagte unmittelbar nach Verkündung des Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft sofort - wenn auch unsubstantiiert - Beschwerde erhoben (ON 187 S 54), womit das Oberlandesgericht über eine rechtzeitig eingebrachte Beschwerde (für die keine Ausführungsobliegenheit besteht) entschieden und dabei das Schreiben des Angeklagten - aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO - völlig zu Recht als nachträglich bekannt gewordenen Umstand berücksichtigt hat (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 176 Rz 10; 13 Os 95/08g, EvBl 2008/182, 965; 13 Os 55/09a [13 Os 73/09y]).

Das weitere Beschwerdevorbringen betreffend den vom Oberlandesgericht angenommenen dringenden Tatverdacht (wegen des als hafttragend angesehenen Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 erster und zweiter Fall und Z 3, 130 dritter und vierter Fall StGB), die von diesem Gericht herangezogenen Haftgründe (§ 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit b und c StPO) und das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) beschränkt sich darauf, „auf die Ausführungen ... der als Bescheinigungsmittel vorgelegten Haftbeschwerde vom 2. Oktober 2009" (gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 29. September 2009, ON 217) zu verweisen, welche „ausdrücklich auch zum Vorbringen der Grundrechtsbeschwerde erhoben" werden, womit diese an der den gesetzlichen Bezugspunkt (§ 1 Abs 1 GRBG) bildenden Entscheidung des Oberlandesgerichts vorbeigeht. Nach § 3 Abs 1 GRBG ist darüber hinaus in einer Grundrechtsbeschwerde anzugeben und zu begründen, worin der Beschwerdeführer die Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit erblickt. Der unsubstantiierte Verweis auf einen angeschlossenen - umfangreiches Vorbringen enthaltenden - Schriftsatz, der sich zudem zur angeblichen Verletzung des Beschleunigungsgebots überwiegend auf erst nach der Beschlussfassung des Oberlandesgerichts eingetretene Umstände bezieht (vgl aber das im Grundrechtsbeschwerdeverfahren geltende Neuerungsverbot [RIS-Justiz RS0106584]), wird dieser Begründungspflicht (dazu instruktiv: Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415 ff) nicht gerecht und entzieht sich auch deshalb einer inhaltlichen Erwiderung.

Zudem steht der Grundrechtsbeschwerde insoweit mangelnde Ausschöpfung des Instanzenzugs entgegen (RIS-Justiz RS0114487 [insbesondere T6, T8, T9, T11 bis T15]).

Wie bereits dargelegt hatte der - ordnungsgemäß durch einen Verteidiger vertretene - Angeklagte in der Haftverhandlung bloß unsubstantiiert Beschwerde ergriffen, sodann - zwar vor Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber, aber nach Ablauf der Frist des § 176 Abs 5 StPO - eine „Beschwerdeausführung" eingebracht, welche als nachträglich bekannt gewordener Umstand bei der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu berücksichtigen (13 Os 95/08g, EvBl 2008/182, 965) war. Die in der angeschlossenen Beschwerde gegen den Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 29. September 2009 vorgebrachten Einwände, auf die sich die Grundrechtsbeschwerde (nach dem Vorgesagten ohnehin unzulässig) bezieht, waren überwiegend gar nicht Gegenstand dieses Schreibens, wären aber unter dem Aspekt der Ausschöpfung des Instanzenzugs jedenfalls unbeachtlich gewesen. Nach Maßgabe der durch § 1 Abs 1 GRBG verlangten, nicht bloß formalen (nämlich durch Anrufung des Rechtsmittelgerichts), vielmehr auch inhaltlichen Ausschöpfung (vgl § 88 Abs 1 erster Satz StPO) sind im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nämlich nur jene - nicht allein die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts betreffenden - Argumente im Sinn des § 3 Abs 1 GRBG beachtlich, welche der Beschwerdeführer bereits in einer zulässigen Beschwerde gegenüber dem Rechtsmittelgericht geltend gemacht hatte. Die durch § 61 Abs 1 Z 1 StPO angeordnete notwendige Verteidigung „im gesamten Verfahren, wenn und solange" der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) „in Untersuchungshaft oder gemäß § 173 Abs 4 StPO angehalten wird", ermöglicht ohne weiteres die Einhaltung dieser (bloß) in Betreff der Beschwerdeführung vor dem Höchstgericht geltenden Prozessvoraussetzung (vgl zum Ganzen: 13 Os 55/09a [13 Os 73/09y]).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass ein Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft bereits mit seiner Verkündung - die Frist des § 176 Abs 5 StPO auslösend - bekannt gemacht ist (§ 176 Abs 5 StPO; anders bei nicht der lex specialis des § 176 Abs 5 StPO unterfallenden, schriftlich auszufertigenden Beschlüssen [§ 86 Abs 2 und Abs 3 erster Satz StPO]; vgl dazu: 13 Os 107/08x [13 Os 108/08v, 13 Os 109/08s, 13 Os 130/08d]), was hier - in Anwesenheit des Verteidigers - am 23. Juli 2009 erfolgte, worauf der Angeklagte sofort Beschwerde erhob. Dem Gericht nach Ablauf der dreitägigen Beschwerdefrist unterlaufene Rechtsfehler (hier: die in Bezug auf die Beschwerdefrist [deren Aufnahme in den Beschluss das Gesetz übrigens gar nicht vorsieht; § 174 Abs 3 Z 8 StPO] falsche Rechtsmittelbelehrung [vierzehn statt drei Tage] in der dem Angeklagten am 31. Juli 2009 zugestellten Ausfertigung des Beschlusses vom 23. Juli 2009 [ON 188] und die in gleicher Weise unrichtige mündliche Belehrung des Angeklagten durch die Vorsitzende des Schöffengerichts am 13. August 2009, die ihn dazu bewog, seinen Enthaftungsantrag vom 5. August 2009 zurückzuziehen und einer Wertung des Schreibens als „Beschwerdeausführung" zuzustimmen [ON 190, 191]) vermögen daher an Beginn und Ablauf der Beschwerdefrist nichts zu ändern.

Somit wurde der Angeklagte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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