OGH 13Os149/08y (13Os150/08w)

OGH13Os149/08y (13Os150/08w)17.12.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter S***** wegen Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB aF und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Juni 2008, GZ 31 Hv 183/07t-56, sowie über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. August 2008, GZ 31 Hv 183/07t-60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter S***** wegen Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (A) sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B) und wegen Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (C) schuldig erkannt.

Danach hat er „in Wien und Mönichkirchen

A. in der Zeit zwischen 1995 bis 30. September 1998 eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 [StGB]), nämlich eine mehrere Jahre dauernde posttraumatische Belastungsstörung und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, welche sich durch übermäßige Schreckhaftigkeit, Schlaflosigkeit, Ängstlichkeit, Flashbacks, sexuelle Störungen sowie ein Vermeidungsverhalten auszeichnen, zur Folge hatte, indem er seine am 24. Juni 1986 geborene Tochter Katja P***** nackt an sich drückte, deren Brüste knetete, seinen erigierten Penis an ihren Körper drückte und mit seiner Hand ihren Genitalbereich streichelte, unter die Hose fuhr und mit einem Finger in die Vagina eindrang;

B. in der Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zirka Mitte 1999 mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er seiner obgenannten Tochter den Finger in die Vagina einführte und zusätzlich deren Brüste streichelte, seinen erigierten Penis gegen ihren nackten Körper drückte und sie an der Vagina streichelte;

C. in der Zeit zwischen 1995 und 1999 mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person durch die unter A und B genannten Taten eine geschlechtliche Handlung vorgenommen."

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5, 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist berechtigt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) zeigt zutreffend auf, dass durch Nichterledigung des Antrags (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302) auf neuerliche Ladung der zur Begutachtung der Zeugin Katja P***** dem Verfahren beigezogenen psychologischen Sachverständigen Dr. Angelika G***** (S 545/I iVm ON 55/S 19), um sie mit den im Beweisantrag dargelegten methodischen Mängeln und Widersprüchen zu konfrontieren (S 525 bis 541/I), Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt wurden:

Wenn - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, kommt zur Beurteilung, welche Version glaubwürdiger ist, eine Beweisführung durch Aufnahme von Kontrollbeweisen, wie die ergänzende Befragung jener Sachverständigen, deren Hilfestellung durch das Gericht zufolge indizierter psychischer Erkrankung der Beweisperson (S 161/I und ON 27) beansprucht wurde, grundsätzlich in Betracht (RIS-Justiz RS0098429; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

Das Fragerecht des Angeklagten und des Verteidigers dient dem Grundrecht auf Verteidigung und ermöglicht vor allem Kontrollfragen, an Mitangeklagte, Zeugen und Sachverständige. Es entspricht dem in Art 6 Abs 3 lit d MRK auf Verfassungsebene verankerten Recht des Angeklagten zur Befragung von Belastungszeugen. Zu letzteren zählen schon nach der Rechtsprechung vor deren Positivierung (§ 249 Abs 3 StPO) iSd Art 6 Abs 3 lit d MRK auch Sachverständige (Kirchbacher, WK-StPO § 249 Rz 17; 14 Os 129/05k, JBl 2006, 536 [Burgstaller] = EvBl 2006/32, 170 = RZ 2006, 156 [RZ-EÜ 2006/212] = AnwBl 2006, 429 = SSt 2005/85 = Der Sachverständige 2006, 42 [Krammer] = AnwBl 2007, 235; jüngst 13 Os 132/08y), wobei die Konfrontation von gerichtlichen Sachverständigen mit wissenschaftlich fundierter Meinung privat beigezogener Fachleute („ Privatsachverständige") gesetzlich intendiert ist.

Fallaktuell wurde dem Angeklagten und seinem Verteidiger zwar in der Hauptverhandlung am 15. Jänner 2008 eine Befragung der Sachverständigen ermöglicht (S 365 ff/I). Es wurde ihnen aber keine Gelegenheit (mehr) gegeben, die Sachverständige mit Methodenkritik an ihrem Gutachten auf Basis der mit Schriftsatz vom 13 März 2008 (ON 46) vorgelegten Expertise des vom Verteidiger (nicht verzögert) beigezogenen Leiters des Instituts für forensische Psychologie D*****, Prof. Dr. Burkhard S***** vom 8. März 2008 zu konfrontieren, um allenfalls (die - laut Protokollsberichtigungsantrag ON 59 beantragte - Einholung eines weiteren Gutachtens voraussetzende; Hinterhofer, ÖJZ 2008, 401) Zweifel an den von ihr gezogenen Schlüssen aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0120362; siehe auch JBl 2006, 536 ff [Burgstaller] = EvBl 2006/32, 170). Denn wenngleich das Anwenden oder Nichtanwenden einer von mehreren wissenschaftlich anerkannten Untersuchungsmethoden keine Mangelhaftigkeit von Befund oder Gutachten der gerichtlich beigezogen Sachverständigen begründet (RIS-Justiz RS0097355; Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 2), so ist bei misslungener Entkräftung der dagegen vorgebrachten Einwände ein weiterer Experte beizuziehen (§ 127 Abs 3 StPO).

Ebenso berechtigt ist die Kritik an der (mit vorgreifender Beweiswürdigung [RIS-Justiz RS0096368] erfolgten; ON 55/S 31) Ablehnung der beantragten Einholung eines Ergänzungsgutachtens durch die Sachverständige Dr. Angelika G***** zur Berücksichtigung der in der Hauptverhandlung am 10. Juni 2008 vorgelegten Zeichnungen der Katja P***** (vgl ON 55/S 17 und 21 sowie Beilage ./C).

Da schon diese Nichtigkeit bewirkenden Verfahrensfehler - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - zur Aufhebung des Urteils und Verweisung der Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung führen (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 1 StPO), bedurfte das übrige Beschwerdevorbringen keiner Erörterung.

Zufolge Urteilsaufhebung sind die im ersten Rechtsgang gestellten Beweisanträge obsolet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310), weshalb der Angeklagte mit seiner auf die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls in Betreff von Beweisanträgen abzielenden Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. August 2008, GZ 31 Hv 183/07t-60, auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen war.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass bei mehreren realkonkurrierenden strafbaren Handlungen nach § 207 Abs 1 StGB, die (mit-)kausal (vgl Burgstaller in WK² § 80 Rz 68) für schwere Verletzungsfolgen im Sinn des § 207 Abs 2 erster Fall StGB aF geworden sind, die Erfolgsqualifikation nur bei einer dieser Taten anzulasten ist (RIS-Justiz RS0120828).

Ein Kostenausspruch nach § 390a StPO hatte zu unterbleiben (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).

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