Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl S***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er Ende April 2002 in Wien als Marktamtsbeamter der MA 59 mit dem Vorsatz, dadurch die Gemeinde Wien in ihrem Recht auf Ahndung von Verstößen gegen Verwaltungsvorschriften zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der Gesundheit und der gesetzmäßigen Erstattung von Anzeigen zu schädigen, seine Befugnis, im Rahmen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch, dass er anlässlich seiner Marktamtskontrollen von dem Bäcker Murat Al Sa***** wiederholt einen Geldbetrag von insgesamt 4.000 Euro forderte und ihm im Fall einer Zahlungsverweigerung drohte, sein Geschäft zuzusperren, wissentlich missbraucht.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers durch die Abweisung seines Antrages auf Vernehmung des Murat Al S***** (AS 423) nicht verletzt, weil der Aufenthalt dieses Zeugen nicht ausgeforscht werden konnte (AS 413 ff). Somit war die beantragte Beweisaufnahme wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels undurchführbar.
Gestützt auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO, inhaltlich aber einen Begründungsmangel (Z 5) behauptend, rügt der Beschwerdeführer, dass das Erstgericht im Wesentlichen der Aussage des Zeugen Christian Peter D***** gefolgt sei, jedoch die - durch Verlesung des Polizeiprotokolls in die Hauptverhandlung eingeführten - Angaben des Zeugen Murat Al S***** insoweit unberücksichtigt gelassen habe, als sie ihm zum Vorteil gereichen würden. Er legt aber nicht dar, gegen welchen Ausspruch über eine entscheidende Tatsache sich die solcherart unsubstanziiert gebliebene Beschwerde richtet, so dass sie einer gesetzmäßigen Ausführung entbehrt.
Der Sache nach eine Rechtsrüge (Z 9 lit a) stellt hingegen das auf die Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Vorbringen dar, dass der Angeklagte seine Amtsbefugnis, insbesondere mangels sachlicher Zuständigkeit zur Schließung von Geschäftslokalen, nicht habe missbrauchen können. Der Beschwerdeführer verkennt, dass das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB auch durch missbräuchliche Ausdehnung der dem Beamten eingeräumte Befugnis, somit dadurch verwirklicht werden kann, dass ein zu Amtsgeschäften der vorgenommenen Art berufener Beamter seiner Zuständigkeit überschreitet und sich eine in conreto nicht gegebene funktionelle und örtliche Zuständigkeit anmaßt (15 Os 10/92, EvBl 1992/182 mwN; 12 Os 54/03; 12 Os 124/02).
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war der Angeklagte - abgesehen von seiner eigenen Zuständigkeit für die Marktaufsicht - am 30. April 2002 dem Fachbeamten der MA 59 Josef W***** aushilfsweise zur Unterstützung insbesondere zum Einsacken der gezogenen Proben zugeteilt, als beide die Bäckerei des Murat Al S***** wegen am Vortag festgestellter Mängel aufsuchten (US 4). Diese Intervention stellte ein Amtsgeschäft in Vollziehung der Gesetze dar, zu dem der Angeklagte beauftragt und somit befugt war. Denn der Begriff des Amtsgeschäftes ist keineswegs auf Rechtshandlungen, schon gar nicht auf die Ausübung einer Entscheidungsbefugnis oder einer Befehls- oder Zwangsgewalt beschränkt (13 Os 123/89, SSt 60/83).
Soweit der Beschwerdeführer mit der Subsumtionsrüge (Z 10) unsubstanziiert und ohne Ableitung aus dem Gesetz die Unterstellung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltes unter die Strafbestimmung der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 StGB anstrebt, führt er die Nichtigkeitsbeschwerde nicht prozessordnungsgemäß aus.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher insoweit in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen. Dem Urteil haftet allerdings der von Amts wegen wahrzunehmende (§ 290 Abs 1 StPO) Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO an. Nach den Urteilsannahmen begleitete der Angeklagte am 30. April 2002 den Zeugen Josef W*****, der Murat Al Sa***** die am Vortag festgestellten Beanstandungen des Bäckereibetriebes vorhielt und in diesem Zusammenhang erklärte, dass wegen der aufgezeigten Mängel Strafen in Höhe von etwa 14.400 Euro zu erwarten seien. Nachdem der Bäcker beteuerte, einen so hohen Betrag nicht aufbringen zu können, forderte der Angeklagte in Abwesenheit des Zeugen Josef W***** von Murat Al Sa***** insgesamt 4.000 Euro, widrigenfalls er ihm "die Bude zusperren" werde. Nachdem Murat Al Sa***** sich bereit erklärt hatte, 3.000 Euro zu bezahlen, kam es am 16. Mai 2002 zur Übergabe einer ersten Teilsumme von 2.000 Euro (US 4 f).
Nach den weiteren Urteilskonstatierungen wusste Karl S*****, dass er durch die Androhung der Schließung der Bäckerei und der Forderung eines Geldbetrages seine Befugnis, für die Gemeinde Wien Amtsgeschäfte vorzunehmen, missbrauchte. Dabei handelte er mit dem Vorsatz, die Gemeinde in ihrem Recht auf Ahndung von Verstößen gegen Gewerbevorschriften zu schädigen (US 5).
Die Forderung von Geld, um die Schließung eines Gewerbebetriebes hintanzuhalten, fällt nicht in den Befugnisbereich eines in der Marktaufsicht tätigen Beamten des Magistrates Wien. Darin könnte unter Umständen die Ankündigung eines künftigen Befugnismissbrauches liegen, nämlich trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Betriebssperre eine solche nicht vorzunehmen oder aber die Beanstandungen nicht zu melden und damit ein allenfalls einzuleitendes Verwaltungsstrafverfahren zu hintertreiben. Den Urteilsfeststellungen mangelt es daher an einem Sachverhaltssubstrat, welche konkreten Befugnisse der Angeklagte missbrauchte oder allenfalls missbrauchen wollte. Solcherart fehlen daher die Voraussetzungen für eine Subsumtion des inkriminierten Geschehens als Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB.
Das Urteil war daher wegen Vorliegens des amtswegig wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird abzuklären sein, ob die Forderung des Angeklagten gegebenenfalls mit einer tatsächlichen Hintanhaltung der Anzeige wegen der festgestellten Betriebsmängel in der Bäckerei des Murat Al Sa***** einherging oder zumindest einhergehen sollte; solcherart wäre ein Befugnismissbrauch oder dessen Versuch objektiv zu bejahen.
Im Übrigen wird im neu durchzuführenden Verfahren zu klären sein, inwieweit die Androhung der Schließung der Bäckerei nicht als gefährliche Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB zu werten und im Hinblick auf die Geldforderung bei einem auf ungerechtfertigte Bereicherung gerichteten Vorsatz damit das Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 15 StGB erfüllt wäre. In diesem Zusammenhang wäre auch die Qualifikation nach § 145 Abs 1 Z 1 neunter Fall StGB zu prüfen.
Ließe sich ein (zumindest versuchter) Befugnismissbrauch des Angeklagten feststellen, so würde - bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsmerkmale des § 302 Abs 1 StGB - das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt jenes der allenfalls gleichfalls verwirklichten teils vollendeten, teils versuchten Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 15 StGB verdrängen, weil letzteres in seiner Gesamtauswirkung nicht strenger strafbedroht ist (vgl Fabrizy StGB8 § 302 Rz 21). Würden hingegen im zweiten Rechtsgang die Voraussetzungen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 neunter Fall, 15 StGB - für das eine strengere Strafe angedroht ist - bejaht, so wäre von einem eintätigen Zusammentreffen mit dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB auszugehen (vgl Fabrizy StGB8 § 302 Rz 22).
Falls die Tatsacheninstanz im zweiten Rechtsgang im Fall entsprechender Verfahrensergebnisse zu einer im Vergleich zum angefochtenen Urteil ungünstigeren rechtlichen Beurteilung der angeklagten Tat käme, stünde das Verbot der reformatio in peius einer möglichen Verurteilung auch wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 neunter Fall, 15 StGB nicht entgegen, weil § 290 Abs 2 StPO lediglich untersagt, eine strengere Strafe als im ersten Rechtsgang zu verhängen (vgl Ratz in WK-StPO § 290 Rz 31; Fabrizy StPO9 § 290 Rz 9; Bertel/Venier Strafprozessrecht7 Rz 886; 14 Os 124/03).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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