European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00078.16V.0725.000
Spruch:
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Beschluss vom 23. Mai 2016 (ON 34) setzte das Landesgericht für Strafsachen Graz die am 12. Mai 2016 über Brigitte G***** verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs‑ und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2, Z 3 lit a StPO fort. Der dagegen gerichteten Haftbeschwerde dieser Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss nicht Folge, setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 StPO fort und hielt fest, dass sein Beschluss längstens bis zum 12. Juli 2016 wirksam sei (§ 178 Abs 1 Z 1 StPO).
In der Sache erachtete das Beschwerdegericht Brigitte G***** dringend verdächtig, sie habe (gemeint) im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Deutschlandsberg Leibnitz Voitsberg dadurch, dass sie als Angestellte der O***** Gesellschaft m.b.H. (im Folgenden: O*****) „die Abrechnung von Schwarzverkäufen vornahm und Schwarzlohnauszahlungen an Arbeitnehmer tätigte“, gewerbsmäßig in Bezug auf einen strafbestimmenden Wertbetrag (§ 53 Abs 1 FinStrG) von jedenfalls mehr als 100.000 Euro zur Ausführung der Finanzvergehen ihres Ehemannes Ewald G***** beigetragen, der als unternehmensrechtlicher Geschäftsführer dieser Gesellschaft
(1) vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten
(a) von 2013 bis 2015 für die Kalenderjahre 2010 bis 2014 eine Verkürzung der bescheidmäßig festgesetzten Umsatzsteuer sowie für die Kalenderjahre 2010 bis 2013 eine Verkürzung der bescheidmäßig festgesetzten Körperschaftssteuer bewirkt und
(b) von 2010 bis 2015 an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten eine Verkürzung der selbst zu berechnenden und abzuführenden Kapitalertragsteuer bewirkt,
(2) von März 2015 bis Mai 2016 vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten für die Voranmeldungszeiträume von Jänner 2015 bis März 2016 eine Verkürzung der Umsatzsteuervorauszahlungen bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten sowie
(3) von Jänner 2010 bis Mai 2016 vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 EStG entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung an Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten habe.
In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Beschwerdegericht dieses Verhalten als (ersichtlich gemeint) jeweils mehrere Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (1), nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG (2) und nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 2 lit b, 38 Abs 1 FinStrG (3).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten Brigitte G*****, die sich gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts und des zuvor bezeichneten Haftgrundes wendet sowie Unverhältnismäßigkeit der Haft und deren Substituierbarkeit durch die Anwendung gelinderer Mittel behauptet. Sie verfehlt ihren gesetzlichen Bezugspunkt (vgl § 1 Abs 1 GRBG):
Beschwerdegegenstand im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS‑Justiz RS0061004 [T5], RS0112012 [T5], RS0121605 [T3]).
Demzufolge kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nur nach Maßgabe der Mängel- und der Tatsachenrüge (Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO) bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0110146).
Das Beschwerdeargument, von einem „konkreten Tatverdacht“ könne „nicht ausgegangen“ werden, weil sich „aus den Ermittlungsergebnissen“ kein „ziffernmäßig konkretisierbarer Tatverdacht“ ergebe, wird diesen Kriterien nicht einmal ansatzweise gerecht.
Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese angesichts der ihr zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).
Mit eigenen Auffassungen zum Umfang des Geständnisses der Beschwerdeführerin und ihrer Motivation, „unwahre Angaben zu machen“, Mutmaßungen zu Inhalt und Beweiswert von möglichen Aussagen bislang nicht vernommener Zeugen sowie mit dem Hinweis, die „bisher unbescholtene“ und „keineswegs vernunftsunbegabte“ Beschuldigte sei „gegenüber den Ermittlungsbehörden äußerst kooperativ“, wird dies nicht behauptet (vgl RIS‑Justiz RS0117806 [T5]).
Was die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) anlangt, prüft der Oberste Gerichtshof, ob angesichts der vom Oberlandesgericht angeführten bestimmten Tatsachen der von diesem gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (RIS‑Justiz RS0120790). Letzteres stellt die Beschwerde, die sich mit ihrer gegen die Dringlichkeit des Tatverdachts (siehe oben) und gegen das Unterbleiben der Anwendung gelinderer Mittel (siehe unten) gerichteten Argumentation auf „Unverhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft“ beruft, nicht in Frage.
Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) hat die Beschuldigte in der Haftbeschwerde (ON 38) nicht geltend gemacht, sodass diesem Einwand das Prozesshindernis der (horizontalen) Nichterschöpfung des Instanzenzugs (RIS‑Justiz RS0114487 [T11, T12]) entgegensteht.
Die Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) hat das Oberlandesgericht ausdrücklich verneint (BS 6). Indem sie diese Einschätzung mit dem unsubstantiierten Vorwurf, das Beschwerdegericht habe sich „mit der Frage der Erzielung des Haftzweckes durch gelindere Mittel“ „nicht ausreichend auseinandergesetzt“, schlicht bestreitet und ihrer Ansicht nach in Frage kommende Weisungen und Gelöbnisse nennt, zeigt die Beschwerde keinen konkreten Beurteilungsfehler auf (siehe aber RIS‑Justiz RS0116422 [T1]).
Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.
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