European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00082.21I.1214.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden
1) das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch und
2) der zugleich gefasste Beschluss auf Erteilung einer Weisung
aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung zu 1 in der Sache selbst erkannt:
* H* wird für die ihm nach dem Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 20. April 2021 (ON 16) zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II), unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 43a Abs 2 StGB nach § 207 Abs 1 StGB gemäß § 31 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 2. Februar 2004, AZ 4 U 135/02m, zu einer
Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 10 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit gemäß § 19 Abs 3 StGB zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen, und zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten als Zusatzstrafe verurteilt.
Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die Aufhebung und die Strafneubemessung verwiesen.
Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er im Herbst 2000 in S*
(I) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er die zum Tatzeitpunkt achtjährige T* Ho* im unbekleideten Scheidenbereich massierte, und
(II) durch die zu I beschriebene Tathandlung an einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung dieser Stellung eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus Z 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise berechtigt.
[4] Die Mängelrüge (Z 5) bekämpft – unter Hinweis auf die von den Tatrichtern verworfenen Aussagen des Angeklagten und seiner Ehegattin (vgl US 5 f und US 7) – die erstgerichtliche Annahme der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin T* Ho* (insbesondere US 6 und US 8). Dabei verkennt sie, dass die Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) – so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist (was hier nicht behauptet wird) – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist (RIS‑Justiz RS0106588 [T13]).
[5] Die von der Beschwerde als übergangen kritisierten (Z 5 zweiter Fall, zum Aspekt der Unvollständigkeit im gegebenen Zusammenhang siehe RIS‑Justiz RS0106588 [T15]) „Unstimmigkeiten“ in den Angaben des Opfers haben die Tatrichter ausdrücklich in ihre Beweiswürdigung miteinbezogen (US 6, zum Umfang der Erörterungspflicht von Beweisaussagen vgl RIS‑Justiz RS0106642).
[6] Die Aussage des Zeugen P* Ho*, es habe nicht nur seine Schwester T* sondern auch sein kleinerer Bruder beim Angeklagten übernachtet, wurde der Beschwerdebehauptung (Z 5 zweiter Fall) zuwider sehr wohl berücksichtigt (US 7).
[7] Dass die Tatrichter den Angaben der Zeugin T* Ho* Glauben schenkten, jenen ihres um drei Jahre älteren Bruders P* Ho* jedoch unter dem Hinweis, dass dieser „damals selbst noch ein Kind“ gewesen sei, nicht folgten (US 7), stellt entgegen der Beschwerdebehauptung keinen Widerspruch im Sinn der Z 5 dritter Fall dar.
[8] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo) wird ein aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS‑Justiz RS0102162).
[9] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
[10] Hingegen macht die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) zutreffend geltend, dass – wie auch das Erstgericht einräumt (US 10) – eine Bedachtnahme (§ 31 StGB) auf das Vor‑Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 12. Februar 2004, AZ 4 U 135/02m, zu Unrecht unterblieben ist. Denn die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Tat war schon vor dem genannten Vor‑Urteil verübt worden, hätte also bereits im bezeichneten Verfahren abgeurteilt werden können.
[11] Demzufolge waren der Strafausspruch sowie der zugleich gefasste Beschluss auf Erteilung einer Weisung (ON 17) – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – aufzuheben und im Umfang der Aufhebung des Strafausspruchs in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO).
[12] Dazu ist vorweg festzuhalten, dass der Angeklagte mit Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 12. Februar 2004, AZ 4 U 135/02m, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 3 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 45 Tagen verurteilt worden ist.
[13] Bei der Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit mehreren Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und die einschlägigen Vorstrafen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) als erschwerend, keinen Umstand als mildernd.
[14] Davon ausgehend (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) war auf der Basis der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) unter Berücksichtigung des Alters des Opfers von nur acht Jahren (§ 32 Abs 3 StGB) sowie unter Bedachtnahme auf § 40 StGB die im Spruch ersichtliche Zusatzstrafe (§ 31 Abs 1 StGB) schuldangemessen.
[15] Da aus generalpräventiven Erwägungen eine bedingte Nachsicht der gesamten zu verhängenden Freiheitsstrafe von 18 Monaten nicht ausgesprochen werden konnte, war an Stelle eines Teils der Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu erkennen, weil im Hinblick darauf der verbleibende Teil der Freiheitsstrafe gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehen werden konnte (§ 43a Abs 2 StGB).
[16] Die Höhe des Tagessatzes war auf der Basis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten, der – eigenen Angaben zufolge – ein monatliches Nettoeinkommen von 1.500 Euro (14 x jährlich) bezieht, über kein Vermögen verfügt, Schulden von 22.000 Euro (mit einer monatlichen Rückzahlungsrate von 284 Euro) aufweist und den keine Sorgepflichten treffen, mit 10 Euro festzusetzen.
[17] Die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe gründet sich auf § 19 Abs 3 StGB.
[18] Die von der Erklärung, „volle Berufung“ zu erheben (ON 15 S 49), umfasste, im kollegialgerichtlichen Verfahren aber nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO), Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war zurückzuweisen.
[19] Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf die Aufhebung und die Strafneubemessung zu verweisen.
[20] Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten zur Zahlung von 500 Euro an die Privatbeteiligte. Dieser vom Erstgericht in freier Überzeugung (Spenling, WK‑StPO § 369 Rz 6 mwN) zuerkannte (Teil‑)Betrag ist – entgegen dem das Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung des Opfers durch die Tat in Abrede stellenden Berufungsvorbringen – mit Blick auf die erfolglos bekämpften Feststellungen, wonach der Angeklagte T* Ho* durch strafbare Handlungen zu einer geschlechtlichen Handlung missbrauchte (vgl § 1328 ABGB) und die starke seelische Belastung von den Tatrichtern noch in der Hauptverhandlung – also selbst 20 Jahre nach der Tat – wahrgenommenen werden konnte (US 6; vgl zur Berücksichtigung psychischer Beeinträchtigungen RIS‑Justiz RS0031191 [insbesondere T4]), nicht zu beanstanden.
[21] Der Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch war daher nicht Folge zu geben.
[22] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
[23] Die (neuerliche) Erteilung einer Weisung oder die Anordnung von Bewährungshilfe ist dem Erstgericht vorbehalten (RIS‑Justiz RS0086098). Das ausdrücklich den Vergleich der durch Urteil verhängten Strafen ansprechende Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO) liegt insoweit nicht vor (vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 59).
[24] Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die spezialpräventiv ausgerichteten sanktionsergänzenden Maßnahmen der Weisung und der Bewährungshilfe einer künftigen Delinquenz des Rechtsbrechers vorbeugen und während der Probezeit gezielt gerade jenen Risikofaktoren begegnen sollen, die einem künftig straffreien Leben entgegenstehen. Sie sind – stets aber auch nur dann – anzuordnen, wenn sie notwendig oder zweckmäßig sind (Schroll in WK2 StGB § 50 Rz 1 und 3).
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