OGH 13Os68/23h

OGH13Os68/23h20.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Trsek in der Strafsache gegen T* wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 1. Dezember 2022, GZ 40 Hv 73/22s‑105b, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00068.23H.0920.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (2), demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen gegen den Ausspruch über die Strafe waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft, Ersterer auch mit jener gegen die Anordnung der Unterbringung, auf die Aufhebung des Sanktionsausspruchs zu verweisen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird das Landesgericht Linz notwendige Aktenteile dem Oberlandesgericht Linz zuzuleiten haben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde T* des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 StGB (1) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in R*

1) am 30. August 2021 A* vorsätzlich (US 5) am Körper verletzt, indem er ihr mehrfach heftige Schläge gegen das Gesicht und den Kopf versetzte, wodurch sie über eine Kellerstiege stürzte und ein drittgradiges Schädelhirntrauma mit akuter Blutung unterhalb der harten Hirnhaut im Bereich der gesamten Großhirnhemisphäre, Prellungsblutungen des rechten Stirn- und Schläfenlappens und der linken Kleinhirnhemisphäre, Blutungen zwischen den weichen Hirnhäuten und in der hinteren Schädelgrube, einen Schädelbasisbruch im Bereich des Hinterhauptbeins mit Beteiligung des linken Felsenbeins und ein Monokelhämatom erlitt, und dadurch vorsätzlich (US 5) schwere Dauerfolgen (§ 85 Abs 1 StGB) in Form von schwersten neurologischen Ausfällen (§ 85 Abs 1 Z 3 StGB, US 4 f) und einer hochgradigen Einschränkung des Sprachvermögens (§ 85 Abs 1 Z 1 StGB, US 4 f) bei der Verletzten herbeigeführt, weiters

2) am 20. Mai 2021 Dr. F* durch die Äußerung, er werde ihn schlagen, wobei er diesem zur Untermauerung seiner Drohung Stöße gegen den Körper versetzte, mit einer Körperverletzung gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Schuldspruch wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (2) vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zu dessen Nachteil anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[5] Der Tatbestand der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB verlangt in subjektiver Hinsicht den (zumindest bedingten) Vorsatz des Täters hinsichtlich (Bedeutungsinhalt und Ernstlichkeit) der – objektiv dem Tatbild der gefährlichen Drohung entsprechenden – Tathandlung und (überschießend) Absicht in Bezug auf den mit der inkriminierten Handlung verfolgten Zweck, den Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen (RIS‑Justiz RS0089063 [T3]). Ein Schuldspruch wegen dieser strafbaren Handlung setzt daher (unmissverständliche) Tatsachenfeststellungen zu sämtlichen dieser (objektiven und subjektiven) Tatbestandselemente voraus.

[6] Diesen Anforderungen entsprechen die Konstatierungen, wonach der Angeklagte seinen Vater durch die Äußerung in Furcht und Unruhe versetzen „wollte“ (US 3), nicht.

[7] Da die Tatbeschreibung im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zwar zur Verdeutlichung der Feststellung entscheidender Tatsachen herangezogen werden, diese aber nicht ersetzen kann (RIS‑Justiz RS0114639), haftet dem Urteil insoweit ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) an.

[8] Dies erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils (zur Aufhebung auch des Ausspruchs nach § 21 Abs 2 StGB RIS‑Justiz RS0115054 [T5]) samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

[9] Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere dazu erstattete Beschwerdevorbringen.

[10] Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen kommt – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zu:

[11] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 105a S 64 f) der nachangeführten Beweisanträge (ON 105a S 64) Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[12] Der Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheins zum Beweis dafür, dass die beim Opfer festgestellten Verletzungen nicht durch Stoßen oder Fallen vom oberen Bereich der Treppe verursacht werden konnten, sowie jener auf Beischaffung des Mobiltelefons des Angeklagten zur Einsicht in Lichtbilder, zeigend dessen Hände am Tag nach dem Vorfall, zum Beweis dafür, dass erhebliche Gewalteinwirkung nicht stattgefunden haben kann (ON 105a S 64), ließen jeweils nicht erkennen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse. Solcherart zielten sie auf im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (RIS‑Justiz RS0118444; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f).

[13] Die Begründung der die Beweisanträge ablehnenden Beschlüsse steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS-Justiz RS0121628).

[14] Der Antrag auf „neuerliche Begutachtung der Gefährlichkeit des Angeklagten, da die beigezogene Sachverständige * die Gefährlichkeit des Angeklagten im Wesentlichen damit begründet hat, dass vom Angeklagten die Deliquenz im Fall geleugnet worden ist“, betraf weder die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage (Z 4; RIS‑Justiz RS0118319 [insbesondere T1]) noch die Strafbefugnisgrenze (Z 11 erster Fall iVm Z 4; RIS‑Justiz RS0118581), sondern bloß die Gefährlichkeitsprognose. Somit war die Antragsabweisung schon von vornherein nicht mit Nichtigkeit bewehrt (RIS‑Justiz RS0114964 [insbesondere T1]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 321 f).

[15] Das die Anträge ergänzende Beschwerde-vorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[16] Der Mängelrüge (Z 5) zuwider ist (uneingeschränkte) Dispositionsfähigkeit keine Voraussetzung für die Bildung des Vorsatzes (vgl RIS-Justiz RS0090295 [T4], Reindl-Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 4). Auf damit im Zusammenhang stehende – im Übrigen auch nach dem Beschwerdevorbringen keinen gänzlichen Ausschluss derselben indizierende – Verfahrensergebnisse musste das Erstgericht zur Vermeidung von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) daher nicht eingehen.

[17] Die leugnende Verantwortung des Angeklagten, wonach sich seine Mutter allein in den Keller begeben habe und dort ohne sein Zutun gestürzt sei (ON 105a S 3 und 5 f), wurde vom Erstgericht nicht übergangen, sondern mit eingehender Begründung als unglaubwürdig verworfen (US 8 bis 11).

[18] Die Angaben der Zeugen B* (ON 105a S 27 ff) und (richtig) C* (ON 105a S 32 f) in Bezug auf das Verhalten des Angeklagten nachdem A* am Ende der Treppe liegend aufgefunden worden war, wurden vom Erstgericht beim Ausspruch über entscheidende Tatsachen ebenso wenig übergangen (US 8 f). Das Eingehen auf jedes Detail dieser Aussagen war aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO nicht erforderlich, es hätte vielmehr gegen das Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) verstoßen (RIS‑Justiz RS0098778 und RS0106295).

[19] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[20] Nach den Feststellungen des Erstgerichts zum Schuldspruch 1 stürzte A* aufgrund der heftigen Schläge des Angeklagten rückwärts die geflieste Kellerstiege hinunter und erlitt dadurch die im Spruch angeführten Verletzungen. In Bezug auf die daraus resultierenden schweren Dauerfolgen hielt das Gericht fest, dass A* seither auf einen Rollstuhl angewiesen ist, an schwersten neurologischen Ausfällen leidet und ihr Sprachvermögen hochgradig eingeschränkt ist, woran sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts ändern wird (US 4 f). Vorsätzliches Handeln konstatierte das Erstgericht sowohl in Bezug auf die Herbeiführung der Verletzungen als auch der Dauerfolge (dazu US 4 f).

[21] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) ihre Argumentation nicht auf der Basis dieser Feststellungen entwickelt, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584).

[22] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS‑Justiz RS0115902).

[23] Mit dem Verweis auf das Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4) und der Tatsachenrüge (Z 5a) wird die Subsumtionsrüge (Z 10) diesen Anforderungen nicht gerecht.

[24] Nichtig nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO ist ein Urteil, wenn die der Entscheidung zugrundeliegende Tat durch unrichtige Gesetzesauslegung einem Strafgesetz unterzogen wurde, das darauf nicht anzuwenden ist.

[25] Mit der Kritik, wonach das Erstgericht im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) nicht präzisiert habe, „welche der in § 85 Abs 1 StGB angeführten Qualifikationen für das Urteil relevant sind“, wird ein solcher Fehler nicht behauptet, weil damit die Richtigkeit der Subsumtion nach § 85 Abs 2 StGB nicht in Frage gestellt wird.

[26] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[27] Die Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[28] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0101558; Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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