OGH 13Os11/09f

OGH13Os11/09f16.4.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. April 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhard S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 dritter und vierter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 28. Oktober 2008, GZ 15 Hv 122/08v-41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Reinhard S***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 dritter und vierter Fall StGB (1.) und der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (2.) schuldig erkannt.

Danach hat er am 30. Mai 2008 in Graz Patricia R*****

1. mit Gewalt, indem er sich auf sie legte, sie niederhielt, ihre Beine auseinanderzwängte, sie würgte und ihren Kopf unter Anwendung von Körperkraft zu seinem Penis führte, durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie in seiner Wohnung einschloss, sowie durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), indem er mehrfach für Patricia R***** hörbar sagte, dass er sie abstechen werde, wenn sie sich nicht füge und still sei, abwechselnd zur Duldung des mehrfachen Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender (zu ergänzen: geschlechtlicher) Handlungen, nämlich des von ihm an ihr durchgeführten Oralverkehrs und der digitalen Penetration, sowie zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden (zu ergänzen: geschlechtlichen) Handlung an ihm, nämlich zum mehrfachen Oralverkehr, genötigt und Patricia R***** durch die Tat über längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und sie in besonderer Weise erniedrigt, und zwar durch die insgesamt beinahe eineinhalb Stunden dauernde Gewaltanwendung und Bedrohung mit dem Tod, durch die ständig wechselnden Sexualpraktiken, wobei insbesondere der wiederholt erzwungene Oralverkehr von ihr an ihm aufgrund der Dauer und der Tiefe des Eindringens seines Gliedes in ihren Mund bei Patricia R***** erhebliche Schmerzen im Mund- und Rachenraum hervorrief, durch die Vergewaltigung während sie an körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen wegen ihrer Substitolabhängigkeit litt sowie dadurch, dass er sie während der Vergewaltigung zum bloßen Lustobjekt degradierte, mit dem er nach seinem Belieben verfuhr,

2. durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur geforderten Unterlassung der Anzeigeerstattung zu nötigen versucht, indem er ankündigte:

„Wennst zur Polizei gehst, dann erwisch ich dich ganz sicher und dann spürst du den Feitel!", und damit zu verstehen gab, er werde im Fall einer Anzeigeerstattung sie finden und mit einem Messer töten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 5, 6, 8, 10a, 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel. Durch Abweisung der in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt (Z 5):

Weshalb die „Beischaffung und Vorspielung der Videoaufzeichnung der Bankomatkamera" geeignet sein könnte, mehr Aufschluss über das Beweisthema (Aufenthalt weiterer Personen in der Nähe des Bankomaten, welche wahrgenommen haben müssten, dass Patricia R***** zu diesem Zeitpunkt keinerlei Angstverhalten oder Furcht vor dem Angeklagten gezeigt hat, sondern im Gegenteil diesen begleitete) zu geben als die ohnedies vorliegenden Lichtbilder von jener Kamera (ON 35 S 13 ff), ist nicht offensichtlich und wurde auch bei der Antragstellung nicht begründet (ON 40 S 40 f; § 55 Abs 1 zweiter Satz StPO). Davon abgesehen ließ der Antragsteller offen, warum das unter Beweis gestellte Verhalten der Zeugin geeignet gewesen wäre, deren Schilderung vorangegangener qualifizierter Vergewaltigung und daran anschließender schwerer Nötigung in Zweifel zu ziehen. Desgleichen blieb beim Begehren auf Beischaffung der Vorstrafakten der Genannten offen, weshalb die Einsichtnahme in diese Akten geeignet sein sollte, eine im hier gegebenen Zusammenhang erhebliche Tatsache zu beweisen (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO). Dass Patricia R*****, worauf die Beweisaufnahme abzielte, „bereits massiv mehrfach straffällig geworden" sei, „auch zu Gewalttätigkeiten" und „zu betrügerischen Handlungen" neige, „worin auch beinhaltet" sei, dass sie „zu Unwahrheiten" neige (ON 40 S 41), lässt einen fassbaren Bezug zum hier in Rede stehenden Tatgeschehen vermissen, sodass auch dieser Antrag auf eine in der Hauptverhandlung nicht zulässige Erkundungsbeweisführung abzielte.

Dem Antrag auf „Einholung eines psychologischen Gutachtens betreffend die Zeugin R*****" zum Beweis ihrer Unglaubwürdigkeit stand schon entgegen, dass Zeugen nicht verpflichtet sind, sich gegen ihren Willen untersuchen zu lassen, und bei der Antragstellung nicht dargelegt wurde, warum anzunehmen sei, dass sich die Zeugin zur Befundaufnahme bereit finden werde (ON 40 S 41; RIS-Justiz RS0118956 [T3, T4]). Zudem blieb unerfindlich, aus welchem Grund hier zur - dem erkennenden Gericht vorbehaltenen (§ 258 Abs 2 StPO) - Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugin die nur in Ausnahmefällen in Betracht kommende Hilfestellung durch einen Sachverständigen indiziert gewesen sei (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Indem die Fragenrüge (Z 6) in Betreff der Hauptfrage I eine Eventualfrage in Richtung des nicht qualifizierten Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und in Ansehung der Hauptfrage II eine solche nach dem Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB vermisst, geht sie daran vorbei, dass die Geschworenen gemäß § 330 Abs 2 StPO die Möglichkeit bloß eingeschränkter Bejahung der Hauptfrage hatten, ohne jedoch mitzuteilen, aus welchem Grund es dem Schwurgerichtshof entgegen § 317 Abs 2 StPO nicht offen gestanden sein sollte, auf eine gesonderte Eventualfrage nach dem Grundtatbestand einer Vergewaltigung zu verzichten (RIS-Justiz RS0122944, RS0116961).

Indem der Einwand vermisster Belehrung zur Eignung einer als gefährlich einzustufenden Drohung und zum erforderlichen Bedeutungsinhalt einer Todesdrohung nicht Maß an der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung nimmt, verfehlt die Instruktionsrüge (Z 8) eine Ausrichtung am Verfahrensrecht. Gleiches gilt, soweit sie behauptet, eine Todesdrohung finde in den Beweisergebnissen keine Deckung. Welche konkrete Belehrung in Betreff der Vergewaltigungsqualifikationen nach § 201 Abs 2 StGB sie vermisst, sagt sie nicht konkret.

Über das Recht zu nur teilweiser Bejahung der Fragen (§ 330 Abs 2 StPO) sind die Geschworenen nicht in der schriftlichen Rechtsbelehrung, sondern bei der in § 323 Abs 2 StPO erwähnten Besprechung und durch Anschlag im Beratungszimmer (§ 325 Abs 2 StPO) zu unterrichten (RIS-Justiz RS0100777).

Beweisgrundsätze sind ebensowenig Gegenstand der schriftlichen Rechtsbelehrung (vgl § 321 Abs 2 StPO). Über sie werden die Geschworenen - abgesehen von der Eidesformel nach § 305 StPO und der allgemeinen Rechtsbelehrung nach § 325 Abs 1 StPO - in der Besprechung nach § 323 Abs 2 StPO instruiert (Philipp, WK-StPO § 321 Rz 15).

Beides ist nicht Gegenstand der Instruktionsrüge.

Der Nichtigkeitsgrund der Z 10a greift seinem Wesen nach erst, wenn sich „aus den Akten" nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen ergeben (RIS-Justiz RS0119583 [T7]). Solche Bedenken werden mit der vorliegenden Tatsachenrüge nicht geweckt.

Soweit der Angeklagte - übrigens undifferenziert - ein Aufklärungsdefizit behauptet, ist er auf die gefestigte Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Nichtigkeitsgrund der Z 10a unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung subsidiär gegenüber jenem der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO ist. Aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund können Mängel der Sachverhaltsermittlung daher nur mit der Behauptung gerügt werden, dass der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO) gehindert war (RIS-Justiz RS0115823). Derartiges wird hier nicht einmal behauptet.

Die Subsumtionsrüge (Z 12) übergeht die im Wahrspruch der Geschworenen konstatierte „insgesamt beinahe eineinhalb Stunden dauernde Gewaltanwendung" - die unter anderem im Würgen der Frau sowie darin bestand, dass der Beschwerdeführer ihren Kopf unter Anwendung von Körperkraft zu seinem Penis führte - „und Bedrohung mit dem Tod", weiters, dass „der wiederholt erzwungene Oralverkehr von ihr an ihm aufgrund der Dauer und der Tiefe des Eindringens seines Gliedes in ihren Mund bei Patricia R***** erhebliche Schmerzen im Mund- und Rachenraum hervorrief", und verfehlt solcherart eine an der Prozessordnung orientierte Ausrichtung.

Letzteres gilt auch für die Bestreitung der im Wahrspruch ausgedrückten Feststellung des Bedeutungsgehalts der Äußerung laut Schuldspruch Punkt 2 als Todesdrohung, die „in den Beweisergebnissen keine Deckung" finde und „schon aus logischen Überlegungen haltlos" sei.

Die Sanktionsrüge (Z 13) macht der Sache nach Berufungsgründe geltend, indem sie einwendet, dass die Vorstrafe angesichts ihrer Verbüßung „nicht wesentlich ins Gewicht fallen" könne, der rasche Rückfall nicht als erschwerend zu werten sei, „da es sich bei dieser Verurteilung um eine ganz andere Tat gehandelt hat und nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhte", und das als aggravierend gewertete Hämatom im Scheidenbereich des Opfers „nicht vorlag und somit auch aktenwidrig ist", wobei die Beschwerde zudem daran vorbeigeht, dass Umstände, die nicht strafsatzbestimmend sind, keiner Feststellung im Wahrspruch bedürfen (vgl §§ 312 Abs 1 zweiter Satz, 314 Abs 1, 316 StPO).

Warum mehrfache Qualifizierung gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 StGB) verstoßen soll, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet dargelegt, ebensowenig, was aus Erwägungen über eine hier gar nicht vorliegende Kumulierung von Strafen (vgl § 28 Abs 2 StGB) für den gegebenen Fall zu gewinnen sei (dem die Anwendung des Absorptionsprinzips [§ 28 Abs 1 StGB] zugrunde liegt; s dazu zB Leukauf/Steininger, Komm³ § 28 Rz 4 ff; Ratz in WK² § 28 Rz 2). Da rascher Rückfall und Begehung der Tat während der Probezeit nicht die Strafdrohung bestimmen (worauf aber § 32 Abs 2 StGB abstellt), wird auch durch Bezugnahme auf diese Erschwerungsgründe kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot aufgezeigt.

Die Begehung der Taten unter dem Einfluss einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad wurde gar wohl festgestellt (US 6 oben; vgl Ratz in WK² § 21 Rz 11).

Die - auf das Gutachten des Sachverständigen bezogenen - Einwände gegen die Begründung der dem Angeklagten im Urteil gestellten Gefährlichkeitsprognose (US 6) stellen ein Berufungsvorbringen dar (s dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 717 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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