OGH 13Os77/24h

OGH13Os77/24h9.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Faulhammer LL.M. (WU) in der Strafsache gegen * U* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. Mai 2024, GZ 86 Hv 138/23b‑56.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00077.24H.1009.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * U* jeweils eines Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB (I) und nach § 107b Abs 1, 3, 3a Z 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung hat er danach

(II) vom Jahresanfang 2016 bis zum 25. Oktober 2022 in W* gegen seine Ehefrau länger als ein Jahr hindurch (auf im angefochtenen Urteil beschriebene Weise) fortgesetzt Gewalt ausgeübt und dadurch eine umfassende Kontrolle ihres Verhaltens hergestellt und eine erhebliche Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung bewirkt, wobei er im Rahmen dieser Gewaltausübung wiederholt auch Straftaten gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung und Integrität beging.

Rechtliche Beurteilung

[3] Nur gegen den Schuldspruch II richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Das Schöffengericht ging mit hinreichender Deutlichkeit davon aus, dass die nach § 107b Abs 3 StGB tatbestandsmäßige „umfassende Kontrolle“ des Verhaltens des Opfers – auch nach der Intention des Angeklagten – schon durch die konstatierte, „eine längere Zeit hindurch fortgesetzte“ (§ 107b Abs 1 StGB) „Gewalt[ausübung]“ im Sinn des § 107b Abs 2 StGB (und nicht erst durch die Begehung von „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität“) hergestellt wurde (US 4 f).

[5] Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) Feststellungen zum angesprochenen Tatbestandserfordernis (des § 107b Abs 3 StGB) vermisst, ohne von den diesbezüglichen Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit auszugehen, verfehlt sie den (gerade darin gelegenen) Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[6] Soweit sie im Übrigen (deutlich und bestimmt nur) die rechtliche Unterstellung der vom Schuldspruch II umfassten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität“ nach § 107b Abs 3a Z 3 StGB bekämpft, ist sie nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt.

[7] Nach den diesbezüglichen (unbekämpften) Urteilsfeststellungen erfüllen jene Taten, die das Erstgericht als qualifikationsbegründend erachtete, jeweils den (Anknüpfungs‑)Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB. Dessen Strafsatz ist (mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren) strenger als jener des § 107b Abs 3a Z 3 StGB und milder als jener des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB (zum Scheinkonkurrenzverhältnis der Tatbestände des § 107b StGB zu dessen Anknüpfungstatbeständen siehe RIS‑Justiz RS0128942). Der angestrebte Wegfall der in Rede stehenden Qualifikation hätte demnach zur Folge, dass die betreffenden Taten stattdessen mehreren – mit dem (verbleibenden) Verbrechen nach § 107b Abs 1, 3 und 4 zweiter Fall StGB (und einem weiteren solchen Verbrechen nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB) echt realkonkurrierenden – Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB zu unterstellen wären, ohne dass der nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB zu bildende Strafrahmen dadurch vermindert würde.

[8] Solcherart müsste der Oberste Gerichtshof angesichts der im Urteil getroffenen Feststellungen eine für den Angeklagten ungünstigere Subsumtion vornehmen als das Erstgericht (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO), sodass die Rüge schon deshalb unzulässig ist (RIS‑Justiz RS0118274 [T1 und T2] sowie RS0128942 [T4]).

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[10] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[11] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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