European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00006.24K.0516.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
[1] Mit Eingabe vom 11. November 2021 (ON 2) erstattete die Polizeiinspektion F* gemäß § 100 Abs 3a StPO Bericht an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt (AZ 69 BAZ 900/21i). Danach sei es am 11. September 2021 im Kellerbereich (Heizungsraum) des in T* gelegenen Wohnhauses des Ing. * W* MBA zu einem zunächst durch den Genannten mit einem Schaumfeuerlöscher und sodann durch Nachlöscharbeiten seitens der Feuerwehr erfolgreich bekämpften „Brandereignis“ gekommen. Dadurch sei ein bei der K* Landesversicherung auf Gegenseitigkeit (im Folgenden: K* Landesversicherung) gedeckter Schaden in der Höhe von ca 8.425 Euro entstanden. Der Bericht verweist unter anderem darauf, dass nach der vom Bezirksbrandermittler der Polizeiinspektion F* am 14. September 2021 durchgeführten, „alle subjektiven und objektiven Brandentstehungsmöglichkeiten“ berücksichtigenden Brandursachenermittlung ein elektrischer Defekt/Kurzschluss im Bereich des Schaltautomaten im Heizraum den Brand verursacht haben dürfte. Hinweise auf „andere Brandursachen subjektiver und objektiver Art“ seien vom Bezirksbrandermittler nicht festgestellt worden. Ausdrücklich festgehalten wird im Bericht, dass „bei den durchgeführten Erkundigungen […] keinerlei Hinweis auf Fremdverschulden festgestellt werden“ konnte.
[2] Mit Verfügung vom 18. November 2021 (ON 1.1) sah die Staatsanwaltschaft Klagenfurt mangels Vorliegens eines Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) gemäß § 35c StAG von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab. Davon verständigte sie mit Hinweis darauf, dass bei einem Vorgehen gemäß § 35c StAG kein Recht auf Akteneinsicht bestehe, (auch) den eine solche zuvor (und auch in der Folge mehrfach) beantragenden (ON 3.1) Rechtsvertreter der Kärntner Landesversicherung (vgl auch ON 1.4, 1.5, 3.2, 6 und 8).
[3] Den unter Hinweis auf die Opfereigenschaft seitens der genannten Versicherung gegen die Verweigerung der Akteneinsicht erhobenen Einspruch wegen Rechtsverletzung (ON 9) wies das Landesgericht Klagenfurt zur AZ 9 HR 309/22w nach Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft gemäß § 106 Abs 5 StPO (ON 1.6) mit Beschluss vom 22. Dezember 2022 zurück (ON 10). Begründend verwies es auf das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 35c StAG und führte – ohne nähere Darstellung der von der Polizei gesetzten Tätigkeiten – aus, es hätten keine Ermittlungsmaßnahmen stattgefunden. Solcherart bestehe kein aus der StPO ableitbares Recht der Antragstellerin auf Akteneinsicht und sei der Einspruch wegen Rechtsverletzung als unzulässig zurückzuweisen.
[4] Der dagegen erhobenen Beschwerde der genannten Versicherung (ON 12.2) gab das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht zur AZ 10 Bs 8/23m mit Beschluss vom 24. Jänner 2023 nicht Folge (ON 14.3). Begründend führte es – soweit hier von Relevanz – aus, dass die am 14. September 2021 erfolgte (hinsichtlich der konkreten Tätigkeit des Bezirksbrandermittlers nicht näher umschriebene) „Brandursachenermittlung“ (siehe den ausdrücklichen Verweis auf ON 2.2, 3) keine Ermittlungshandlung nach dem zweiten Teil der StPO darstelle, sondern im Rahmen der Sicherheitspolizei gemäß § 19 Abs 1 Z 2 SPG erfolgt sei. Die Erhebungen zur Brandursache seien als Feuerpolizei zur Abwehr der gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Gefährdung von Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Menschen getätigt worden („wie hier“, BS 3). Demgemäß sei kein Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt und damit auch der Einspruch wegen Rechtsverletzung zutreffend durch das Erstgericht zurückgewiesen worden.
[5] In ihrer gegen die beiden dargestellten Beschlüsse, soweit sie jeweils von einem nicht in Gang gesetzten Ermittlungsverfahren nach dem zweiten Teil der StPO ausgehen, zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur aus:
„1./ Gemäß § 106 Abs 1 Z 1 StPO steht Einspruch an das Gericht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht – wie etwa jenem von Opfern auf (aktuell seitens der Staatsanwaltschaft verweigerte) Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren (§ 68 Abs 1 und 2 iVm § 51 Abs 1 StPO) – verletzt worden zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach diesem Gesetz verweigert wurde (Pilnacek/Stricker, WK‑StPO § 106 Rz 10 f; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 106 Rz 2). Im Fall kriminalpolizeilichen Handelns ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft, wohl aber in Ausübung der Strafrechtspflege, steht dem Betroffenen die Beschwerde wegen Verletzung subjektiver Rechte gemäß § 88 SPG, allenfalls die Beschwerde wegen Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten gemäß § 89 SPG, jeweils an das Landesverwaltungsgericht zu (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 106 Rz 1/2). Unzulässige Einsprüche sind vom Gericht zurückzuweisen (§ 107 Abs 1 erster Satz StPO; Pilnacek/Stricker, WK‑StPO § 107 Rz 11 und 13; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 107 Rz 2). Gegen ein zulässiges Vorgehen gemäß § 35c StAG steht hingegen mangels Vorliegens eines Ermittlungsverfahrens kein Einspruch wegen Rechtsverletzung zu (13 Os 101/20g; Nordmeyer, WK-StPO § 190 Rz 67; vgl auch Brandstetter/Singer in LiK‑StPO § 106 Rz 25).
Gemäß § 1 Abs 2 erster Satz, erster Halbsatz StPO beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei (und nicht etwa die Sicherheitspolizei [Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 56 mwN]) oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (Abs 3 leg cit) nach den Bestimmungen des zweiten Teils der StPO (gegen eine bekannte oder unbekannte Person) ermitteln (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 1 Rz 5; Markel, WK‑StPO § 1 Rz 26; Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 12 § 1 Rz 1). Ein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung ('Straftat' iSd § 1 Abs 1 zweiter Satz StPO) begangen worden ist, somit ein Verhalten gesetzt wurde, das Gegenstand eines Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO sein kann, das also tatbestandsmäßig, rechtswidrig und (von § 21 Abs 1 StGB abgesehen) schuldhaft ist und auch zusätzlichen Voraussetzungen (wie dem Fehlen von Strafausschließungs-gründen) genügt (RIS‑Justiz RS0132159; vgl auch Steiner in LiK‑StPO § 190 Rz 57). Damit endet einerseits die sicherheitspolizeiliche Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und beginnt andererseits das Ermittlungsverfahren (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 1 Rz 7). Nur dann, wenn sich der Anzeige bzw dem Bericht der Kriminalpolizei (gemäß § 100 Abs 3a StPO) kein Anfangsverdacht entnehmen lässt und noch keine Ermittlungshandlungen (sondern nur Erkundigungen bzw Nutzungen von allgemein zugänglichen oder behördeninternen Informationsquellen iSd § 91 Abs 2 letzter Satz StPO) erfolgt sind, kann gemäß § 35c StAG von der Einleitungeines Ermittlungsverfahrens abgesehen werden (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 1 Rz 8/2; Markel, WK‑StPO § 1 Rz 26; Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 10). Ein Vorgehen nach § 35c StAG ist somit nur dann möglich, wenn noch keine Ermittlungen iSd § 91 Abs 2 erster Satz StPO durchgeführt wurden (Haslinger/Mc Allister in LiK‑StPO § 91 Rz 19 mwN; Steiner aaO § 190 Rz 73).
Dabei ist gemäß § 91 Abs 2 erster Satz StPO Ermittlung jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dient (Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 5). Zufolge Abs 2 letzter Satz leg cit stellen jedoch die bloße Nutzung von allgemein zugänglichen oder behördeninternen Informationsquellen (wie etwa Internet, Telefonbuch oder amtliche Online‑Register [Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 11/1]) sowie die Durchführung von Erkundigungen zur Klärung, ob (überhaupt) ein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) vorliegt, keine Ermittlungen in diesem Sinn dar (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 91 Rz 5; Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 10 ff; Markel, WK‑StPO § 1 Rz 26; Haslinger/Mc Allister in LiK‑StPO § 91 Rz 11 f; Steiner aaO § 190 Rz 77).
Solcherart ist Zielsetzung des § 91 Abs 2 letzter Satz StPO, die Führung eines Ermittlungsverfahrens bei leicht durchführbarem Ausschluss eines Anfangsverdachts – auch zum Schutz der angezeigten Person (vgl auch EBRV 181 BlgNR XXV GP 2) – zu vermeiden (12 Os 10/22w [9], [verstärkter Senat:] 12 Os 92/21b [12 f], 15 Os 20/19h; RIS‑Justiz RS0133968, RS0132755), sodass im Stadium vor Beginn des Strafverfahrens nur die oben angeführten Vorfeldermittlungen minderer Intensität, mit denen etwa bloße Grundlagen für eine erst in weiterer Folge stattfindende Auseinandersetzung mit dem Anzeigesachverhalt geschaffen werden sollen, zulässig sind (RIS‑Justiz RS0134021; 12 Os 10/22w [10], 12 Os 23/20d; Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 10).
Eine Informationsbeschaffung, die über das nach dieser Bestimmung Zulässige hinausgeht, begründet hingegen die unwiderlegliche Annahme (zumindest) eines Anfangsverdachts durch die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft, womit auch ein nach § 1 Abs 2 StPO geführtes Ermittlungsverfahren vorliegt und solcherart ausschließlich das Tätigwerden der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft in bestimmter Weise für den Beginn des Strafverfahrens entscheidend ist ([verstärkter Senat:] 12 Os 92/21b [11], 12 Os 23/20d; vgl auch RIS‑Justiz RS0134021). Auch bei einem zunächst irrig angenommenen Anfangsverdacht und zu dessen Klärung vorgenommenen Ermittlungen ist das solcherart begonnene Ermittlungsverfahren gemäß § 190 StPO einzustellen, weil ein Absehen von der Einleitung eines faktisch begonnenen Ermittlungsverfahrens denklogisch nicht mehr möglich ist. Dies gilt auch dann, wenn die Kriminalpolizei – wie aktuell – zwar einen Anfangsverdacht verneint oder zumindest bezweifelt, jedoch dem gemäß § 100 Abs 3a StPO übermittelten Bericht Ermittlungsergebnisse beiliegen (Steiner in LiK‑StPO § 190 Rz 58 und 73).
Gemäß § 151 Z 1 StPO ist eine Erkundigung das Verlangen von (freiwilliger [12 Os 92/21b {10}]) Auskunft und das Entgegennehmen einer Mitteilung von einer Person (Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 11/5; Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 151 Rz 2; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 151 Rz 1; Haslinger/Mc Allister in LiK‑StPO § 91 Rz 9; Steiner aaO § 190 Rz 83).
Solcherart bildet vorliegend die Entgegennahme der ersichtlich freiwilligen Angaben des Ing. * W*, MBA durch die Kriminalpolizei (ON 2.2 S 3) – mag dieser auch in der Folge durch die Kriminalpolizei als 'Angezeigter' geführt worden sein (ON 2.2 S 4, ON 2.3) – ersichtlich eine bloße Erkundigung.
Ebenso ist auch das bloße Anfertigen von Lichtbildern der Tatörtlichkeit durch die Kriminalpolizei (ON 2.2 S 2 iVm ON 2.4) und damit – wertungsmäßig einer freiwilligen Erkundigung bzw der Nutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen iSd § 91 Abs 2 letzter Satz StPO vergleichbar – von für jedermann allgemein ersichtlichen Umständen nicht als eine ein Ermittlungsverfahren in Gang setzende Aufklärungstätigkeit zu qualifizieren (vgl auch Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 11, der auch das bloße Erheben objektiver Gegebenheiten als Erkundigung wertet; a.A. Steiner in LiK‑StPO § 190 Rz 86).
Die Auslegung des Begriffs 'behördeninterne Informationsquellen' orientiert sich an den erwähnten Maßstäben des § 91 Abs 2 letzter Satz StPO (12 Os 10/22w [10]). Soweit aktuell relevant, sind behördenintern damit grundsätzlich nur solche Informationsquellen, welche die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft durch bloße Einsichtnahme ohne Inanspruchnahme Dritter nutzen kann und darf ([verstärkter Senat:] 12 Os 92/21b [13], 12 Os 23/20d, 15 Os 20/19h, jeweils mwN; RIS‑Justiz RS0133968, RS0133399, RS0132755, RS0132639; Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 11; Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 60).
Ausgehend davon, dass die im verstärkten Senat zu 12 Os 92/21b ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs die bis dahin von der Rechtsprechung teilweise vertretene Definition des Begriffs der 'behördeninternen Informationsquellen' (vgl 14 Os 21/19y) in Bezug auf dessen Reichweite auf solche Quellen, die eine bloße Einsichtnahme ohne Inanspruchnahme Dritter ermöglichen, eingrenzte, ergibt sich, dass diese behördeninternen Informationsquellen im Zeitpunkt der Prüfung des Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) bereits vorhanden sein müssen und nicht im Zuge der jeweils fallaktuellen Anfangsverdachtsprüfung just erst geschaffen werden dürfen, widrigenfalls mangels zu diesem Zeitpunkt zur „Einsichtnahme“ geeigneter behördeninterner Informations-quellen solche nicht vorliegen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen, die nicht zugleich bloß Erkundigungen oder die Nutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen bilden (§ 91 Abs 2 letzter Satz StPO), eine über die genannte Schwelle hinausgehende Aufklärungstätigkeit darstellen, die unwiderlegbar – ohne dass es auf die rechtliche Einschätzung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts bezüglich der Intensität der Verdachtslage ankäme – ein Ermittlungsverfahren iSd § 1 Abs 2 StPO in Gang setzt (RIS‑Justiz RS0134021).
Solcherart bildet die (erst) am 14. September 2021 und damit drei Tage nach dem bereits am 11. September 2021 erfolgten und an diesem Tag angezeigten sowie auch gelöschten Brandgeschehen hinsichtlich 'alle[r] subjektiven und objektiven Brandentstehungsmöglichkeiten' (und damit ersichtlich auch zur Prüfung allfälliger, durch fahrlässiges Handeln zu verantwortender Sorgfaltswidrigkeiten) durchgeführte Brandursachen-ermittlung durch den Bezirksbrandermittler der Polizeiinspektion F* (ON 2.2 S 3) weder eine bloße Erkundigung (12 Os 10/22w [6./]) noch eine bloße Nutzung von (hier) behördeninternen Informationsquellen.
Die rechtliche Beurteilung in den Beschlüssen des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. Dezember 2022, AZ 9 HR 309/22w (BS 3 f) sowie des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 24. Jänner 2023, AZ 10 Bs 8/23m, wonach 'keine Ermittlungsmaßnahmen' gesetzt worden wären und solcherart 'kein Ermittlungsverfahren' geführt worden wäre (ON 10 S 3 f, ON 14.3 S 3 f), weshalb der als Privatbeteiligte einschreitenden K* Landesversicherung (ON 5) ein Recht auf Akteneinsicht (§ 68 Abs 1 StPO) nicht zustehe, verletzt daher jeweils das Gesetz in den Bestimmungen des § 91 Abs 2 StPO und des § 106 Abs 1 Z 1 StPO, beide genannten Beschlüsse in Ansehung der (unbeanstandet gebliebenen) Zurückweisung des Einspruchs wegen Rechtsverletzung überdies auch in § 107 Abs 1 erster Satz StPO.
2./ Im Übrigen erweist sich auch die Annahme des Beschwerdegerichts, wonach 'die Brandursachen-ermittlung nicht nach der in der StPO vorgesehenen Form als Beweisaufnahme zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat, sondern im Rahmen der Gefahrenerforschung iSd § 19 Abs 1 Z 2 SPG' erfolgt wäre (ON 14.3 S 3 letzter Absatz), aus nachstehenden Erwägungen als rechtlich verfehlt:
Gemäß § 19 Abs 1 Z 2 SPG trifft die Sicherheitsbehörden die (ungeachtet einer allfälligen landesgesetzlichen Zuweisung in die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden uneingeschränkt subsidiäre) erste allgemeine Hilfeleistungspflicht (nur dann), wenn Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Menschen gegenwärtig gefährdet sind oder eine solche Gefährdung unmittelbar bevorsteht und die Abwehr der Gefährdung (soweit aktuell relevant) zur Feuerpolizei gehört (Pürstl/Zirnsack, SPG2 § 19 Anm 9; Giese in Thanner/Vogl, SPG2 § 19 Anm 4; vgl auch 14 Os 100/11d;siehe auch Art 78a Abs 2 B‑VG). Bei Vorliegen einer allgemeinen Gefahr hat deren Erforschung und Abwehr im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit (2. Hauptstück SPG) zu erfolgen (§ 19 Abs 2 Z 1 SPG). Andere Behörden, die Rettung oder die Feuerwehr sind zu verständigen, wenn die Gefahrenabwehr in deren Zuständigkeit fällt (Z 2 leg cit), wobei erst mit deren Einschreiten die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht der Sicherheitsbehörden entfällt (§ 19 Abs 4 zweiter Satzteil SPG).
Eine solche gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehend drohende Gefährdung der angeführten Rechtsgüter ist daher stets unabdingbare Prämisse der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht nach § 19 SPG. Eine Gefährdung ist hier jedoch nach der vom Oberlandesgericht nicht erörterten Aktenlage (zur Zulässigkeit deren Berücksichtigung unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO vgl Fabrizy/Kirchbacher¸ StPO14 § 23 Rz 4/1) zum Zeitpunkt des erst drei Tage nach dem Brandgeschehen, das im Übrigen noch vor dem Eintreffen der Polizei am Vorfallstag vollständig unter Kontrolle gebracht werden konnte ('Nachlöscharbeiten bereits beendet und das Wohnhaus durchlüftet' [ON 2.2 S 2 f]), somit nicht zur Gefahrenabwehr erfolgten Einschreitens des Brandermittlers der Polizeiinspektion F* nicht vorgelegen.
Aktuelle Gefahrenabwehr in Erfüllung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht im Bereich der 'Feuerpolizei' iSd § 19 Abs 1 Z 2 SPG meint entgegen der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts ausschließlich 'Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Bränden', weshalb den Sicherheitsbehörden vor allem die Setzung von 'Maßnahmen zur ersten Bekämpfung ausgebrochener oder im Ausbrechen begriffener Brände' und zur 'Rettung von Menschen und Sachen aus der Feuergefahr' obliegt (Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz20 § 19 Rz 7; vgl auch Pürstl/Zirnsack, SPG2 § 19 Anm 11, die zwar auch die Ursachenerforschung nach einem Brand als Aufgabe der Feuerpolizei sehen, jedoch klarstellen, dass sich die Gefahrenabwehr nach § 19 Abs 1 SPG auf unmittelbare oder unmittelbar bevorstehende Gefährdungen bezieht und daher die erste allgemeine Hilfeleistung bei einem Brand 'hauptsächlich' die Brandbekämpfung betreffen soll; vgl insb auch Giese in Thanner/Vogl, SPG2 § 19 Anm 4 und 10, nach welchen Ermittlungen nach dem Ende der Gefahr und nach dem Einschreiten der zuständigen Behörde oder der Feuerwehr nicht mehr auf die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht gestützt werden können). Der Hinweis in Anm 6 aaO, wonach die Erhebung der Brandursache nach dem Brand zur Feuerpolizei zu zählen ist, bezeichnet somit – vom Oberlandesgericht verkannt – keine Agenda der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht nach § 19 SPG.
Die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht endete daher vorliegend mit dem am 11. September 2021 erfolgten Einschreiten der Feuerwehr (ON 2.2 S 2 f; Giese in Thanner/Vogl, SPG2 § 19 Anm 1, 4, 10 und 14; Pürstl/Zirnsack, SPG2 § 19 Anm 8, 17 f und 22), womit die erst am 14. September 2021 erfolgte Brandursachenermittlung durch einen Bezirksbrandermittler einer Polizeiinspektion gemäß § 19 Abs 4 SPG nicht mehr auf die (insoweit subsidiäre) erste allgemeine Hilfeleistungspflicht gestützt werden kann (Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz20 § 19 Anm 1, 10., 10.2.), sondern der StPO zuzurechnen ist und solcherart auch keine parallele Anwendung von SPG und StPO (Keplinger/Prunner/Pühringer in LiK‑StPO § 18 Rz 25 f) mehr erfolgen kann.
Die rechtliche Annahme des Oberlandesgerichts, die Brandursachenermittlung stelle eine Maßnahme im Rahmen der Gefahrenerforschung in Erfüllung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht gemäß § 19 Abs 1 Z 2 SPG dar, verletzt daher das Gesetz in dieser Bestimmung.
Im Übrigen setzt die Wahrnehmung der den Sicherheitsbehörden gemäß § 22 Abs 3 SPG übertragenen Kompetenzen in der 'Nachklärungsphase' einen vorangegangenen gefährlichen Angriff voraus, der gemäß § 16 Abs 2 SPG jedoch nur dann vorliegt, wenn es sich um die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestands einer – in Z 1 bis 6 leg cit näher definierten – gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen wurde und nicht bloß auf Verlangen eines Verletzten verfolgt wird, handelt. Der Sicherheitspolizei kommt daher im Bereich der vorliegend indizierten Fahrlässigkeitsstrafbarkeit (§ 170 Abs 1 StGB) keine Kompetenz zur 'Nachklärung' gemäß § 22 Abs 3 SPG zu (Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz20 § 16 Rz 4.1. und 4.6; Giese in Thanner/Vogl, SPG2 § 16 Anm 5; Pürstl/Zirnsack, SPG2 § 16 Anm 1 [tlw a.A.] und 10 sowie § 19 Anm 11, die bei Verdacht einer fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst nach § 170 Abs 1 StGB die [nachträgliche] Aufklärungspflicht der Sicherheitsbehörden auf § 24 StPO [idF vor BGBl I 2004/19] stützen).“
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[6] Voranzustellen ist, dass sich die Wahrungsbeschwerde ausdrücklich (allein) gegen die beiden bezeichneten Beschlüsse wendet, soweit sie jeweils von einem nicht in Gang gesetzten Ermittlungsverfahren nach dem zweiten Teil der StPO ausgehen.
[7] Entscheidungen (§ 35 Abs 1 und 2 erster Fall StPO) sind dann rechtsfehlerhaft, wenn die Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat das Gesetz verletzt oder die Sachverhaltsannahmen entweder in einem rechtlich mangelhaften Verfahren zustande gekommen oder mit einem formalen Begründungsmangel behaftet sind und demnach willkürlich getroffen wurden (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 17; RIS‑Justiz RS0126648, RS0123668 und RS0132725). Entscheidungen können rechtlich stets nur im Verhältnis zu dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat richtig oder falsch sein. Deshalb ist es unzulässig, bei der Bekämpfung von Entscheidungen nicht von dem zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat auszugehen, sondern als Bezugspunkt der Anfechtung direkt auf Aktenbestandteile zurückzugreifen (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6).
Zum Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. Dezember 2022 zur AZ 9 HR 309/22w:
[8] Ausgehend von den im Beschluss getroffenen Sachverhaltsannahmen, denen keine konkrete Tätigkeit der Kriminalpolizei vor der Berichterstattung gemäß § 100 Abs 3a StPO zu entnehmen ist, ist die Ableitung der rechtlichen Beurteilung, dass „keine Ermittlungsmaßnahmen gesetzt wurden“ (BS 4; ersichtlich gemeint: keine Ermittlung iSd § 91 Abs 2 erster Satz StPO stattgefunden hat), nicht zu beanstanden. Dass das Gericht verhalten gewesen wäre, indizierte, (konkret bezeichnete) weitere – zur gegenteiligen Rechtsansicht führende – Sachverhaltsannahmen zu treffen, wird von der Generalprokuratur nicht geltend gemacht.
Zum Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 24. Jänner 2023 zur AZ 10 Bs 8/23m:
[9] Ausgehend von den Sachverhaltsannahmen,wonach am 14. September 2021 eine von der Entscheidung ausdrücklich berücksichtigte, allerdings (von der Generalprokuratur ungerügt) bezüglich der konkret vorgenommenen Tätigkeit des Bezirksbrandermittlers nicht näher umschriebene „Brandursachenermittlung“ stattfand, bleibt offen, warum diese rechtsrichtig bereits als Ermittlung im Sinn des § 91 Abs 2 erster Satz StPO zu beurteilen gewesen wäre.
[10] Unter Zugrundelegung der Feststellung, dass diese „Brandursachenermittlung“ als Feuerpolizei zur Abwehr der gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Gefährdung von Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Menschen erfolgte (BS 3), ist die rechtliche Beurteilung, wonach die Sicherheitsbehörde im Rahmen der Gefahrenforschung im Sinn des § 19 Abs 1 Z 2 StPO und nicht im Rahmen der StPO tätig wurde, nicht zu beanstanden.
[11] Ein Rechtsfehler bei der Beurteilung des Beginns des Strafverfahrens (§ 1 Abs 2 erster Satz StPO) und eine gesetzwidrige Beurteilung der Brandursachenermittlung als Vorgehen nach § 19 Abs 1 Z 2 SPG liegen daher nicht vor.
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
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