OGH 13Os42/22h

OGH13Os42/22h22.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fischer in der Strafsache gegen * L* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 15. Oktober 2021, GZ 30 Hv 55/21w‑161, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00042.22H.0622.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * L* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 8. Juli 2020 in Z*  * J* vorsätzlich (dazu RIS‑Justiz RS0113270) zu töten versucht, indem er zunächst mit einer Faustfeuerwaffe acht Schüsse auf diesen abgab und ihn anschließend mit einem Pkw in ein Waldstück brachte, wo er ihn in unwegsamem Gelände einen Abhang hinabstieß, wobei es beim Versuch blieb, weil der Genannte seine dadurch erlittenen Verletzungen, nämlich mehrere Bauchschusswunden, Durchschüsse eines Hodens, des rechten Hüftgelenks und der rechten Hand mit Bruch der Mittelhandknochen des II. und des III. Mittelhandstrahls, Brüche der Handwurzelknochen, einen Schussbruch des linken Oberschenkelschafts sowie Blutungen unter der Leberkapsel und im rechten Unterbauch, überlebte.

[3] Hiefür wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, darüber hinaus wurde er nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Die Verfahrensrüge (Z 4) wähnt „§ 430 Abs 4 StPO iVm § 439 Abs 2 StPO“ dadurch verletzt, dass der beigezogene Sachverständige aus dem Gebiet der Neurologie und der Psychiatrie „nicht während des gesamten Beweisverfahrens anwesend“ gewesen sei.

[6] Letzteres verlangt § 439 Abs 2 StPO (der hier – weil über keinen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB zu entscheiden [§ 429 ff StPO] war, jedoch die in § 21 Abs 2 StGB vorgesehene vorbeugende Maßnahme angeordnet [§ 439 Abs 1 StPO] wurde – insoweit allein maßgeblich ist) aber keineswegs. Danach darf die hier ausgesprochene Maßnahme vielmehr (bei sonstiger Nichtigkeit) nur „nach Beiziehung“ eines solchen Sachverständigen angeordnet werden. „Beiziehung“ eines Sachverständigen aber besteht in der Hauptverhandlung – außer dem Fall des § 252 Abs 1 StPO – in dessen Vernehmung (RIS‑Justiz RS0115712), erfordert somit jedenfalls nicht seine Anwesenheit während des gesamten Beweisverfahrens (RIS-Justiz RS0101664 [insbesondere T1]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 259 f).

[7] In der Hauptverhandlung am 14. Oktober 2021 beantragte der Beschwerdeführer (durch seinen Verteidiger) die „Ergänzung des psychologischen SV‑Gutachtens betreffend“ seinen „gesundheitlichen Zustand“, weil „das psychologische SV‑Gutachten“ „insgesamt in sich widersprüchlich“, ja „sogar als standeswidrig zu betrachten“ sei. „Insofern“ werde der „psychologische Sachverständige wegen Befangenheit ab[gelehnt]“ und „die neuerliche Aufnahme eines SV‑Gutachtens zum Beweis dafür“ beantragt, dass beim Beschwerdeführer „weder die Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB noch des § 21 Abs 2 StGB gegeben“ seien (ON 159 S 42 f).

[8] Der – der Sache nach iVm Z 13 erster Fall erhobenen (eingehend zum Anfechtungskalkül in Bezug auf einen Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB 13 Os 92/19g EvBl 2020/99, 681) – weiteren Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurde dieser Antrag zu Recht abgelehnt (ON 159 S 44).

[9] Dies schon deshalb, weil die Antragsbegründung, die „Ergebnisse der gestrigen Verhandlung“ hätten „für den Sachverständigen“, der den Beschwerdeführer „lediglich einige Stunden hier im Prozess beobachtet“ habe, „keine Neuerungen hervorgebracht“ (ON 159 S 43), ihrem Inhalt nach weder eine Mangelhaftigkeit (§ 127 Abs 3 StPO) des – zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits (in der Hauptverhandlung am 13. Oktober 2021) erstatteten (ON 158 S 40 bis 52) – Gutachtens des beigezogenen (richtig) neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen noch eine Befangenheit (§ 126 Abs 4 StPO iVm § 47 Abs 1 StPO) desselben darlegte (zu prozessförmiger Geltendmachung von Mängeln eines Gutachtens und der Befangenheit von Sachverständigen siehe im Übrigen RIS-Justiz RS0126626, RS0117263 [insbesondere T1, T2] und RS0102833; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351 ff).

[10] Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).

[11] Die weitere Beschwerde beanstandet (aus Z 6) das Unterbleiben der Aufnahme einer (alternativ gefassten) Zusatzfrage (§ 313 StPO) nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB), Putativnotwehr (§ 8 StGB) und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (analog § 3 Abs 2 StGB) in den Fragenkatalog.

[12] Zur prozessordnungskonformen Darstellung einer Fragenrüge (Z 6) muss der Schluss vom angesprochenen Verfahrensergebnis (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) auf die begehrte Fragestellung den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechen (RIS‑Justiz RS0132634).

[13] Diesem Kriterium wird die Rüge nicht gerecht, indem sie die verlangte Zusatzfrage aus der – gerade keine (auch nur Putativ‑)Notwehrsituation (dazu Lewisch in WK2 StGB § 3 Rz 9 ff, 75 ff und 189) zum Tatzeitpunkt beschreibenden – Verantwortung des Beschwerdeführers (ON 158 S 6) abzuleiten versucht, er habe, nachdem er J* die (zuvor auf ihn selbst gerichtete) Waffe entrissen gehabt habe, damit auf diesen geschossen („das ganze Magazin geleert“).

[14] Weder das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB (US 5) noch der „rasche Rückfall“ nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug im April 2020 (vgl US 5) bestimmt den anzuwendenden Strafsatz (§ 75 StGB). Entgegen der Sanktionsrüge (Z 13) verstößt daher die aggravierende Wertung dieser beiden Umstände bei der Strafbemessung (US 6) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB (RIS‑Justiz RS0130193).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[16] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).

[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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