OGH 14Os123/07f

OGH14Os123/07f13.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Lässig sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johnson C***** wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 25. Juli 2007, GZ 162 Hv 57/07a-73, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Höpler, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Grollmann, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthaltenden - Urteil wurde Johnson C***** anklagedifform des Vergehens nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG schuldig erkannt. Danach hat er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar ab einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt Anfang Dezember 2006 bis Anfang Februar 2007 zumindest 3,2 Gramm reines Heroin und 24 Gramm reines Kokain, indem er diese Suchtgiftmenge in zahlreichen Angriffen von Monday O***** („Officer") übernahm, in Kugeln verpackte und wieder an Monday O***** übergab, und am 7. Februar 2007 91 Kugeln Heroin (1,2 Gramm reines Heroin) und 33 Kugeln Kokain (5,4 Gramm reines Kokain), welche er in seinen Socken und Schuhen zum Zweck der Lieferung an den abgesondert verfolgten Monday O***** verwahrt hatte, wobei er jedoch noch in seiner Wohnung betreten wurde.

Der dagegen auf den Grund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Sie wendet sich gegen die Ansicht des Erstgerichts, wonach die - anklagekonforme - rechtliche Einordnung der dem Schuldspruch (im Umfang der in Punkt A./I./ der Anklage ON 50 beschriebenen) zugrundeliegenden Tathandlungen (betreffend 3,2 Gramm reines Heroin und 24 Gramm reines Kokain) als Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG deshalb nicht in Betracht komme, weil Monday O***** Mitgewahrsam an dem Suchtgift behielt und somit durch die Rückgabe des verpackten Suchtgifts kein neuer Gewahrsam begründet wurde (US 10).

Nach den wesentlichen Urteilskonstatierungen hat der Angeklagte ab Anfang Dezember 2006 bis ca Anfang Februar 2007 ein- bis zweimal wöchentlich 20 bis 30 Gramm Heroin und Kokain (brutto) in der Aufteilung von etwa zwei Drittel Heroin und ein Drittel Kokain von Monday O***** übernommen, das Suchtgift ungestreckt in Form von Suchtgiftkugeln verpackt und es Monday O***** zurückgegeben. Die Übergabe durch Monday O***** und das Verpacken erfolgte immer in der von jenem angemieteten, jedoch nur gelegentlich benutzten Wohnung, die dem Angeklagten von Monday O***** überlassen wurde und in der er wohnhaft und unter falschem Namen gemeldet war. Die Rückgabe des verpackten Suchtgifts erfolgte teilweise ebenfalls in der Wohnung, teilweise außerhalb. Für das Abpacken erhielt der Angeklagte pro verpacktem Gramm einen Euro, insgesamt somit ca 240 Euro. Er wusste von Beginn an, dass er seine Verpackungstätigkeit über eine längere Zeit durchführen würde und hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, insgesamt eine große Menge Suchtgift zu verpacken (US 5 f).

Die vorschriftswidrige Weitergabe von Suchtgift an andere Personen ist - bei Weitergabe einer großen Suchtgiftmenge - dann kein „Inverkehrsetzen" nach § 28 Abs 2 SMG und auch kein (inhaltsgleiches) „Überlassen" von Suchtgift (nach § 27 Abs 1 SMG), wenn diese Personen zuvor schon zumindest (Mit-)Gewahrsam an Suchtgift erlangt und diesen Gewahrsam in weiterer Folge auch nicht aufgegeben haben (RIS-Justiz RS0115882; 13 Os 76/95, 12 Os 53/01 ua).

Der Gewahrsamsbegriff im Zusammenhang mit einem Inverkehrsetzen iSd § 28 Abs 2 vierter Fall SMG ist in gleicher Weise auszulegen wie jener bei den Vermögensdelikten; ein deliktsbezogen unterschiedlicher Bedeutungsinhalt im Hinblick auf das (zumeist ungeschriebene) Tatbildmerkmal „Gewahrsam" ist der Judikatur nicht zu entnehmen (vgl RIS-Justiz RS0088010, RS0115882).

Dieser Gewahrsamsbegriff knüpft als faktisch-normativer Begriff an die mit Herrschaftswillen verbundene tatsächliche Sachherrschaft an. Das solcherart angesprochene Verhältnis erfordert indes keine greifbare Nähe zur Sache. Vielmehr reicht auch jede Form eines sogenannten gelockerten Gewahrsams im Sinn einer sozialen Zuordnung eines Gegenstands zu einer Person (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 127 Rz 64 ff). Diese im Gewahrsam befindliche Sache muss auch bei fehlender körperlicher Anwesenheit des Gewahrsamsträgers diesem kraft sozialer Zuschreibungsmomente zuordenbar sein. Wesentliches Kriterium ist die potentielle Überwachung durch die übergeordneten Gewahrsam ausübende Person (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 127 Rz 90; 14 Os 51/03). Das Kriterium einer Kontroll- und Überwachungsmöglichkeit im Sinn der sozialen Zuschreibung ist eher eng zu fassen; diese darf sich für den unmittelbaren Sachinhaber nicht bloß als abstrakt-theoretische Variante darstellen. Umgekehrt ist aber eine permanente tatsächliche Kontrolle ebensowenig geboten, um sich schon bestehenden Mitgewahrsam zu erhalten. Es genügt insoweit eine rasch realisierbare Nachschau durch die übergeordneten Mitgewahrsam ausübende Person.

Dass jemand anderer noch näher an der Sache ist und diese unmittelbar in Händen hält, vermag den bisherigen Gewahrsam nicht eo ipso aufzuheben (vgl insbesondere 14 Os 51/03; 12 Os 48/04). An Sachen, die jemand in der von ihm (mit-)benutzten Wohnung zurücklässt und dort wieder an sich nimmt, bleibt ein Mitgewahrsam auch dann bestehen, wenn in der Wohnung ein anderer zwischenzeitig Zugriff auf diese Sache hat (vgl 15 Os 108/90, JBl 1991, 808) und diese - wie im vorliegenden Fall - dort auch bearbeitet. Soweit der Angeklagte daher Suchtgift in der Wohnung von seinem Mitbewohner Monday O***** übernahm und dort an diesen wieder ausfolgte, lag in Bezug auf die zur Verpackung übernommenen Suchtgifte nur Mitgewahrsam des Angeklagten bei gleichzeitig weiterbestehendem übergeordneten Mitgewahrsam des Überbringers der Suchtgifte vor (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 127 Rz 71; 15 Os 108/90, JBl 1991, 808). Die Aufgabe des Mitgewahrsams durch die Rückübergabe an den Auftraggeber ist somit nicht als Inverkehrsetzen zu beurteilen.

Soweit der Angeklagte eine (insoweit nach der Aktenlage nicht mehr weiter konkretisierbare) unbestimmte Menge des von Monday O***** in die Wohnung gebrachten Heroins und Kokains dort für den Überbringer verpackte und sodann diese Suchtmittelsubstanz an den Auftraggeber außerhalb der Wohnung ablieferte, ergibt sich fallbezogen nach den dargelegten Kriterien gleichfalls eine soziale Zuordnung des Suchtgifts im Sinne eines gelockerten Gewahrsams des Auftraggebers Monday O***** und eines damit einhergehenden bloß nachgeordneten Mitgewahrsams des Angeklagten, der die inkriminierten Tatobjekte aus der vom Auftraggeber jedenfalls mitbenutzten (US 5 und 10) Wohnung im fünften Bezirk, somit aus dessen unmittelbarem sozialen Nahbereich zu dessen momentanen Aufenthaltsort im 22. Bezirk brachte. Bei dieser Ausgangslage ließe sich nach der Aktenlage auch in einem weiteren Rechtsgang keine Feststellung treffen, wonach Monday O***** die jederzeitige Möglichkeit einer rasch realisierbaren Nachschau verwehrt gewesen sein könnte, sodass von einer Rückverweisung an die erste Instanz abgesehen werden kann (vgl Ratz, WK-StPO § 288 Rz 24). Besteht doch angesichts der (bei verständiger Lesart; vgl US 6, 8 und 10) im Urteil schon beschriebenen Position des das Suchtgift in eine gemeinsam genutzte Wohnung liefernden, die Verpackung in Auftrag gebenden, den Angeklagten dafür entlohnenden (vgl US 6) Monday O***** eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage, um die für die Gewahrsamsfrage entscheidende soziale Zuordnung des Suchtgifts vornehmen zu können.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte Johnson C***** nach § 28 Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren, wobei es als erschwerend die zwei auf derselben schädlichen Neigung beruhenden (ansich rückfallsbegründenden) Vorverurteilungen und den raschen Rückfall, als mildernd hingegen das Teilgeständnis sowie den Umstand, dass er die Taten von Anfang Dezember 2006 bis 28. Dezember 2006 zwar nach Vollendung des 18., aber vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat, wertete.

Auch der dagegen auf Erhöhung der Strafe antragenden Berufung der Staatsanwaltschaft kommt keine Berechtigung zu, geht diese doch vornehmlich davon aus, dass entsprechend einer Stattgebung ihrer Nichtigkeitsbeschwerde der höhere Strafrahmen des § 28 Abs 3 erster Strafsatz SMG in Anschlag gebracht wird.

Mit Blick auf die vom Erstgericht richtig erfassten Strafzumessungsgründe und den Umstand, dass ein Teil des Suchtgifts sichergestellt werden konnte, sieht sich der Oberste Gerichtshof auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Strafschärfung bei Rückfall zu einer Änderung der vom Schöffengericht ausgewogen ausgemittelten Sanktion nicht bestimmt.

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