Spruch:
I. In der Strafsache AZ 1 U 19/07d des Bezirksgerichtes T***** verletzen das Gesetz
1. die Vornahme der Hauptverhandlung am 13. April 2007 trotz Abwesenheit des am 6. Oktober 1987 geborenen Beschuldigten Said H***** (ON 10) und die anschließende Urteilsfällung über diesen (ON 12) in der Bestimmung des § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG und § 459 StPO,
2. das Abwesenheitsurteil vom 13. April 2007, GZ 1 U 19/07d-12, soweit es sich auf Straftaten bezieht, die Gegenstand des gar nicht fortgesetzten Verfahrens AZ 1 U 56/06v des Bezirksgerichtes T***** waren, in der Bestimmung des § 90h Abs 2 (90b) StPO,
3. der unvollständige Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll über den Inhalt des am 13. April 2007 verkündeten Urteils in der Bestimmung des § 271 Abs 1 Z 7 (iVm § 447) StPO
4. die im Urteil erfolgte Subsumtion der den Schuldsprüchen B/1/b und B/1/c zugrunde liegenden Taten des Said H***** als (zwei) Vergehen „jeweils des Diebstahls gemäß § 127 StGB" in der Bestimmung des § 29 StGB;
II. das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes T***** vom 13. April 2007, GZ 1 U 19/07d-12, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem den Beschuldigten Said H***** betreffenden Schuld- und Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.
III. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
In dem beim Bezirksgericht T***** zu AZ 1 U 56/06v anhängigen Verfahren gegen Said H***** wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, des Diebstahls nach § 127 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB fasste der Bezirksrichter in der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 2006 „im Bezug auf den Beschuldigten H***** den Beschluss auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 90c StPO" und setzte gleichzeitig das „Bußgeld" mit „500 Euro (50 Tagessätze a 10 Euro)" und „die Pauschalkosten" mit 100 Euro fest. In der - fälschlich mit 23. Oktober 2006 datierten - schriftlichen Ausfertigung dieses Beschlusses, GZ 1 U 56/06v-22, wird „von der Verfolgung der in diesem Verfahren angezeigten strafbaren Handlungen zurückgetreten", und weiter: „Der Rücktritt von der Verfolgung wird davon abhängig gemacht, dass die Beschuldigte binnen 4 Wochen 1) einen Geldbetrag von 500 Euro als Geldbuße bezahlt (50 Tagessätze zu je 10 Euro) und 2) die Kosten des Verfahrens in Höhe von 100 Euro bezahlt". Die Bezirksanwältin verzichtete auf ein Rechtsmittel dagegen (ON 22).
Mit weiterem Beschluss des Bezirksgerichtes T***** vom 22. November 2006 wurde dem Beschuldigten über seinen Antrag die Bezahlung des Geldbetrages und der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens in fünf Monatsraten, beginnend ab 5. Dezember 2006 gestattet (ON 25 in ON 11). Nach der Aktenlage hat der Genannte inzwischen 4 Raten á 100 Euro sowie die „Verfahrenskosten" in Höhe von 100 Euro bezahlt (vgl Erlagscheine im Aktendeckel ON 11). Am 12. Februar 2007 wurde zu AZ 1 U 19/07d des Bezirksgerichtes T***** ein weiterer Bestrafungsantrag gegen den Beschuldigten Said H***** wegen eines am 12. November 2006 verübten Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB eingebracht (ON 3). Die Vorladung zu der daraufhin für den 13. April 2007 anberaumten Hauptverhandlung wurde dem Genannten am 22. März 2007 durch Hinterlegung zugestellt (S 1a).
Die Hauptverhandlung vom 13. April 2007 wurde in Abwesenheit (§ 459 StPO) des am 6. Oktober 1987 geborenen Beschuldigten Said H***** und des mitangeklagten erwachsenen Beschuldigten Edis T***** durchgeführt (ON 10).
Im Zuge dieser Verhandlung verkündete der Bezirksrichter zunächst den „Beschluss auf Fortsetzung des Strafverfahrens 1 U 56/06v hinsichtlich des H***** Said" (S 60) und - nach Vernehmung einer Zeugin - jenen „auf Einbeziehung des Aktes 1 U 56/06v in den Akt 1 U 19/07d hinsichtlich des Beschuldigten H*****" (S 61). Nach Schluss des Beweisverfahrens erging ein (unbekämpft gebliebenes) Abwesenheitsurteil.
Im Hauptverhandlungsprotokoll wurde dazu festgehalten: „Der Beschuldigten Said H***** ist schuldig und wird zu einer Geldstrafe von 70 TS zu je 16 Euro verurteilt, im NEF 35 T EFS und Kostenersatz. Freispruch zu Faktum 2 ON 6 (Strafantrag vom 28. 7. 2006). ..." sowie „Der Beschuldigte T***** Edis ist schuldig und wird zu einer Geldstrafe .... verurteilt. ..." (S 61).
Nach dem Inhalt der - Said H***** samt Rechtsmittelbelehrung am 8. Mai 2007 durch Hinterlegung zugestellten - schriftlichen Urteilsausfertigung wurde dieser Beschuldigte der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs 1 StGB (zu B/1/a), „jeweils des Diebstahls gemäß § 127 StGB" (zu B/1/b und c) und der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB (B/1/d) schuldig erkannt, wobei den Schuldsprüchen zu B/1/a, b und c Straftaten zugrunde lagen, die ursprünglich Gegenstand des Verfahrens AZ 1 U 56/06v des Bezirksgerichtes T***** waren. Der Freispruch vom Vorwurf, eine weitere fremde bewegliche Sache zerstört zu haben, bezog sich ebenfalls auf einen Sachverhalt der Gegenstand des „einbezogenen" Verfahrens war.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zunächst zutreffend aufzeigt, liegen mehrfache Gesetzesverletzungen vor:
1. Gemäß § 32 Abs 1 JGG sind (ua) die §§ 427 und 459 zweiter und dritter Satz StPO bei jugendlichen Beschuldigten nicht anzuwenden. Dieses hiemit umschriebene Verbot der Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit eines jugendlichen Beschuldigten gilt gemäß § 46a Abs 2 JGG ebenso für einen Beschuldigten, der im Zeitpunkt der Verfahrenshandlung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (sogenannter junger Erwachsener). Am 13. April 2007 war der am 6. Oktober 1987 geborene Said H***** erst 19 Jahre alt, sodass an diesem Tag in seiner Abwesenheit weder die Hauptverhandlung durchgeführt noch das Urteil gefällt und verkündet hätte werden dürfen.
2. § 271 Abs 1 Z 7 StPO sieht vor, dass das bei sonstiger Nichtigkeit aufzunehmende Protokoll auch den Spruch des Urteils mit sämtlichen in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Angaben - und damit auch den Ausspruch, welcher Tat der Angeklagte für schuldig befunden worden ist (Z 1), welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, begründet wird und ob die strafbare Handlung ein Verbrechen oder ein Vergehen ist (Z 2) - zu enthalten hat. Der oben zitierte Vermerk im Hauptverhandungsprotokoll vom 13. April 2007 zum verkündeten Abwesenheitsurteil, dass nämlich Said H***** und Edis T***** „schuldig" seien, in Verbindung mit der Anführung der verhängten Strafen und - hinsichtlich Said H***** - eines „Freispruchs zu Faktum 2 ON 6 (Strafantrag vom 28. 7. 2006)", genügt diesen Anforderungen nicht und verstößt damit gegen § 271 Abs 1 Z 7 (iVm § 447) StPO.
3. Nach dem Zusammenrechnungsprinzip des § 29 StGB bilden alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen und jeder für sich rechtlich verschiedener Art sein, bei der rechtlichen Beurteilung eine Subsumtionseinheit (Leukauf/Steininger StGB3 RN 5; Mayerhofer StGB5 E 5, Ratz in WK² Rz 5 und 6 - alle zu § 29; RIS-Justiz RS0114927). Die (getrennte) Annahme zweier Vergehen nach § 127 StGB in der schriftlichen Ausfertigung des Abwesenheitsurteils des Bezirksgerichtes T***** vom 13. April 2007 ist daher unzulässig; vielmehr liegt nur eine strafbare Handlung vor (vgl Fabrizy StGB8 § 29 Rz 2).
Schon die zu 1. aufgezeigte Gesetzesverletzung, die dem Beschuldigten zum Nachteil gereicht, erfordert die Aufhebung des Abwesenheitsurteils vom 13. April 2007, AZ 1 U 19/07d des Bezirksgerichtes T*****, im den Beschuldigten Said H***** betreffenden Schuld- und Strafausspruch und die Verweisung der Sache im Umfang der Urteilsaufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.
Soweit der Generalprokurator Verletzungen auch der §§ 77, 90h Abs 2 und Abs 3 und 90l Abs 4 StPO durch den „Beschluss vom 13. April 2007 auf Fortsetzung des Strafverfahrens 1 U 56/06v hinsichtlich Said H*****" (S 60), das Unterbleiben der Zustellung dieses „Beschlusses" an den Beschuldigten sowie die (sofortige) Ausdehnung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung auf die dem betreffenden Strafverfahren zugrunde liegenden „strafbaren Handlungen" vor Rechtskraft des Fortsetzungsbeschlusses geltend macht, hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Im Fall einer (im Verfahren AZ 1 U 56/06v des Bezirksgerichtes T***** aktuellen) diversionellen Maßnahme nach § 90c StPO darf das Strafverfahren erst nach Zahlung der auferlegten Geldbuße eingestellt werden (§ 90c Abs 5 StPO). Wählt das Gericht - wie hier - den im Gesetz gar nicht vorgesehenen Weg einer „Einstellung" bei gleichzeitiger Bestimmung eines „Bußgeldes" und von „Pauschalkosten" (vorliegend auch bezeichnet als „Rücktritt von der Verfolgung" unter der Bedingung der Zahlung einer Geldbuße und der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens), stellt diese Verfügung eine bloß falsch bezeichnete Mitteilung nach § 90c Abs 4 (§ 90b) StPO dar (EvBl 1997/89). Diese entfaltet jedoch als nicht bloß prozessleitende Verfügung Bindungswirkung (Immutabilitätsprinzip; vgl dazu Schroll, WK-StPO § 90h Rz 1 mwN; 14 Os 24/05v, SSt 2005/28 = EvBl 1005/137, 639 = RZ 2006/9).
Danach ist eine formlose Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 90h Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 oder Abs 3 zweiter Satz StPO oder dann zulässig, wenn Umstände eintreten, die den Wegfall einer der im § 90a Abs 2 Z 1 bis 3 StPO genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen zur Folge haben (Schroll, WK-StPO § 90h Rz 9, 13, 19 f). Fallaktuell hat eine Fortsetzung des Verfahrens gar nicht stattgefunden:
Das Gesetz sieht nur in bestimmten Fällen vor, dass dem Betroffenen eine gerichtliche Erledigung außerhalb einer Haupt- oder Haftverhandlung mündlich eröffnet wird (vgl §§ 179 Abs 3, 234, 269, 427 Abs 1 zweiter Satz StPO). Im Übrigen werden gerichtliche Erledigungen (auch) durch Verkündung in einer gerade (auch) dafür vorgesehenen Verhandlung (Hauptverhandlung oder Haftverhandlung) wirksam (§ 77 Abs 1 StPO).
Nach § 86 Abs 2 StPRefG (BGBl I 2004/19) ist übrigens ein Beschluss ausdrücklich nur dann mündlich zu verkünden, wenn dies im Gesetz vorgesehen ist. Die Entscheidung ist dann längstens binnen vierzehn Tagen auszufertigen und (ua) den Beschwerdeberechtigten zuzustellen. Verzichten die zur Beschwerde Berechtigten jedoch sogleich nach Verkündung des Beschlusses auf dessen Ausfertigung und Zustellung (oder sieht das Gesetz die Verkündung in der Hauptverhandlung vor, ohne dass es dagegen ein selbständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtsmittel zulässt) so hat das Gericht den wesentlichen Beschlussinhalt zu protokollieren (§ 86 Abs 3 StPRefG). Fallaktuell hat der (wenn auch im konkreten Einzelfall für beide Strafsachen zuständige) Bezirksrichter seinen Willen, das Verfahren 1 U 56/06v des Bezirksgerichtes T***** fortzusetzen, in der Hauptverhandlung im Verfahren zu AZ 1 U 19/07d des selben Gerichtes in Abwesenheit des Beschuldigten (und ohne die gesetzlichen Grundlagen oder die Begründung offenzulegen) bekundet. Eine Verhandlung ist im Falle einer vom Gericht intendierten Fortsetzung nach § 90h Abs 2 StPO im Gesetz aber gar nicht vorgesehen. Die Ausdehnung einer Hauptverhandlung auf Straftaten, die Gegenstand eines laufenden Diversionsverfahrens sind, hinwieder setzt dessen Fortsetzung, demnach einen in Rechtskraft erwachsenen Fortsetzungsbeschluss, voraus (§ 90 l Abs 4 StPO; Schroll, WK-StPO § 90h Rz 21).
Ist eine Verkündung des Beschlusses nach § 90h Abs 2 StPO nicht vorgesehen, wird die gerichtliche Entscheidung erst durch - hier nicht erfolgte - Übergabe der schriftlichen Fassung des Fortsetzungsbeschlusses an die Geschäftsstelle zur Ausfertigung existent (ÖJZ-LSK 1996/231; RIS-Justiz RS0096901).
Für eine Planwidrigkeit hinsichtlich der vom Gesetz nicht eingeräumten Möglichkeit zur Verkündung eines Fortsetzungsbeschlusses in einer Hauptverhandlung nach § 90h Abs 2 StPO besteht - anders als in den Fällen der Abs 1 zweiter Satz und Abs 3 zweiter Satz des § 90h StPO - mit Blick auf den Grundsatz auf angemessene Vorbereitung der Verteidigung nach Art 6 Abs 3 lit b MRK kein Anhaltspunkt (vgl 13 Os 41/03, SSt 2003/63 = EvBl 2004/35, 146 = JBl 2005, 193). Demnach ist in dem vom Generalprokurator als gesetzwidrig kritisierten Vorgang eine Beschlussfassung nicht zu erblicken und das Gesetz durch die unzulässige Verurteilung wegen Straftaten, die Gegenstand eines gar nicht fortgesetzten Verfahrens waren (nicht aber durch einen Fortsetzungsbeschluss), in der Bestimmung des § 90h Abs 2 StPO verletzt.
Bleibt anzumerken, dass eine Fortsetzung aus dem Grunde des § 90h Abs 2 Z 3 StPO mit Blick auf den Zeitablauf seit Einbringung des (neuen) Antrags auf Bestrafung vom 12. Februar 2007 nicht mehr in Frage kommt.
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