European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00109.22M.0322.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Strafsache AZ 4 Hv 11/20k des Landesgerichts Wels verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 6. Juli 2022, AZ 8 Bs 32/22w, (ON 370) §§ 86 Abs 1, 89 Abs 2b StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird demOberlandesgericht Linz die Erneuerung des Beschwerdeverfahrens aufgetragen.
Der Verurteilte wird mit seinem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit rechtskräftigem, auch einen Freispruch enthaltenden, Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 17. Juni 2020 wurde Dr. * K*, geboren am *, mehrerer Verbrechen und Vergehen schuldig erkannt und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet (ON 299).
[2] Mit Beschluss vom 25. Jänner 2022 (ON 360) bestimmte das Landesgericht Wels die vom Verurteilten zu ersetzenden Kosten mit insgesamt 43.662 Euro, darin enthalten auch die Gebühren des Sachverständigen (§ 381 Abs 1 Z 2 StPO) DI Dr. F* (ON 25) in der Höhe von 15.278 Euro (vgl ON 26).
[3] Gegen diesen Beschluss richtete sich die Beschwerde des Verurteilten (ON 363), mit der er die Verpflichtung zum Ersatz der Gebühren des Sachverständigen DI Dr. F* mit der Begründung bekämpfte, dass dessen Gutachten für die Verurteilung nicht notwendig gewesen sei.
[4] Mit Beschluss vom 6. Juli 2022, AZ 8 Bs 32/22w, (ON 370) gab das Oberlandesgericht Linz der Beschwerde teilweise Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahingehend ab, dass die vom Verurteilten zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens mit insgesamt 42.898,10 Euro bestimmt werden.
[5] Begründend hielt das Beschwerdegericht fest (BS 3 f), dass im Sinn des § 389 Abs 2 StPO jene Gebühren der Sachverständigen (§ 381 Abs 1 Z 2 StPO) vom Kostenersatz auszunehmen sind, die Handlungen betreffen, welche zu keiner Verurteilung geführt haben. Da sich der von den Fragestellungen an den Sachverständigen DI Dr. F* umfasste Verdacht in Richtung von Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a StGB in der Folge nicht erhärtet habe und es diesbezüglich mangels Anklage zu keiner Verurteilung gekommen sei, hätte das Erstgericht richtigerweise mittels Kostenteilung vorgehen und gewichten müssen, welcher Anteil der Gebühren des Sachverständigen auf die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Taten entfallen. Diese unterbliebene Kostenteilung habe das Beschwerdegericht nachgeholt, wobei es zur abschließenden Beantwortung der Frage, welcher Anteil der Gutachtertätigkeit auf die vom Schuldspruch umfassten Sachverhalte entfallen sei, eine Stellungnahme des Sachverständigen DI Dr. F* eingeholt habe. Mit Schreiben vom 18. Mai 2022 (ON 367) habe der Experte den Aufwand in Bezug auf den Verdacht, der sich nicht erhärtet habe, mit höchstens 5 % des Gesamtvolumens bezeichnet. Demnach seien die vom Verurteilten zu ersetzenden Kosten für das Gutachten um 5 %, sohin um 763,90 Euro, zu kürzen gewesen.
Rechtliche Beurteilung
[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht (ON 370) mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[7] Wird ein Strafverfahren gegen einen Angeklagten wegen mehrerer Straftaten teils mit Schuld‑, teils mit Freispruch erledigt, hat das Gericht dem Angeklagten nach § 389 Abs 2 StPO nur die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, die sich auf die Straftaten beziehen, hinsichtlich deren er schuldig gesprochen worden ist. Die Kosten des zum Teilfreispruch führenden Verfahrens sind vom Ersatz auszunehmen. Dies gilt auch dann, wenn es zu keinem formellen (Teil‑)Freispruch in der Hauptverhandlung gekommen ist, sondern das Verfahren insoweit schon davor eingestellt worden ist (§§ 190 bis 192 StPO, § 227 Abs 1 StPO) oder das (in Rechtskraft erwachsene) Urteil die Anklage nicht zur Gänze erledigt hat (15 Os 158/12t; Lendl, WK‑StPO § 389 Rz 11).
[8] Folglich war der Verurteilte – im Sinn der insoweit zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Linz – im Kostenbestimmungsbeschluss nur zum Ersatz jener – zu den Kosten des Strafverfahrens zählenden (§ 381 Abs 1 Z 2 StPO) – Gebühren des Sachverständigen zu verpflichten, die durch ein Gutachten wegen jener Tat(en) notwendig geworden sind, deretwegen er verurteilt wurde (Lendl, WK‑StPO § 381 Rz 18 und § 389 Rz 12).
[9] Ein Beschluss hat gemäß § 86 Abs 1 StPO neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten (§ 86 Abs 1 vierter Satz StPO). Die Pflicht zur Angabe des rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhalts umfasst auch jene zur Darlegung der Tatsachen (Beweisergebnisse), auf denen diese Sachverhaltsannahmen beruhen. Erst dadurch wird die Tatsachengrundlage der Entscheidung (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) dahin überprüfbar, ob sie in formal einwandfreier Weise – also ohne Begründungsmängel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO und demnach nicht willkürlich – geschaffen worden ist (siehe auch § 89 Abs 2a Z 3 StPO; vgl 15 Os 35/18p und 15 Os 42/20w). Die Anforderung einer derart mängelfreien Begründung gilt auch für – wie vorliegend – reformatorische Beschwerdeentscheidungen (§ 89 Abs 2b StPO; vgl erneut 15 Os 35/18p und 15 Os 42/20w).
[10] Entscheidungen (§ 35 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StPO) sind dann rechtsfehlerhaft, wenn die Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat das Gesetz verletzt oder die Sachverhaltsannahmen entweder in einem rechtlich mangelhaften Verfahren zustande gekommen oder mit einem formalen Begründungsmangel behaftet sind und demnach willkürlich getroffen wurden (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 17; RIS‑Justiz RS0126648, RS0123668, RS0120232 und RS0132725).
[11] Letzteres ist hier der Fall:
[12] Die für die Kostenseparation maßgeblichen Sachverhaltsannahmen stützte das Beschwerdegericht auf eine Stellungnahme des Sachverständigen DI Dr. F* vom 18. Mai 2022 (BS 4), welche sich inhaltlich nicht auf den Verurteilten Dr. * K*, geboren am *, sondern auf einen Beschuldigten namens L*, bezieht (ON 367). Der aus dieser Stellungnahme gezogene Schluss des Oberlandesgerichts ist somit mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens nicht vereinbar (vgl § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO [RIS‑Justiz RS0116732]). Solcherart erweist sich die Begründung der Sachverhaltsannahmen als willkürlich.
[13] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
[14] Mit seinem (ebenfalls) auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 6. Juli 2022, AZ 8 Bs 32/22w, bezogenen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war der Verurteilte auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verweisen.
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