OGH 13Os7/04

OGH13Os7/047.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dragan O***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 2. Oktober 2003, GZ 151 Hv 27/03b-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dragan O***** des (richtig: der) Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 3 StGB schuldig erkannt. Danach hat er in Wien A./ mit unmündigen Personen den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, und zwar

1.) zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten ab Ende August 1999 bis Ende 2000 in zwei im Abstand von zwei Tagen aufeinanderfolgenden Angriffen mit seiner am 18. August 1992 geborenen Cousine Danijela O*****, indem er sie auszog und einen Geschlechtsverkehr durchführte bzw sie am Geschlechtsteil leckte;

2.) zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 2000 oder Anfang 2001 mit seinem am 18. August 1992 geborenen Cousin Danijel O*****, indem er bei ihm einen Analverkehr durchführte;

3.) zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2000 mit seinem am 4. Juli 1996 geborenen Cousin Michael O*****, indem er seinen Penis am Penis des Kindes rieb;

B./ in der Nacht zum 12. April 2002 fremde bewegliche Sachen anderen durch Aufbrechen von Sperrvorrichtungen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er die Fahrradschlösser mit einer Säge aufschnitt, und zwar

  1. 1.) der Lisa E***** ein Trekkingbike im Wert von 520 Euro;
  2. 2.) dem Erwin H***** ein Trekkingbike im Wert von 430 Euro.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

In der Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrags auf Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die von Danijela O***** geschilderte Entjungferung entgegen den Angaben des Opfers nicht ohne Blutverlust möglich sei und der bei bei Danijel O***** vorgenommene Analverkehr starke Schmerzen oder Verletzungen zur Folge gehabt haben müsste. Dazu übergeht die Beschwerde die Feststellungen des Erstgerichtes, wonach es beim zu Schuldspruch A./1.) inkriminierten ersten Geschlechtsverkehr ein vom Tatopfer verdrängter Blutverlust durchaus vorgelegen haben kann (US 12 f), sodass es der weiteren Beweisaufnahme zu einem vom Schöffengericht als gegeben unterstellten Beweisergebnis nicht mehr bedurfte. Zum anderen lässt die Beschwerde die zu Schuldspruch A./ 2.) getroffene Urteilsannahme außer Acht, wonach der Angeklagte eine bloß oberflächliche Analpenetration vornahm (US 8, 14 f), sodass der Beweisantrag von vornherein ins Leere geht, weil die dafür vorausgesetzte Sachverhaltsannahme einer vollständigen Penetration nicht getroffen werden konnte (vgl Ratz in WK-StPO § 281 Rz 347). Durch die kritisierten Zwischenentscheidungen wurden daher Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht hintangesetzt. Soweit der Beschwerdeführer überdies unsubstantiiert die Abweisung seines Antrags auf Einholung eines medizinischen Gutachtens "über Danijela O***** zur Frage des verletzten Hymens und zur Frage, ob man feststellen kann, wie alt eine solche Hymenverletzung ist und ob man zum Geschehenszeitraum etwas sagen kann" (S 371 iVm S 253) rügt, bezieht er sich auf einen in der Hauptverhandlung unzulässigen Erkundungsbeweis, zu dessen Aufnahme das Schöffengericht nicht verhalten war (vgl Ratz in WK-StPO § 281 Rz 331).

Die Mängelrüge (Z 5) legt nicht dar, weshalb die ausführlichen, sowohl die unterschiedlichen Ausführungen der Danijela O***** und des Danijel O***** zur Tatzeit vor der Polizei und in der Hauptverhandlung als auch die unpräzisen Zeitangaben des Zeugen Michael O***** berücksichtigenden und zur Feststellung von nach Vollendung des 19. Lebensjahres des Angeklagten liegenden Tathandlungen zu den Schuldsprüchen A./1.) bis 3.) angeführten Erwägungen der Tatrichter (US 11 f, 14 und 15 f) mit den Denkgesetzen im Widerspruch stünden. Vielmehr versucht der Beschwerdeführer nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes zu bekämpfen und für ihn günstigere Schlussfolgerungen zu ziehen. Gleiches gilt für das Vorbringen, das Erstgericht hätte in der die negative Einstellung der Tanja O***** gegenüber dem Beschwerdeführer berücksichtigenden (vgl US 9 f) Beweiswürdigung davon ausgehen müssen, dass diese Zeugin die Tatopfer im Sinne einer Falschbezichtigung des Beschwerdeführers beeinflusst habe. Inwieweit schließlich die auf entsprechende Ausführungen im Gutachten gestützten Feststellungen zu einem von den erkennenden Richtern als Indiz für eine insgesamt erlebnisorientierte Wahrnehmung gewerteten (US 10) Vorfall, bei dem Danijela O***** den Angeklagten bei einem Geschlechtsverkehr mit dessen Freundin beobachtet hatte, widersprüchlich begründet seien, wird in der Beschwerde prozessordnungswidrig nicht dargetan.

Die teils nicht gesetzesgemäß ausgeführte, teils offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war demnach schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), sodass über die Berufung des Angeklagten das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden hat (§ 285i StPO).

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ist ergänzend dazu festzuhalten, dass die dem Angeklagten zum Schuldspruch A./3.) angelastete Straftat nicht als Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, sondern als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB zu beurteilen gewesen wäre.

Unter einer dem Beischlaf gleichzusetzenden, dh nach allgemeinem Verständnis in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen (bei denen auch ein geringes Alter des Tatopfers miteinzubeziehen ist; vgl 12 Os 29/02, EvBl 2002/195, 733) einem Geschlechtsverkehr vergleichbaren, geschlechtlichen Handlung ist jede Form einer oralen, vaginalen oder analen Penetration zu verstehen (vgl 12 Os 29/02, EvBl 2002/195, 733; 11 Os 80/02; 15 Os 11/92, JBl 1992, 729). Das Reiben des Penis des Angeklagten am Penis des Kindes - mag es auch, wie vom Erstgericht festgehalten (US 8, 17), in Form intensiver Kopulationsbewegungen geschehen sein - ist nach Lage des Falles auch unter Berücksichtigung des Alters des Tatopfers dem Beischlaf nicht gleichzusetzen, fehlt doch der inkriminierten Handlung das für eine Gleichstellung mit einem Geschlechtsverkehr wesentliche Penetrationselement (vgl JAB StGB-Nov 1989, 3; EBRV StRÄG 1998, 21; Schick in WK2 § 201 Rz 37; Fabrizy StGB8 § 201 Rz 2; 12 Os 29/02, EvBl 2002/195, 733; 11 Os 48/00; 14 Os 169/93; 15 Os 11/92, JBl 1992, 729; 12 Os 80/90, JBl 1991, 255; zu den Besonderheiten bei der vom Charakter als Unternehmensdelikt geprägten subjektiven Tatseite vgl 11 Os 70/02). Vielmehr erfüllt das inkriminierte Verhalten das Tatbestandsmerkmal einer dem § 207 Abs 1 StGB zu unterstellenden geschlechtlichen Handlung.

Da die im Schuldspruch A./3.) zu Unrecht als Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB qualifizierte Straftat angesichts der in den Schuldsprüchen A./1.) und 2.) zutreffend angenommenen Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB nicht strafsatzbestimmend war (vgl 11 Os 71/02; Fabrizy StPO9 § 290 Rz 6; Ratz in WK-StPO § 281 Rz 669, § 290 Rz 22

ff) und sich diese rechtsirrige Qualifikation auch bei der Strafbemessung nicht nachteilig auswirkte, zumal das erschwerend gewertete Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und die Tatwiederholung auch bei richtiger Subsumtion zu berücksichtigen sind, besteht kein Anlass zu amtswegigem Einschreiten nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Sieht sich der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklichem Hinweis auf eine verfehlte Subsumtion mangels eines darüber hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst, so besteht bei der Entscheidung über die Berufung, bei der das Berufungsgericht an die in der Rechtsmittelschrift vorgetragenen Berufungsgründe nicht gebunden ist (vgl 13 Os 122/02), insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichtes über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (vgl 13 Os 21/04).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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