OGH 14Os144/18k

OGH14Os144/18k5.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Bodinger in der Strafsache gegen Andreas L***** wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG, AZ 27 Hv 10/18h des Landesgerichts Innsbruck, über den Antrag des Angeklagten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 30. November 2018, AZ 7 Bs 299/18f, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00144.18K.0305.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Anklageschrift vom 1. Februar 2018 legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck Andreas L***** zur Last, mehrere Verbrechen nach § 3g VerbotsG begangen zu haben (ON 8 im Verfahren AZ 27 Hv 10/18h des Landesgerichts Innsbruck).

Mit Schriftsatz vom 6. März 2018 regte der Angeklagte durch seinen Verteidiger die „diversionelle Erledigung des …. Strafverfahrens“ an (ON 13), wogegen sich die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die nach ihrer Ansicht – insbesondere aufgrund der Tatwiederholung anzunehmende – schwere Schuld aussprach (ON 14). Daraufhin übermittelte der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs den Akt am 22. Mai 2018 dem Verein Neustart „mit dem Ersuchen um Vermittlung einer gemeinnützigen Leistung für den Angeklagten Andreas L***** in der Dauer von 80 Stunden, zu erbringen binnen einer Frist von längstens sechs Monaten ab Bekanntgabe einer geeigneten Einrichtung“ und teilte dies dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft mit (ON 16; § 201 Abs 4 erster Satz StPO).

Im Anschluss an die durch den Verein Neustart erfolgte Rechtsbelehrung „iSd § 29b Abs 2 BewHG und § 201 StPO“ erklärte sich der Angeklagte diesem gegenüber ausdrücklich bereit, die ihm angebotenen gemeinnützigen Leistungen innerhalb der genannten Frist zu erbringen (ON 17 S 5).

Ein Beschluss auf vorläufige Einstellung (§ 199 iVm § 201 Abs 1 StPO) wurde nicht gefasst.

Nach vollständiger Erbringung der gemeinnützigen Leistungen (ON 18 S 5) stellte der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs das Verfahren mit Beschluss vom 9. November 2018 (ON 19) vielmehr gemäß § 199 StPO iVm § 201 Abs 5 StPO (iVm §§ 7, 19 Abs 2 JGG) – demnach endgültig – ein.

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 20) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 30. November 2018, AZ 7 Bs 299/18f (ON 23), Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf, weil die Schuld des Angeklagten als schwer anzusehen sei (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO).

Gegen diese Entscheidung richtet sich der am 18. Dezember 2018 beim Obersten Gerichtshof eingebrachte Antrag des Angeklagten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO, in dem dieser Verletzungen von Art 4 7. ZPMRK und Art 6 MRK behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Ihm kommt keine Berechtigung zu.

1./ Voraussetzung für einen Verstoß gegen das hier angesprochene „Doppelverfolgungsverbot“ iSd Art 4 7. ZPMRK (vgl dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 163) ist – wie der Antragsteller zutreffend hervorhebt – ein durch rechtskräftige Verurteilung oder rechtskräftigen Freispruch endgültig abgeschlossenes strafrechtliches Verfahren. Einem rechtskräftigen Freispruch in diesem Sinn kommt auch eine rechtskräftige endgültige Vefahrenseinstellung aus den in §§ 198 ff StPO genannten Gründen gleich (vgl zu Art 54 SDÜ 11 Os 73/13i, SSt 2013/38 mwN).

Richtig ist auch, dass das Gericht, das – wie hier   – eine Verfahrenseinstellung nach § 199 iVm § 201 Abs 4 StPO ins Auge fasst, dem Angeklagten das entsprechende Angebot erst nach Anhörung der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis zu bringen (§ 209 Abs 2 zweiter Satz StPO) und ihn dabei auch darüber aufzuklären hat (§ 207 StPO), dass der mit einer solchen Vorgangsweise nicht einverstandenen Anklagebehörde gemäß § 87 Abs 1, § 209 Abs 2 StPO ein Beschwerderecht gegen die vorläufige Verfahrenseinstellung zukommt (Schroll, WK‑StPO § 201 Rz 11; Leitner in

Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 209 Rz 4). Eine solche Information (des anwaltlich vertretenen Angeklagten) lässt sich dem Akteninhalt nicht mit Bestimmtheit entnehmen.

Nach § 201 Abs 1 und 4 StPO hat (hier) der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs (§§ 199, 209 Abs 2 erster Satz StPO iVm §§ 7, 19 Abs 2 JGG) das Verfahren ferner mit – vorliegend nicht gefasstem – Beschluss vorläufig einzustellen, wenn die Voraussetzungen des § 198 StPO (iVm § 7 JGG) vorliegen und der Angeklagte sich (wie hier) ausdrücklich bereit erklärt hat, binnen bestimmter Frist (von höchstens sechs Monaten) unentgeltlich gemeinnützige Leistungen in nach Art und Ausmaß bestimmter Weise zu erbringen (vgl zuletzt 15 Os 50/18v ua; siehe auch 12 Os 65/12v ua). Diese Entscheidung ist dem Angeklagten erst zuzustellen, wenn sie der (anfechtungsberechtigten) Staatsanwaltschaft gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist (§ 209 Abs 2 letzter Halbsatz StPO; zum Ganzen erneut Schroll, WK‑StPO § 201 Rz 11).

Der Erneuerungswerber behauptet, die Nichteinhaltung der angeführten Vorschriften durch das Erstgericht (insbesondere das Unterbleiben einer Information über das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft) hätte auch mit Blick auf die Formulierung des Diversionsangebots dazu geführt, dass der Angeklagte „nach Treu und Glauben“ von dessen „Rechtskraft“, also davon ausgehen konnte, die vollständige Erbringung der gemeinnützigen Leistung werde „in jedem Fall zur Einstellung des Verfahrens führen“. Er verweist weiters auf § 201 Abs 5 StPO sowie das Fehlen von Fortsetzungsgründen nach § 205 StPO und stellt (unter Berufung auf § 209 Abs 2 letzter Halbsatz StPO und die [angeblich] „unklare Rechtslage“ hinsichtlich der Anrechnung der bereits erbrachten gemeinnützigen Leistungen auf eine allenfalls zu verhängende Strafe) Überlegungen zu einem– nach seiner Ansicht „auch bei Fehlen eines Beschlusses über die vorläufige Einstellung gemäß § 201 Abs 1 StPO“ – (auf die Einwendung der Nichterfüllung der Bedingungen für eine endgültige Diversionsentscheidung) eingeschränkten Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss auf endgültige Einstellung des Verfahrens an.

Weshalb es sich aufgrund der angeführten Umstände bei der (weder vom Beschuldigten noch von der Staatsanwaltschaft anfechtbaren [vgl dazu RIS‑Justiz RS0119663 {T1}; Schroll, WK-StPO § 201 Rz 11/1]) Mitteilung des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs nach § 201 Abs 4 erster Satz StPO vom 22. Mai 2018 – „in Verbindung mit der vollständigen Erbringung der diversionellen Leistung“ – um eine rechtskräftige Verurteilung oder einen rechtskräftigen Freispruch iSd Art 4 7. ZPMRK, also um eine nicht bloß Bindungswirkung (im Sinne des Immutabilitätsprinzips; § 205 Abs 3 letzter Satz StPO), sondern Sperrwirkung (im Sinne des Prinzips „ne bis in idem“; vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 20 ff; Schroll, WK‑StPO § 205 Rz 1 ff) entfaltende (gerichtliche) Entscheidung handeln sollte, mit welcher das Strafverfahren endgültig abgeschlossen worden wäre (siehe RIS-Justiz RS0122573; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 164 f; vgl auch RIS-Justiz RS0122333), wird damit nicht klar.

Denn der Staatsanwaltschaft kommt gemäß § 209 Abs 2 dritter Satz StPO gegen einen (wie hier: vom Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs am 9. November 2018 gemäß § 201 Abs 5 StPO iVm § 199 StPO gefassten) Beschluss, mit dem das Verfahren eingestellt wird, ein Beschwerderecht (unter anderem) zu dem Zweck zu, im Falle des Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung eine Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht und die Fortführung des Verfahrens zu erwirken (RIS‑Justiz RS0128369; Schroll, WK‑StPO § 209 Rz 6 ff).

Die vom Erneuerungswerber in diesem Zusammenhang angesprochene (aus der materiellen Rechtskraftwirkung von gerichtlichen Entscheidungen [vgl Lewisch, WK‑StPO Vor §§ 352–363 Rz 15 f, 47 ff] resultierende) Einschränkung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft auf die Einwendung der Nichterfüllung der Bedingungen für eine endgültige Diversionsentscheidung (hier: der Erbringung der [gesamten] gemeinnützigen Leistungen) greift nur, wenn in einer insoweit unangefochten gebliebenen oder vom Beschwerdegericht getroffenen Entscheidung über eine vorläufige Verfahrenseinstellung (gemäß § 201 Abs 1 StPO iVm § 199 StPO) die Diversionsvoraussetzungen bejaht wurden (vgl Schroll, WK‑StPO § 209 Rz 9 mwN sowie Leitner in

Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 209 Rz 8). Eine solche ist vorliegend – wie bereits ausgeführt – gerade nicht vorangegangen. Die tatsächliche Erbringung der gemeinnützigen Leistungen – die im Falle einer nachträglichen Verurteilung gemäß § 205 Abs 5 vierter Satz StPO entgegen dem Beschwerdestandpunkt jedenfalls angemessen auf die Strafe anzurechnen sind (vgl RIS‑Justiz RS0130516; Schroll, WK‑StPO § 205 Rz 16) – ist dabei ohne rechtliche Relevanz.

2./ Im Umfang der behaupteten Verletzungen des Art 6 MRK schlägt das Vorbringen, das zudem die nach dem Akteninhalt erfolgte Belehrung des Angeklagten nach § 207 StPO iVm § 201 Abs 4 zweiter Satz StPO nicht erwähnt (ON 17 S 5; vgl dazu Schroll, WK‑StPO § 201 Rz 9 und 10), schon insoweit fehl, als dessen Anwendungsbereich nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Obersten Gerichtshofs (soweit hier von Relevanz:) auf die Entscheidung in Verfahren über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage beschränkt ist (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 28), worunter eine die Diversion ablehnende Entscheidung jedoch nicht fällt (RIS‑Justiz RS0128231; Schroll, WK‑StPO § 209 Rz 12). Eine andere Aussage ist auch der für den gegenteiligen Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (11 Os 15/12h, 20/12v), die dem eben zitierten Rechtssatz zugrunde liegt, nicht mit Bestimmtheit zu entnehmen.

Davon abgesehen wird auch mit der These, dass alleine die Konfrontation eines jungen Menschen mit der Situation eines Verfahrens vor dem Geschworenengericht (zumal wegen einer strafbaren Handlung, die nicht aufgrund ihrer Strafdrohung, sondern „aus politischen Gründen“ in die Zuständigkeit des Geschworenengerichts falle) „besonders stigmatisierend“ sei, nicht erklärt, weshalb die unter dem Gesichtspunkt des Art 6 Abs 1 MRK behaupteten Verfahrensmängel („Verletzung des Prinzips von Treu und Glauben“ durch das Erwecken des Anscheins einer Verfahrenseinstellung im Fall der Annahme und Erfüllung des Diversionsangebots sowie das Unterbleiben einer Belehrung über das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft, weiters Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und Waffengleichheit im – gemäß § 209 Abs 2 StPO einseitig geführten – Beschwerdeverfahren) im weiteren Hauptverfahren nicht iSd Art 13 MRK wirksam geltend gemacht werden könnten, obwohl es dem Angeklagten unbenommen bleibt, neue Argumente für das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 198 Abs 2 Z 2 StPO vorzubringen und er seinen Standpunkt selbst bei unverändert gebliebener Sachlage mit Diversionsrüge (hier: aus § 345 Abs 1 Z 12a StPO) durchsetzen kann (RIS‑Justiz RS0126370; vgl erneut 11 Os 15/12h, 20/12v; Schroll, WK‑StPO § 209 Rz 15/1; Grabenwarter, WK‑StPO § 8 Rz 15).

Der Antrag war daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO).

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