OGH 13Os68/15x

OGH13Os68/15x30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Auslieferungssache des Dr. Anatoly R*****, AZ 311 HR 50/14g des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde der betroffenen Person gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 8. Mai 2015, AZ 22 Bs 114/15y, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00068.15X.0630.000

 

Spruch:

Dr. Anatoly R***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

1. Mit Beschluss vom 10. Juli 2014, GZ 311 HR 50/14g‑55, erklärte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die mit Note der Russischen Föderation vom 24. März 2014 begehrte Auslieferung des Dr. Anatoly R***** zur Strafverfolgung wegen der im Ersuchen samt Unterlagen beschriebenen Verdachtslage (ON 30) unter der Bedingung für zulässig, dass über den Betroffenen nicht die Todesstrafe verhängt wird.

Der dagegen gerichteten Beschwerde der betroffenen Person (ON 57) gab das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 20. Jänner 2015, AZ 22 Bs 248/14b, nicht Folge, legte aber Bedingungen für die Zulässigkeit der Auslieferung fest.

Mit Erlass vom 5. Februar 2015, GZ BMJ‑4060431/0002‑IV4/2015 teilte das Bundesministerium für Justiz dem Landesgericht für Strafsachen mit, dass der Bundesminister für Justiz die Auslieferung des Dr. Anatoly R***** bewilligt habe (ON 86; vgl § 34 Abs 1 ARHG).

Mit Urteil vom 15. April 2015, AZ 13 Os 27/15t, 13 Os 30/15h, hob der Oberste Gerichtshof den der Erteilung der Auslieferungsbewilligung zugrunde liegenden Beschluss des Rechtsmittelgerichts vom 20. Jänner 2015, AZ 22 Bs 248/14b, auf und wies es an, über die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung neu zu entscheiden (ON 117).

Als Folge dessen teilte das Bundesministerium für Justiz mit Erlass vom 27. April 2015, GZ BMJ‑4060431/0018‑IV4/2015 mit, dass der Bundesminister für Justiz die am 5. Februar 2015 erteilte Auslieferungsbewilligung widerrufen habe (ON 124).

Mit Erkenntnis vom 24. April 2015, GZ 13 Os 43/15w‑4 wies der Oberste Gerichtshof die von Dr. Anatoly R***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 20. März 2015 erhobene Grundrechtsbeschwerde ab und stellte fest, dass der Kritik an der Entscheidung des Bundesministers für Justiz nur im Zusammenhang mit der Frage der Aufhebung der zeitlichen Beschränkung der Auslieferungshaft Bedeutung zukommt. Zudem sprach er aus, dass das Oberlandesgericht Wien in der Auslieferungssache mit Blick auf den Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 5. Februar 2015, GZ BMJ‑4060431/0002‑IV4/2015, zu Recht davon ausging, dass die Beschränkung der Dauer der Auslieferungshaft mit der Bewilligung der Auslieferung durch den Bundesminister für Justiz entfallen ist (vgl Göth‑Flemmich in WK² ARHG § 29 Rz 19; 13 Os 27/15t, 13 Os 30/15h). Festgestellt wurde weiters, dass sich die Behauptung der Grundrechtsbeschwerde, nur einer Bewilligung in Bescheidform käme eine solche Wirkung zu, weder aus dem Gesetz (§§ 29 Abs 6, 34 Abs 1 ARHG) noch aus dem Bedürfnis des Schutzes subjektiver Rechte der betroffenen Person ableiten lässt. Darauf, dass sich aus einer zur Rechtslage vor dem Strafrechtsänderungsgesetz 2004 ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für den Rechtsstandpunkt des Beschwerdeführers nichts gewinnen lässt und der Oberste Gerichtshof sich in Betreff § 34 ARHG nicht zu einer Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG veranlasst sieht, wurde ebenso hingewiesen (ON 125).

2. Mit Beschluss vom 8. Mai 2015 gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Dr. Anatoly R***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. April 2015, mit dem die über ihn am 28. Februar 2014 verhängte Auslieferungshaft fortgesetzt worden war, nicht Folge und ordnete (erneut) die Fortsetzung der (bedingt obligatorischen) Haft gemäß § 29 ARHG iVm § 173 Abs 6 StPO (§ 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO) an (ON 127).

Rechtliche Beurteilung

3 . Dagegen richtet sich eine neuerlich die Überschreitung der zulässigen Höchstdauer der Auslieferungshaft und zudem Unverhältnismäßigkeit reklamierende Grundrechtsbeschwerde des Dr. Anatoly R*****.

Mit dem Einwand, der betroffenen Person drohe im Zielstaat eine konkrete Gefahr für Leib und Leben, spricht die Beschwerde die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung, damit aber keinen für die Frage der Auslieferungshaft bedeutsamen Umstand an (RIS‑Justiz RS0120452).

Mit der Behauptung, nur eine in Bescheidform ergangene Bewilligung habe den Entfall der Höchstfrist der Auslieferungshaft zur Folge, hat sich der Oberste Gerichtshof wie erwähnt bereits auseinandergesetzt und festgestellt, dass die Beschwerdethese im Gesetz keine Deckung findet (§ 29 Abs 6 ARHG). Soweit die Grundrechtsbeschwerde das bereits anlässlich der Bekämpfung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien vom 20. März 2015 erstattete Vorbringen einfach wiederholt, genügt es auf das zu Punkt 1. Dargelegte zu verweisen.

Auf den Widerruf der Auslieferungsbewilligung durch den Bundesminister für Justiz wurde die Haftbeschwerde nicht gestützt (ON 122). Die darauf Bezug nehmende Grundrechtsbeschwerde scheitert daher bereits an der horizontalen Erschöpfung des Instanzenzugs (13 Os 55/09a, RIS‑Justiz RS0114487 [insbesondere T19, T21], Kier in WK² GRBG § 1 Rz 42).

Hinzugefügt sei aber ein weiteres Mal, dass der angefochtene Beschluss mit Blick auf den Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 5. Februar 2015, GZ BMJ‑4060431/0002‑IV4/2015, zu Recht davon ausging, dass die Beschränkung der Dauer der Auslieferungshaft mit der Bewilligung der Auslieferung entfallen ist (vgl Göth‑Flemmich in WK² ARHG § 29 Rz 19; 13 Os 27/15t, 13 Os 30/15h; 13 Os 43/15w). Ebenso trifft die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht zu, wonach die Höchstfristen des § 29 Abs 5 und 6 ARHG weder durch die zu Punkt 1. dargestellte Aufhebung des Beschlusses des Rechtsmittelgerichts durch den Obersten Gerichtshof noch dadurch wieder aufleben, dass der Bundesminister für Justiz die nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens erteilte Bewilligung nachträglich widerrufen hat (vgl für den Bereich der Untersuchungshaft RIS‑Justiz RS0098035; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 178 Rz 7; § 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG; 13 Os 27/15t).

Weshalb der Hinweis des Beschwerdegerichts auf diese Judikatur verfehlt sei, obwohl § 29 Abs 1 letzter Satz StPO die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen über die Untersuchungshaft anordnet, legt die Grundrechtsbeschwerde nicht dar.

Die unsubstanziierte Behauptung der Unverhältnismäßigkeit der zum Entscheidungszeitpunkt ein Jahr und drei Monate andauernden Auslieferungshaft setzt sich weder mit der vom Oberlandesgericht Wien angenommenen hinreichenden Verdachtslage in Richtung der Beteiligung an mehreren versätzlichen Tötungshandlungen noch mit der Tatsache der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden langjährigen Freiheitsstrafe auseinander und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0061004 [T5], RS0112012 [T5] und RS0121605 [T3]).

Die Grundrechtsbeschwerde war demnach ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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