Spruch:
In der Strafsache AZ 9 Hv 26/10k des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2011, AZ 8 Bs 8/10b, soweit damit aus Anlass der Berufung des Angeklagten der Schuldspruch A/II aufgehoben und in diesem Umfang durch Freispruch des Michael M***** vom wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe zwischen 27. August und 21. November 2009 gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen, nämlich insgesamt 1.150 Euro Bargeld, durch Behebung mit der Bankomatkarte der Melanie F***** „Berechtigten nicht näher bekannter Bankinstitute“ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, in der Sache selbst erkannt wurde, § 166 Abs 1 und Abs 3 StGB.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11. August 2010, GZ 9 Hv 26/10k-29, wurde Michael M***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB (A/II) sowie der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 erster Fall (A/I), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B) und des Betrugs nach § 146 StGB (C) schuldig erkannt.
Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung hat er danach (A/II) zwischen 27. August und 21. November 2009 in Graz wiederholt fremde bewegliche Sachen, nämlich insgesamt 1.150 Euro Bargeld „Berechtigten nicht näher bekannter Bankinstitute“ durch Behebung mit der Bankomatkarte der Melanie F***** gewerbsmäßig und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen.
Mit dem hier angefochtenen Urteil vom 26. Jänner 2011, AZ 8 Bs 8/10b (ON 35 der Hv-Akten), gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht der vom Angeklagten erhobenen Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht Folge, hob aber aus deren Anlass den Schuldspruch A/II von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm §§ 489 Abs 1 und 471 StPO) aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 9 lit c StPO auf, erkannte in der Sache selbst und sprach den Angeklagten von diesem Vorwurf gemäß § 259 Z 1 StPO frei.
Nach den zugrunde liegenden erstgerichtlichen Feststellungen (ON 35 S 4 iVm ON 29 S 5 f) hatte sich der Verurteilte Michael M***** ohne Wissen seiner damaligen Lebensgefährtin Melanie F*****, mit der er im Tatzeitraum in Hausgemeinschaft lebte, Kenntnis vom PIN‑Code ihrer Bankomatkarte verschafft, diese mehrmals an sich genommen und Bankomatbehebungen im Gesamtausmaß von 1.150 Euro durchgeführt.
Die amtswegige Maßnahme stützte das Berufungsgericht auf die rechtliche Erwägung, Melanie F***** sei als „Eigentümerin des“ (gestohlenen) „Geldes“ anzusehen, weshalb die zu ihrem Nachteil durch Bankomatbehebung begangenen Diebstähle während aufrechter Lebensgemeinschaft mit dem Verurteilten nur auf ihr Verlangen, nicht aber „aufgrund öffentlicher Anklage“ zu verfolgen seien (ON 35 S 5 f).
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Graz steht im Umfang der amtswegigen Maßnahme und des Freispruchs ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Die Behebung von Bargeld bei einem Bankomaten mittels unbefugter Benützung einer fremden Bankomatkarte ist nach ständiger Rechtsprechung Diebstahl (RIS-Justiz RS0093560, RS0093730 [T2 und T4]; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 148a Rz 28; Kienapfel/Schmoller StudB II § 127 Rz 102 f; aM Bertel in WK2 § 127 Rz 30).
§ 166 Abs 1 StGB setzt voraus, dass der Täter eine der aufgezählten strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen „zum Nachteil“ eines der dort genannten Angehörigen begeht. Der Angehörige muss Rechtsgutträger und in dieser Eigenschaft betroffen, im hier maßgeblichen Zusammenhang des Diebstahls also Eigentümer der weggenommenen Sache sein. Eine allfällige (Schaden-)Ersatzpflicht des Angehörigen gegenüber dem (primär) geschädigten Eigentümer stellt die Privilegierungsvoraussetzungen nicht her (RIS-Justiz RS0093206; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 166 Rz 17; Kienapfel BT II3 § 166 Rz 16).
Vorliegend führte der Verurteilte nach den Feststellungen Bankomatbehebungen mit der Bankomatkarte seiner Lebensgefährtin durch. Nicht dieser, sondern den die Geldausgabeautomaten betreibenden Unternehmen stand das Eigentum am weggenommenen Bargeld zu. Die Lebensgefährtin des Verurteilten hatte bloß ein vom kartenausgebenden Kreditinstitut vertraglich eingeräumtes Geldbezugsrecht (RIS-Justiz RS0106207, RS0093730 [T4]). Der Verurteilte hat den gegenständlichen Diebstahl (in mehreren Angriffen) daher nicht zum Nachteil seiner Lebensgefährtin, sondern zum Nachteil der die Geldausgabeautomaten betreibenden Unternehmen begangen (RIS-Justiz RS0093560 [T2]). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die kartenausgebende Bank in der Regel durch Abbuchung eines unbefugt abgehobenen Betrags (den sie ihrerseits dem Unternehmen, welches den Bankomaten betreibt, zu ersetzen hat) beim Kontoinhaber (zunächst) schadlos hält. Dessen unter Umständen bestehende Ersatzpflicht gegenüber dem kontoführenden Kreditinstitut ist nämlich ‑ wie zuvor bereits ausgeführt ‑ unter dem Aspekt des § 166 StGB nicht maßgeblich (zum Ganzen aus zivilrechtlicher Sicht Koch in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 2/27 ff und 2/65 ff).
Das Oberlandesgericht Graz hat daher zu Unrecht die Privilegierung des § 166 Abs 1 StGB und infolgedessen ein Privatanklagerecht der damaligen Lebensgefährtin des Verurteilten (§ 166 Abs 3 StGB) angenommen.
Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Vorteil des insoweit freigesprochenen Angeklagten auswirkte, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden.
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