European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00058.14Z.1009.000
Spruch:
1/ Das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. Juli 2013, GZ 49 Hv 15/11x‑165, verletzt
a/ in der Verurteilung von Karl-Heinz T***** und Walter S***** „zur Zahlung eines Betrages in der Höhe von EUR 280.246,42 binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Urteiles an die Wiener Gebietskrankenkasse“ § 366 Abs 2 erster Satz, § 369 Abs 1 sowie § 67 Abs 4 Z 1 und Abs 5 zweiter Halbsatz StPO;
b/ in der Verweisung der Privatbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse „mit ihren weiteren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg“ § 67 Abs 4 Z 1 und Abs 5 zweiter Halbsatz StPO.
2/ Es werden dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den zu 1/a/ und b/ bezeichneten Aussprüchen aufgehoben, und der Privatbeteiligtenanschluss der Wiener Gebietskrankenkasse zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden ‑ soweit hier von Bedeutung (zu Punkt 2/ des Schuldspruchs) ‑ Karl‑Heinz T***** und Walter S***** des Verbrechens des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz nach § 153d Abs 1 und 2 (zu ergänzen: und 3) StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in Wien und Vorarlberg von 1. März bis Ende Dezember 2005 als faktische Geschäftsführer der Dienstgeberin TH***** GmbH Beiträge zur Sozialversicherung im 50.000 Euro übersteigenden Ausmaß von 280.246,42 Euro dem berechtigten Versicherungsträger, nämlich der Wiener Gebietskrankenkasse (kurz: WGKK), betrügerisch vorenthalten, indem sie schon die Anmeldung der Dienstnehmer zur Sozialversicherung bloß mit dem kollektivvertraglichen Mindestlohn (wobei sie jedoch tatsächlich höhere Löhne bezahlten und diese nicht nachmeldeten) mit dem Vorsatz vornahmen, keine ausreichenden Beiträge zu leisten.
Nachdem die WGKK der Staatsanwaltschaft einen Rückstandsausweis über 367.828,76 Euro samt Vollstreckbarkeitsbestätigung (§ 3 Abs 2 VVG) übermittelt hatte (ON 105), schloss sie sich dem Strafverfahren durch Erklärung (vgl § 67 Abs 2 StPO) ihres Vertreters in der Hauptverhandlung als Privatbeteiligte mit einem Betrag von 280.246,42 Euro samt 4 % Verzugszinsen an (ON 163 S 10).
Unter Berufung auf § 366 Abs 2 erster Satz iVm § 369 Abs 1 StPO wurden die beiden Angeklagten schuldig erkannt, der WGKK 280.246,42 Euro binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Urteils zu zahlen. „Mit ihren weiteren Ansprüchen“ (gemeint: dem Zinsenbegehren vgl US 37) wurde die Privatbeteiligte bezugnehmend auf § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO „auf den Zivilrechtsweg verwiesen“ (US 4 f).
Rechtliche Beurteilung
Dieser Ausspruch über die von der Privatbeteiligten geltend gemachten Ansprüche steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Ein Opfer hat das Recht zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen als Privatbeteiligter, wenn es durch die Straftat einen Schaden erlitten hat, der einen privatrechtlichen Anspruch begründet (§§ 67 Abs 1, 366 Abs 2 erster Satz StPO). Demnach ist ein auf öffentlich-rechtliche Forderungen gestützter Privatbeteiligtenanschluss unzulässig (RIS‑Justiz RS0086704 T1). Eine auf derartige Ansprüche bezogene Anschlusserklärung ist in jeder Lage des Verfahrens (jedoch möglichst frühzeitig) gemäß § 67 Abs 4 Z 1 (und Abs 5) StPO zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0124921). Im Fall einer solchen Anschlusserklärung ist daher weder ein Zuspruch gemäß §§ 366 Abs 2 erster Satz, 369 Abs 1 StPO noch eine Verweisung auf den Zivilrechtsweg (14 Os 77/12y, 105/12s; vgl auch 13 Os 152/08i betreffend Abgabenforderungen) zulässig.
Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber sind gemäß § 355 Z 3 ASVG Verwaltungssachen. Rückständige Beiträge sind demnach vom Sozialversicherungsträger im Verwaltungsverfahren einzutreiben; die Geltendmachung im Adhäsionsverfahren ist ausgeschlossen (§ 64 Abs 1 und 2 ASVG; RIS-Justiz RS0118868; 13 Os 99/12a; 14 Os 77/12y, 105/12s; Spenling, WK-StPO Vor §§ 366‑379 Rz 29; Kirchbacher/Presslauer in WK2 StGB § 153c Rz 33 f).
Da sich der Ausspruch über die von der WGKK geltend gemachten Ansprüche nachteilig auf die Angeklagten auswirkte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
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