OGH 12Os30/18f

OGH12Os30/18f17.5.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Najmuddin B***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Najmuddin B*****, Mohammad K***** und Rohullah M***** sowie über die Berufung des Angeklagten Abdul A***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 30. November 2017, GZ 6 Hv 78/17w‑215, sowie über die Beschwerde des Angeklagten Rohulla M***** gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00030.18F.0517.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Najmuddin B*****, Mohammad K***** und Rohullah M***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden

Najmuddin B***** (richtig:) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB sowie mehrerer Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB (I./);

Mohammad K***** (richtig:) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und mehrerer Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB (I./) sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach (richtig:) §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 288 Abs 4 StGB (II./);

Abdul A***** (richtig:) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./) sowie mehrerer Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB (I./ und IV./) und

Rohullah M***** des Vergehens „des versuchten Diebstahls und der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1, 127 StGB“ (III./) sowie des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 12 dritter Fall, 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB (IV./)

schuldig erkannt.

Danach haben in G*****

I. „am 26. Dezember 2016 Najmuddin B*****, Mohammad K***** und Abdul A***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter, Mahmud D*****, Bay Ali Bi***** und Khasan Y***** absichtlich eine schwere Körperverletzung zugefügt, teils zuzufügen versucht, indem sie Mahmud D*****, Bay Ali Bi***** und Khasan Y***** jeweils mit Messern mit einer Klingenlänge von zumindest 9 cm (Gesamtlänge 21 cm) auf ihre Opfer einstachen, wobei Najmuddin B***** und Mohammad K***** dem Mahmud D***** jeweils derart wuchtige Stiche in den Bauchbereich versetzten, dass der Knorpel im Bereich des Rippenbogens brach und die Bauchhöhle eröffnet wurde (Stichverletzung am rechten Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle; Stichverletzung am linken Oberbauch, Durchtrennung des knorpeligen Anteils der 10. Rippe links und geringgradiger Blutung in die Bauchhöhle; Kopfprellung mit Prellmarke über dem Scheitel rechts; an sich schwere Körperverletzung), sowie zumindest einer der Täter bei Ali Bay Bi***** mehrere Messerstiche in den Bereich des oberen Rückens und des rechten Ellbogens (Stichverletzung an der rechten Schulterrückseite über dem Schulterblatt 25 mm tief und 10 mm breit; Stichverletzung im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes 3 cm tief; leichte Körperverletzung) und Khasan Y***** einen Messerstich im Bereich des Rückens unter dem Schulterblatt (5 bis 6 mm breite Stichverletzung am äußeren Rücken rechts und unterhalb des Schulterblattes 1,5 cm tief in Richtung Rückenmitte verlaufend; leichte Körperverletzung) versetzten“;

II. Mohammad K***** am 16. Jänner 2017 Abid Da***** zu einer falschen Beweisaussage zu bestimmen versucht, indem er ihn aufforderte, vor der Kriminalpolizei als Zeuge anzugeben, dass er die Auseinandersetzung am 26. Dezember 2016 aus einiger Entfernung beobachtet und gesehen habe, dass nur die beiden anderen Afghanen, nicht aber Mohammad K***** an der Messerstecherei beteiligt gewesen seien, Mohammad K***** immer wieder „Hilfe, Polizei!“ gerufen habe, die Tschetschenen das Messer gehabt hätten und Abdul A***** es geschafft habe, ihnen dieses abzunehmen und einen Tschetschenen zu stechen, wohingegen Mohammad K***** das Messer nie in der Hand gehabt, sondern erst nach der Auseinandersetzung vom Boden aufgehoben habe;

III. „am 26. September 2016 Rohullah M***** […] als unmittelbarer Täter dem Austine ***** I***** mit Gewalt zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen versucht, um Austine ***** I***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich dessen Bargeld bzw. sein Handy unerwartet und für diesen plötzlich mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er seine Oberkleidung abtastete, ihm das Handy aus der Hand zu reißen versucht, wobei dies an der heftigen Gegenwehr des Austine ***** I***** scheiterte“;

IV. am 26. Oktober 2016 Abdul A***** als unmittelbarer Täter, Rohullah M***** als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB Austine I***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht, indem sie ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzten und mit einem Holzstecken gegen das rechte Knie schlugen, sowie Rohullah M***** den Austine I***** festhielt, während Abdul A***** ihm mit einer massiven Glasflasche wiederholt wuchtige Schläge auf den Kopf versetzte, wodurch Austine I***** eine Platzwunde am Kopf und eine Schnittwunde am Zeigefinger erlitt.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Najmuddin B*****, Mohammad K***** und Rohullah M*****, die der Erstgenannte auf Z 13, der Zweitgenannte auf Z 10a und der Letztgenannte auf Z 10a und Z 13, jeweils des § 345 Abs 1 StPO, stützen.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Najmuddin B*****:

Die Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) wendet ein, die im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen als erschwerend berücksichtigte massive Gefährdung von Menschenleben (US 29) sei ohne entsprechenden Sachverhaltsbezug geblieben (vgl RIS‑Justiz RS0116960 [insbesondere T13]). Damit behauptet sie inhaltlich jedoch keine unrichtige rechtliche Beurteilung dieser Annahme, sondern wendet sich ausschließlich gegen deren Feststellung. Solcherart erstattet sie aber bloß ein Berufungsvorbringen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 680).

Soweit die Beschwerde in der Wertung des mangelnden Schuldeingeständnisses als eine für die Strafzumessung (mit‑)entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0090897 [insbesondere T8]) eine unrichtige Gesetzesanwendung sieht, geht sie daran vorbei, dass eine solche gerade beim Beschwerdeführer – im Gegensatz zu den anderen Angeklagten (siehe dazu im Rahmen der abschließenden Anmerkungen) – nicht erfolgte („mit Ausnahme von B*****“ [US 29]). Bei Najmuddin B***** hat das Geschworenengericht vielmehr das teilweise Geständnis mildernd berücksichtigt (US 28).

Die Ausführungen, wonach die vergleichsweise geringen Verletzungsfolgen nur dem Umstand „Zufall“ zu verdanken seien (US 29), beziehen sich ausschließlich auf den dem Schuldspruch IV./ zu Grunde liegenden Sachverhalt, der den Beschwerdeführer nicht betrifft. Das dagegen gerichtete Vorbringen geht daher schon im Ansatz ins Leere.

Der Eintritt einer konkreten Lebensgefahr bei einem der Opfer wurde im Rahmen der Strafbemessung nicht berücksichtigt, sodass die bezughabenden Einwände des Beschwerdeführers unverständlich bleiben.

Die bloße Nichtberücksichtigung weiterer Milderungsgründe oder deren unzutreffende Gewichtung stellt der Rüge zuwider den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 13 StPO nicht her (RIS‑Justiz RS0099920).

Gleiches gilt für die bloß einen Berufungsgrund geltend machende Forderung nach der Gewährung teilbedingter Strafnachsicht gemäß § 43a Abs 4 StGB (RIS‑Justiz RS0099865, RS0099920 [T7]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mohammad K*****:

Die Tatsachenrüge (Z 10a) greift ihrem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrenseinräumt – wird dadurch nicht eröffnet (vgl RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780). Urteilsnichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO ist daher gegeben, wenn die Laienrichter das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS‑Justiz RS0119583 [T13]).

Mit dem Hinweis auf Aussagen der Opfer Mahmud D***** und Bay Ali Bi***** sowie des Beschwerdeführers selbst, wonach dieser vorerst versucht habe, den Streit zu schlichten, vermag die gegen die festgestellte Absicht der Zufügung schwerer Körperverletzungen gerichtete Rüge keine erheblichen Bedenken im dargestellten Sinn zu erwecken.

Ebenso wenig gelingt ihr dies unter Hinweis auf isoliert dargestellte Angaben der Opfer sowie der Angeklagten über die „Reihenfolge“ der Stiche, die diese jeweils ausführenden Täter oder eine Passage des Sachverständigengutachtens, wonach nicht auszuschließen sei, dass die Stichverletzung am Rücken des Opfers Khasan Y***** durch ein „Herumfuchteln“ mit dem Messer passiert sei (ON 194 S 42).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Rohulla M*****:

Mit der zu Schuldspruch III./ nicht weiter substantiierten Behauptung der Tatsachenrüge (Z 10a), das Tatgeschehen sei „nicht aus den Akten objektiviert“ und „bei der Sachverhaltsermittlung schwerwiegende Mängel unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung unterlaufen“, verfehlt die Beschwerde den bei der Beantwortung der Tatsachenrüge des Angeklagten Mohammad K***** dargestellten Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.

Das unter Hinweis auf „erhebliche Widersprüchlichkeiten“ in der Aussage des Zeugen Austine I***** gegen die Glaubwürdigkeit des Genannten insgesamt gerichtete Vorbringen geht daran vorbei, dass die Überzeugung der Tatrichter von der

Glaubwürdigkeit einer Person aus § 345 Abs 1 Z 10a StPO nicht releviert werden kann (RIS‑Justiz RS0099649 [T15]). Im Übrigen ist es zulässig, einem Zeugen nur bezüglich eines Teils seiner Angaben zu glauben, bezüglich anderer Angaben aber nicht (RIS‑Justiz RS0098372).

Die Sanktionsrüge (Z 13) verkennt, dass mit dem Vorbringen, die Bestimmungen über die bedingte bzw teilbedingte Strafnachsicht gemäß §§ 43, 43a StGB seien zu Unrecht nicht angewandt worden, keine Nichtigkeit, sondern bloß Berufungsgründe geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0099865, RS0099920 [T7]).

Die Kritik an der erschwerenden Berücksichtigung der äußerst brutalen Vorgehensweise gegen das Opfer Austine I***** im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen (US 29), geht daran vorbei, dass ein Sachverhaltssubstrat Nichtigkeit nach Z 13 zweiter Fall nur begründet, wenn es offenbar unrichtig als entscheidend für die Anwendung oder Nichtanwendung einer Rechtsvorschrift der Strafbemessung (= der Ermessensentscheidung) beurteilt wurde und solcherart verfehlt beim Strafausspruch in Anschlag gebracht wurde, für diesen also maßgebend war (RIS‑Justiz RS0116960; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 692). Getroffene Sachverhaltsannahmen können hingegen nicht aus § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO bekämpft werden (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 693).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Die Entscheidung über die Berufungen sowie die Beschwerde kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken:

./ Die in Ansehung der Angeklagten Mohammad K*****, Abdul A***** und Rohullah M***** erfolgte Wertung des mangelnden Schuldeingeständnisses als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache (US 29) stellt eine unrichtige Gesetzesanwendung dar. Sie bietet jedoch keinen Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO, weil sie sich (noch) nicht zum Nachteil dieser Angeklagten auswirkt, ist sie doch im Rahmen der Entscheidung über die von den Genannten jeweils ohnedies erhobene Berufung (wegen Strafe) korrigierbar (RIS‑Justiz RS0090897). Diesem von den Beschwerden nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0122140).

./ Das Erkenntnis des angefochtenen Urteils (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) spricht trotz der in dem (dem Schuldspruch I./ zugrunde liegenden) Wahrspruch der Geschworenen (US 5 f, US 10 f, US 16 f) deutlich zum Ausdruck kommenden drei selbständigen Taten, von denen zwei beim Versuch geblieben sind, rechtlich verfehlt von einem „Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung, teils in Form des Versuches nach den §§ 15, 87 Abs 1 StGB“. Mangels Nachteils im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO für die Angeklagten Najmuddin B*****, Mohammad K***** und Abdul A***** durch diese verfehlte Subsumtion hatte aber lediglich eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof zu erfolgen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 623 f).

./ Ebenfalls nicht zum Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO gereicht dem Angeklagten Rohullah M***** die unrichtige rechtliche Beurteilung der dem Schuldspruch III./ zugrunde liegenden Tat als „das Vergehen des versuchten Diebstahls und der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1, 127 StGB“, obwohl die im bezughabenden Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen (US 22) rechtsrichtig dem Verbrechen des Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 StGB (mit einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) zu subsumieren gewesen wären.

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