OGH 12Os34/22z

OGH12Os34/22z2.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen M* L* wegen mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Jugendschöffengericht vom 5. Oktober 2021, GZ 50 Hv 11/21g‑27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00034.22Z.0602.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* L* jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1. und II.) und nach § 206 Abs 2 StGB (I./2.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er „in G* im Zeitraum vom 10. März 2003 bis zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, längstens bis 8. März 2007, in einer nicht mehr festzustellenden Zahl von Angriffen

I./

1. mit einer unmündigen Person, nämlich mit der am * geborenen J* B*, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem sie sich nach seiner Aufforderung entkleidete und er ihr von hinten seinen erigierten Penis direkt an der Vagina zwischen ihre Schenkel schob und sie über seine Aufforderung Oral‑ und Handverkehr an ihm vollziehen musste;

2. eine unmündige Person, nämlich die am * geborene J* B*, um sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen dazu verleitet, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, indem sie nach seiner Aufforderung ihren Unterleib entkleiden, die Beine spreizen und sich die Schamlippen auseinanderziehen musste;

II./

[3] mit einer unmündigen Person, nämlich mit dem am * geborenen S* B*, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er Analverkehr an ihm vollzog und dieser über seine Aufforderung Oral‑ und Handverkehr an ihm vollziehen musste, sowie einmal einen Oralverkehr am Unmündigen vornahm“.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt.

[5] Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ist es nicht erheblich, ob die Zeuginnen N* und C* N* während des Tatzeitraums– ebenso wie die Opfer – bei der Mutter des Angeklagten als Tagesmutter betreut wurden und wie oft sie diesem dabei begegneten (vgl RIS‑Justiz RS0118316).

[6] In Bezug auf die Feststellung, wonach der Angeklagte trotz Schulbesuchs und Absolvierung einer Maurerlehre während des gesamten Tatzeitraums „immer wieder Gelegenheiten fand“, bei denen er sich mit den Opfern allein und ungestört im Haus aufhielt (US 7), behauptet der Rechtsmittelwerber Aktenwidrigkeit der Entscheidungsgründe (Z 5 letzter Fall). Das Schöffengericht hat in diesem Zusammenhang jedoch – entgegen dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen – keineswegs die Aussagen der Zeuginnen * M*, G* L* und * S* unrichtig oder unvollständig wiedergegeben (vgl RIS‑Justiz RS0099547). Dies wird im Rechtsmittel auch gar nicht behauptet. Mit dem Vorbringen, die Tatrichter hätten sich mit den Zeugenaussagen nicht hinreichend auseinandergesetzt (vgl jedoch US 14 ff), argumentiert der Angeklagte bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung. Dass das Erstgericht aus den Beweisergebnissen nicht die von ihm gewünschten Schlüsse zog, stellt den Nichtigkeitsgrund nicht her.

[7] Ebensowenig gab das Erstgericht im Urteil die Aussage des Zeugen * H* im Sinn einer Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) unrichtig wieder (US 17). Wiederum nimmt der Rechtsmittelwerber bloß eine eigenständige Interpretation der Aussage vor.

[8] Entgegen dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) hat das Schöffengericht die Aussagen der Zeugen * F*, G* L*, * M*, E* L* und * S* erörtert (US 14–28). Der Angeklagte übt mit der Bezugnahme auf diese Aussagen ebenso wie mit der Bezeichnung der Einlassung des Angeklagten als „logisch, schlüssig und widerspruchsfrei“ neuerlich im Schöffenverfahren unzulässige Beweiswürdigungskritik, ohne einen Begründungsmangel im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes aufzuzeigen.

[9] Inwiefern Angaben der Zeuginnen M* N*, * R* und G* L* „zu einem Elternabend“ oder zu dem Umstand, „dass es weder Elternabende, geschweige eine Krisensitzung gab“, erörterungsbedürftig sein sollten, macht die Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) nicht klar.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[11] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass die Feststellungen zu I./2. eine Subsumtion unter § 206 Abs 2 StGB nicht tragen. Das festgestellte Verhalten (vgl US 6) stellt nämlich keine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dar (vgl dazu RIS‑Justiz RS0129059, RS0116530, RS0095025, RS0095201). Richtigerweise wären diese Taten als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 2 StGB zu qualifizieren gewesen.

[12] Dieser Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) tangiert den angewendeten Strafrahmen jedoch nicht und wirkt sich dementsprechend in concreto nicht zum Nachteil des Angeklagten aus (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f). Das Berufungsgericht ist bei der Entscheidung über die Straffrage an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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