Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dipl.-Ing. Gernot M***** im dritten Rechtsgang des Finanzvergehens - richtig: mehrerer Finanzvergehen - der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt.
Danach hat er im Bereich Baden bei Wien von 1986 bis 1994 vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht, nämlich durch die unterlassene Abgabe von Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1986 bis 1994 und Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 1986 bis 1993, eine Abgabenverkürzung dadurch bewirkt, dass bescheidmäßig festzusetzende Abgaben infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruchs nicht innerhalb eines Jahres ab dem Ende der gesetzlichen Erklärungsfrist festgesetzt wurden, und zwar
1. für 1986 Einkommensteuer in Höhe von 4.063.604 S und Gewerbesteuer in Höhe von 1.160.157 S,
2. für 1987 Einkommensteuer in Höhe von 6.383.586 S und Gewerbesteuer in Höhe von 1.793.670 S,
3. für 1988 Einkommensteuer in Höhe von 8.320.094 S und Gewerbesteuer in Höhe von 2.326.609 S,
4. für 1989 Einkommensteuer in Höhe von 9.268.950 S und Gewerbesteuer in Höhe von 2.887.701 S,
5. für 1990 Einkommensteuer in Höhe von 5.526.500 S und Gewerbesteuer in Höhe von 1.685.023 S,
6. für 1991 Einkommensteuer in Höhe von 2.538.650 S und Gewerbesteuer in Höhe von 789.865 S,
7. für 1992 Einkommensteuer in Höhe von 1.966.150 S und Gewerbesteuer in Höhe von 619.318 S,
8. für 1993 Einkommensteuer in Höhe von 1.805.200 S und Gewerbesteuer in Höhe von 571.372 S,
9. für 1994 Einkommensteuer in Höhe von 2.420.610 S, gesamt somit Abgaben in Höhe von 54.127.059 S (3.933.566,78 Euro). Nach den vorliegenden, hier zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen war der Angeklagte von 1986 bis 1994 unter anderem im internationalen Papiergroßhandel tätig, indem er Ausschussware in großem Stil an- und verkaufte. Diese Tätigkeit „erfolgte namens der 1979 gegründeten, in Vaduz, Liechtenstein, ansässigen Firma P***** Trading Establishment" (kurz P*****; US 3 f).
Anfang 1986 wurde in Österreich die P***** Trading Establishment Gesellschaft mbH (kurz P***** GmbH) mit Sitz in Baden gegründet, deren Unternehmenszweck die Beratung und Unterstützung der P***** bei Geschäften in Österreich sein sollte. Für ihre Tätigkeit sollte die P***** GmbH eine Provision von allen in Österreich getätigten Papiereinkäufen erhalten. Der Angeklagte selbst war formell laut Vertrag vom 6. Dezember 1984 bei der P***** in Liechtenstein angestellt und sollte für die Vermittlung und Anbahnung von Geschäften eine Provision von 1 bis 3 % der Einkäufe der P*****, zumindest aber monatlich 3.000 Schweizer Franken, beziehen. Die Geschäftstätigkeit des Angeklagten im Bereich des Papierhandels ging im fraglichen Zeitraum jedoch weit über die im Anstellungsvertrag mit der P***** genannten Vermittlungsgeschäfte hinaus. Er trat im Geschäftsverkehr als Ansprechpartner oder Inhaber der P***** auf, verhandelte über Preise, Liefer- und Zahlungsbedingungen, schloss Verträge ab und nahm Reklamationen vor. Seine Tätigkeiten entfaltete er ab 1984 nicht nur in Vaduz, sondern zum überwiegenden Teil an der österreichischen Adresse in Baden, die er auch als Zustelladresse für Unternehmensrechnungen verwendete. Der Angeklagte erwirtschaftete durch diese Tätigkeiten weit über seinen Dienstvertrag hinausgehende Einkünfte. Die Zahlungen erfolgten zum überwiegenden Teil verdeckt und wurden vom Angeklagten zumeist bar abgehoben und im eigenen Namen weiter veranlagt. Auch die damalige Ehegattin und die Schwiegermutter des Angeklagten erhielten Zahlungen (US 3 bis 5).
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichts sind dem Angeklagten „die namens der P***** geschlossenen Geschäfte aufgrund der Gesamtheit der Umstände persönlich zuzurechnen" (US 6).
Der Angeklagte entrichtete in der Zeit von 1986 bis 1994 in Österreich weder Einkommen- noch Gewerbesteuer, sondern gab den Finanzbehörden gegenüber an, seinen Wohnsitz in Haar, Deutschland, bei seiner ersten Ehefrau zu haben. Dort würde er als selbstständiger Architekt arbeiten und seine Einkünfte versteuern (US 7). Steuerlich erfasst war der Angeklagte lediglich bis 1984 in Deutschland, Einkünfte aufgrund des Anstellungsverhältnisses mit der P***** und aus Bauvorhaben im Nahen Osten versteuerte er in Liechtenstein und Jordanien. Ihm war allerdings zumindest seit 1986 bewusst, dass er sowohl einen Wohnsitz als auch seinen tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte und auch von hier seine Geschäftstätigkeiten im Papierhandel leitete. Weiters kannte er seine Pflicht zur Entrichtung von Einkommen- und Gewerbesteuer sowie die damit verbundene Verpflichtung zur Abgabe von entsprechenden Steuererklärungen. Er gab solche jedoch in der Absicht nicht ab, seiner Steuerpflicht zu entgehen (US 7).
Nachforschungen und Schätzungen der Abgabenbehörden anhand der Provisionen der P***** GmbH führten letztlich zu einer rechtskräftigen Festsetzung von Abgabenschulden in einer Gesamthöhe von 54.127.059 S (3.933.566,78 Euro; US 8).
Rechtliche Beurteilung
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit einer nominell aus Z 5, 5a, 9 lit a und 10 (der Sache nach 11 erster Fall), inhaltlich auch Z 2 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt.
Wendet sich das - übrigens ohne Bezeichnung der entsprechenden Stelle des umfangreichen (nämlich sieben Bände umfassenden) Strafakts (s aber §§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) - nominell unter Z 5a erstattete Vorbringen, „dass die von der Finanzbehörde am 10. Jänner 1995 durchgeführte ,Vernehmung' der Irma B***** mangels entsprechender Belehrung über ihr Entschlagungsrecht rechtswidrig war", gegen ein Vorkommen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 170 f) der betreffenden Aussage in der Hauptverhandlung (Z 2; vgl WK-StPO § 281 Rz 571, § 285d Rz 9), geht es fehl, weil dem über letztere aufgenommenen, nicht beanstandeten Protokoll kein Vorgehen des Verteidigers entnommen werden kann, das der in § 281 Abs 1 Z 2 StPO verankerten Rügeobliegenheit entspräche.
Der gegen den Tatsachengehalt der Urteilsannahme, dass der Angeklagte „lediglich formell" bei der P***** angestellt war (US 4 Mitte), gerichtete Einwand einer nur offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) lässt die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370) vermissen, nach welchen die P***** dem Beschwerdeführer bloß als Domizilgesellschaft für seine im vorliegenden Zusammenhang vorwiegend von Baden aus entfaltete unternehmerische Tätigkeit diente (vgl US 8 ff). Entgegen der weiters vorgetragenen Kritik (Z 5 zweiter Fall) wurde der Sachverhaltsanteil der auch - prozessordnungsfremd (vgl § 154 Abs 1 StPO, wonach Zeugen über ihre Tatsachen betreffenden Wahrnehmungen aussagen sollen) - Rechtsausführungen umfassenden Aussage des Zeugen Dr. S***** (insbesondere S 113 f/VII) keineswegs mit Stillschweigen übergangen (vgl US 10).
Soweit der Angeklagte unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) die von den Tatrichtern aus gar wohl erörterten Verfahrensergebnissen (s zu den in der Beschwerde herausgegriffenen Aussagen der Zeugen Dkfm. Winfried K*****, Ingeborg K***** und Christine V***** US 9 und 11) - nicht in seinem Sinn - gezogene Schlussfolgerung kritisiert, er habe die in Rede stehenden Geschäftsfälle in Wahrheit persönlich von Baden aus abgewickelt, bekämpft er lediglich die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RIS-Justiz RS0099599).
Welche Bedeutung dem als übergangen reklamierten „Beweisergebnis, wonach die" (gemeint offenbar: private) „Badener Telefonnummer" mit der Telefonnummer der P***** GmbH ident war, angesichts der - unbekämpft gebliebenen - Feststellungen, denen zufolge der Angeklagte aus seiner Gesellschafterstellung bei der P***** GmbH keinen Gewinn bezog (US 9) und diese wiederum Zuwendungen von der P***** bloß „exakt im Rahmen der ursprünglichen Kommissionsvereinbarung bezog" (US 12 f), zukommen soll, ist nicht zu ersehen.
Wie es zur Finanzierung der Liegenschaft in der F***** in Baden und zweier Sportautos kam (US 5), betrifft keine für die Subsumtion entscheidende Tatsache, beruhen doch die Schätzungen der Abgabenbehörde auf den offiziell deklarierten Provisionen der P***** GmbH, nicht auf Zuwendungen der P***** an den Angeklagten persönlich (S 225/VI).
Weshalb es, wie nominell aus Z 5 vorgetragen wird, weiterer Feststellungen „über die Rechtsnatur der P*****" bedurft hätte, sagt der Beschwerdeführer nicht.
Zur Tatsachenrüge ist vorweg festzuhalten, dass Z 5a des § 281 Abs 1 StPO insoweit nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern will. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780). Mängel der Sachverhaltsermittlung können aus Z 5a nur mit der Behauptung gerügt werden, dass der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung (Z 4) gehindert war (RIS-Justiz RS0115823).
Daran geht der aus Z 5a (der Sache nach teils aus Z 9 lit a) erhobene Einwand, das Schöffengericht habe Feststellungen und auch „entsprechende Aufklärungen" darüber unterlassen, „in welcher Funktion" der Angeklagte tätig geworden sei, ebenso vorbei wie an den Konstatierungen im Urteil, welche die Basis der rechtlichen Beurteilung abgeben, dass die nicht deklarierten Einnahmen dem Angeklagten persönlich zuzurechnen sind (US 6, 12 und 14 f). Die Urteilsannahme, wonach ihm in Vaduz „lediglich eine Firmenwohnung" zur Verfügung stand, „sonstige Anknüpfungspunkte privater Natur" aber nicht vorlagen (US 7), stellt nur eine beweiswürdigende Erwägung dar, für die das aus § 262 StPO abgeleitete grundrechtliche Überraschungsverbot nicht gilt. Zudem war just die Wohnsitz- und Aufenthaltsfrage eines der Kernthemen des gesamten Beweisverfahrens. Die anlässlich der Beschwerde unternommene Vorlage zweier „Urkunden" zum Beweis privater Kontakte in Vaduz argumentiert nicht im Sinn der Z 5a „aus den Akten" (RIS-Justiz RS0119310). Mit den im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) erstatteten weitwendigen Ausführungen zur angeblich unrichtigen Lösung des „Zurechnungsproblems" (gemeint: die vom Erstgericht vorgenommene Zurechnung der Umsätze an den Angeklagten als in Österreich tätigem Einzelunternehmer anstatt an die jeweils vordergründig auftretende P*****) übergeht der Beschwerdeführer die getroffenen Feststellungen (US 5 ff, 12 f und 15) und verabsäumt so deren Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz; damit wird der materielle Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform ausgeführt (RIS-Justiz RS0099810).
Weshalb die - teilweise auch im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen - Konstatierungen (US 6, 12 und 15) die rechtliche Annahme eines in Österreich situierten Gewerbebetriebs und einer daraus resultierenden Gewerbesteuerpflicht nicht zu tragen im Stande seien, legt die Rüge nicht näher dar.
Unbegründet ist der gegen die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrags gerichtete Einwand (nominell Z 10, der Sache nach Z 11 erster Fall), die offen gelegten Provisionen von 8.061.598 S (vgl US 5) seien von dem im Urteil genannten Betrag von „insgesamt ca 31,6" Millionen Schilling (US 5 Mitte) abzuziehen. Den zuletzt genannten Betrag hatten die Tatrichter bloß mit Blick auf die Zurechnung an den Angeklagten aus den von ihm erwirtschafteten Einkünften hervorgehoben, die auf anderer Grundlage (den Provisionen der P*****) ermittelt wurden (US 12 f). Ob davon abgesehen ein Teil dieser Erlöse in Form „offizieller" Provisionen - den wahren wirtschaftlichen Gegebenheiten zuwider - allenfalls in Liechtenstein der Lohnsteuer unterzogen wurde, hat auf die vom Angeklagten absichtlich (US 7) verletzte Pflicht, die resultierenden Steuern in Österreich zu erklären, keinen Einfluss.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Dieses wird bei der Entscheidung über die Straffrage zu berücksichtigen haben, dass das Verfahren aus nicht vom Angeklagten oder seinem Verteidiger zu vertretenden Gründen unverhältnismäßig lange gedauert hat. Am 13. Jänner 2004 langte die den Freispruch im zweiten Rechtsgang aufhebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (12 Os 109/03) beim Erstgericht ein (ON 125). Am 23. Jänner 2004 wurde festgestellt, dass als Vorsitzender Dr. Kurt W***** zuständig ist (ON 127). Hauptverhandlung war (erst) am 7. Dezember 2004 (ON 131) und am 28. April 2005 (ON 140 mit Rückleitungsbeschluss). Am 28. Juli 2006 wurde ein Sachverständiger bestellt (ON 155), am 29. Dezember 2006 traf das Gutachten ein (ON 167). Hauptverhandlung war (erst) wieder am 15. Oktober 2007 (ON 176) und am 29. Jänner 2008 (ON 181).
Von einer dem grundrechtlichen Gebot des Art 6 Abs 1 MRK, „innerhalb einer angemessenen Frist" zu entscheiden (vgl Grabenwarter, EMRK³ § 24 Rz 68 f), entsprechenden Vorgangsweise kann dabei auch unter Beachtung der Komplexität des Falles nicht gesprochen werden. Die unangemessen lange Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 MRK) wird daher ausdrücklich (als Konventionsverstoß) in Rechnung zu stellen und durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung auszugleichen sein.
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten hinsichtlich beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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