European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00095.21M.1215.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. * M* im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten AZ 11 Os 32/20w) des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 18. Juli 2003 in G* (US 4 f, US 12) als Geschäftsführer der P* GmbH, die Komplementärin der S* GmbH & Co KEG war, seine durch den Gesellschaftsvertrag vom 20. Dezember 2002 über die Gründung der angeführten KEG eingeräumte Befugnis, über deren Vermögen zu verfügen oder diese zu verpflichten, wissentlich missbraucht, indem er entgegen den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags ohne Information und Zustimmung der Kommanditisten im Ausmaß von 85 % der Gesellschaftereinlage den Betrag von 100.000 Euro vom Konto der KEG behob und der P* GmbH als Darlehen gewährte, wodurch die Kommanditisten der KEG (bzw diese selbst [vgl US 5]) in diesem Betrag an ihrem Vermögen geschädigt wurden.
[3] Hingegen wurde Mag. M* vom Vorwurf der Begehung gleichgelagerter Taten im Zeitraum vom 1. August 2003 bis zum 6. August 2004 durch Behebung weiterer Geldbeträge, und zwar am 1. August 2003 von 10.000 Euro, am 14. August 2003 von 10.000 Euro, am 29. August 2003 von 20.000 Euro, am 3. September 2003 von 25.000 Euro, am 10. Oktober 2003 von 15.000 Euro, am 21. November 2003 von 20.000 Euro, am 12. Dezember 2003 von 20.000 Euro, am 13. Februar 2003 von 15.000 Euro, am 26. März 2004 von 10.000 Euro, am 11. Juni 2004 von 15.000 Euro, am 9. Juli 2004 von 30.000 Euro, am 16. Juli 2004 von 10.000 Euro und am 6. August 2004 von 40.000 Euro, insgesamt somit 240.000 Euro, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
[5] Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer aus § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit b StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde.
[6] Angemerkt sei, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. Juni 2021, G 368/2020-13, G 370/2020-13, den vom Angeklagten aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde erhobenen Antrag, Art 12 § 2 StrÄG 2015, BGBl I 2015/112, und § 58 Abs 3a StGB idF BGBl I 2015/112 als verfassungswidrig aufzuheben, abgewiesen hat.
[7] Zur hier maßgeblichen Frage der Verjährung sei zunächst auf die Ausführungen hiezu in der in dieser Sache ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 23. Juni 2020, GZ 11 Os 32/20w‑5, verwiesen.
[8] Nach den Annahmen des bekämpften Urteils hat der Angeklagte im Zeitraum vom 18. Juli 2003 bis zum 6. August 2004 unter Missbrauch der ihm von der S* GmbH & Co KEG eingeräumten Befugnis von deren Konto insgesamt 14 Bargeldbehebungen vorgenommen und diese Beträge jeweils als Darlehen der (zu einer zeitnahen Rückzahlung nicht fähigen) P* GmbH zur Verfügung gestellt, wobei er am 18. Juli 2003 einen Betrag von 100.000 Euro und zwischen 1. August 2003 und 6. August 2004 wiederholt Beträge zwischen 10.000 Euro und 40.000 Euro behob (US 4 ff).
[9] Zum Beginn und zum Gang des gegenständlichen Strafverfahrens kann den erstrichterlichen Feststellungen (hinreichend deutlich) entnommen werden, dass der Angeklagte ua zu den nunmehr urteilsgegenständlichen Vorwürfen am 16. Jänner 2013 als Beschuldigter vernommen (vgl ON 25c S 21 ff) wurde (US 5, US 6 iVm ON 25c S 29, US 7, 13). Die solcherart zum Ausdruck gebrachte Anhängigkeit eines Ermittlungsverfahrens (vgl §§ 1 Abs 2, 164 StPO) zu dem in Art 12 § 2 StRÄG 2015 genannten Zeitpunkt 31. Dezember 2015 führt dazu, dass sich – im Sinn dieser Bestimmung – die Verjährungsfrist für die am 18. Juli 2003 erfolgte Behebung des Betrages von 100.000 Euro nach der am 31. Dezember 2015 geltenden Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 153 Abs 2 zweiter Fall StGB idF BGBl I 2004/136) berechnet. Demnach betrug die Verjährungsfrist für diese Tat zehn Jahre (§ 57 Abs 3 zweiter Fall StGB) und hätte mit Ablauf des 18. Juli 2013 geendet. Der Lauf dieser Verjährungsfrist war allerdings bereits durch die erwähnte Beschuldigtenvernehmung nach § 58 Abs 3 Z 2 StGB gehemmt worden (vgl Marek in WK² StGB § 58 Rz 18 f, 21/6), sodass zufolge dieser weiterhin wirksamen Fortlaufhemmung (vgl § 58 Abs 3a StGB) Verjährung der am 18. Juli 2003 begangenen Tat nicht eingetreten ist.
[10] Die Verjährungsfrist für die vom Freispruch umfassten, zwischen 1. August 2003 und 6. August 2004 vorgenommenen Behebungen von Beträgen zwischen 10.000 Euro und 40.000 Euro beträgt angesichts der seit dem Tatzeitraum (§ 153 StGB idF BGBl I 2001/130) unveränderten dreijährigen Strafdrohung fünf Jahre (§ 57 Abs 3 dritter Fall StGB). Mit Blick auf die in § 58 Abs 2 StGB für den Fall gleich schädlicher Tatbegehung während der Verjährungsfrist normierte Ablaufhemmung wäre für diese Taten Verjährung gemeinsam am 6. August 2009 eingetreten.
[11] Nach den erstrichterlichen Feststellungen wurde Mag. M* mit seit 30. April 2019 rechtskräftigem (s dazu 13 Os 136/18a) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz, AZ 9 Hv 29/18p, der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (I./) und nach § 33 Abs 1 FinStrG (II./) schuldig erkannt (US 3 f, US 11), weil er im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes G* vorsätzlich I./ am 15. Jänner 2012 als steuerrechtlich Verantwortlicher der L* GmbH & Co KG unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer für November 2011 um 242.417,04 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten hat (US 9, US 11), und II./ am 30. Juni 2006 und am 30. Juni 2007 als Geschäftsführer der I* GmbH unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten durch die Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen für die Jahre 2005 und 2006 eine Verkürzung von Umsatzsteuer für das Jahr 2005 um 70.824 Euro (Bescheid vom 20. Juni 2007) und für das Jahr 2006 (Bescheid vom 9. Mai 2008) um 52.822,52 Euro bewirkt hat (US 10 f).
[12] Die in § 58 Abs 2 StGB vorgesehene verjährungshemmende Wirkung kommt allen mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen zu, die auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) wie die in Rede stehende beruhen. § 58 Abs 2 StGB umfasst auch im Nebenstrafrecht geregelte strafbare Handlungen und auch in die originäre gerichtliche Zuständigkeit (dazu Lässig in WK2 FinStrG § 53 Rz 11 f) fallende Finanzvergehen (Marek in WK² StGB § 58 Rz 9; RIS-Justiz RS0092049 [T1] = 13 Os 35/15v; 13 Os 46/21w). Demnach erfuhr die bis 6. August 2009 laufende Verjährungsfrist für die zwischen 1. August 2003 und 6. August 2004 begangenen Untreuehandlungen durch die konstatierte Begehung der vom Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz, AZ 9 Hv 29/18p, umfassten – auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden (vgl RIS-Justiz RS0092070) – vorsätzlichen Abgabenhinterziehungen im Juni 2006 und im Juni 2007 sowie in weiterer Folge im Jänner 2012 eine Verlängerung:
[13] Die Verjährungsfrist für Finanzvergehen beträgt fünf Jahre (§ 31 Abs 2 FinStrG) und beginnt, wenn – wie hier beim Vergehen der Abgabenhinterziehung (§ 33 Abs 1, Abs 2 FinStrG) – zum Tatbestand ein Erfolg gehört, mit dessen Eintritt, vorliegend demnach mit Bewirken der Umsatzsteuerverkürzung (vgl § 33 Abs 3 FinStrG), zu laufen (§ 31 Abs 1 dritter Satz FinStrG). Mit Blick auf die in § 31 Abs 3 FinStrG normierte Ablaufhemmung durch später begangene vorsätzliche Finanzvergehen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist auch für die letzte dieser Taten wäre – auf Basis der Urteilsannahmen – Verjährung der drei angeführten Finanzvergehen gemeinsam mit Ablauf des 15. Jänner 2017 eingetreten. Unter der nach § 58 Abs 2 StGB gebotenen Berücksichtigung dieser während der laufenden Verjährungsfrist für die Untreuehandlungen begangenen Finanzvergehen wäre demnach Verjährung dieser vom Freispruch erfassten Taten ebenfalls erst am 15. Jänner 2017 eingetreten. Die Verjährungsfrist wurde allerdings bereits durch die am 16. Jänner 2013 erfolgte Beschuldigtenvernehmung nach § 58 Abs 3 Z 2 StGB in ihrem Fortlauf gehemmt. Solcherart ist Verjährung der zwischen 1. August 2003 und 6. August 2004 gesetzten Taten – auf der Basis der Feststellungen des Erstgerichts – bislang nicht eingetreten.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
[14] Die Mängelrüge behauptet eine Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) der Urteilsfeststellung (US 7), wonach das gegenständliche Strafverfahren im Jahr 2011 mit der Erstattung einer Anzeige am 14. Oktober 2011 und einer am 15. November 2011 ergangenen Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft begann. Sie spricht damit jedoch – im Sinn obiger Ausführungen – keine für die Frage der Verjährung entscheidende Tatsache an, weil bereits die Urteilskonstatierung der Durchführung einer Beschuldigtenvernehmung am 16. Jänner 2013 die Annahme der Anhängigkeit eines Ermittlungsverfahrens am 31. Dezember 2015 und solcherart die Anwendbarkeit des Art 12 § 2 StRÄG 2015 sowie die Annahme eines verjährungshemmenden Umstands iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB trägt.
[15] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) wendet Verjährung der vom Schuldspruch umfassten Tat ein:
[16] Mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit des Art 12 § 2 StRÄG (BGBl I 2015/112) und des § 58 Abs 3a StGB (idF BGBl I 2015/112) wird kein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht (RIS-Justiz RS0099654 [T1], RS0053859 [T3]). Im Übrigen wird auf die eingangs erwähnte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs verwiesen.
[17] Der Einwand, Art 12 § 2 StRÄG 2015 stünde Unionsrecht (vgl Art 49 GRC) entgegen und hätte daher aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden dürfen, bleibt ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz.
[18] Die Rüge bestreitet ferner eine nach § 58 Abs 2 StGB eingetretene verjährungshemmende Wirkung der vom Schuldspruch II./ des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz, AZ 9 Hv 29/18p, erfassten, in den Jahren 2006 und 2007 begangenen Finanzvergehen mit der Behauptung, dass diese nicht in die originäre gerichtliche Zuständigkeit fielen; sie erklärt jedoch nicht, weshalb dies – im Sinn obiger Ausführungen – für den Lauf der Verjährungsfrist der vom gegenständlichen Schuldspruch erfassten Tat mit Blick auf die Anwendbarkeit des Art 12 § 2 StRÄG und das Vorliegen eines verjährungshemmenden Umstands iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB von Relevanz sein sollte. Damit entzieht sich das Vorbringen aber einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0116569; s überdies neuerlich 13 Os 35/15v).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
[19] Die Staatsanwaltschaft kritisiert gestützt auf Z 9 lit b (vgl aber Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634) die rechtliche Annahme von Verjährung der vom Freispruch umfassten, zwischen 1. August 2003 und 6. August 2004 begangenen Taten und strebt einen Schuldspruch wegen § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB an.
[20] Die Rüge behauptet, das Erstgericht habe keine „Konstatierungen zu die Frist verlängernden Umständen iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB“ getroffen, was die rechtliche Annahme von Verjährung der vom Freispruch erfassten Taten „unschlüssig“ mache. Denn die vom Erstgericht festgestellte Anzeige vom 14. Oktober 2011 (ON 2) und die Anordnung der Staatsanwaltschaft Graz vom 15. November 2011 beträfen nicht den gegenständlichen Sachverhalt. Für die Beurteilung von Umständen im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 StGB sei weder die vom Erstgericht erwähnte staatsanwaltschaftliche Anordnung vom 15. November 2011 noch die festgestellte Beschuldigtenvernehmung vom 16. Jänner 2013 maßgeblich, sondern vielmehr die „(nicht festgestellte) Anordnung der Staatsanwaltschaft Graz zur Durchführung von Ermittlungen und Einvernahme als Beschuldigten vom 23. Februar 2012 (ON 12), bezogen auf die gegenständlich relevante Anzeige vom 2. Februar 2012 (ON 11)“. Die im Zeitraum vom 1. August 2003 bis zum 6. August 2004 erfolgten Behebungen, die „jeweils über 2.000 €, nicht jedoch über 40.000 € iSd § 153 Abs 2 StGB idF BGBl I Nr 130/2001 liegen“, wären „unter Zugrundelegung der durch die festgestellten Finanzvergehen aus den Jahren 2006 und 2007 laut dem Urteil 9 Hv 29/18p bewirkten Verlängerung der Verjährungsfrist laut § 58 Abs 2 StGB unter Zugrundelegung der Art 12 § 2 StRÄG 2015 anzuziehenden fünfjährigen Verjährungsfrist (erst) mit 30. Juni 2012 verjährt“. Innerhalb dieser Verjährungsfrist sei die nicht festgestellte Ermittlungsanordnung ON 12 erlassen worden, sodass „rechtlich der Tatbestand der Verlängerung der Verjährungsfrist iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB“ vorliege.
[21] Dieses Rechtsmittelvorbringen erklärt nicht, weshalb es – im Sinn obiger Ausführungen – ausgehend von den Konstatierungen zur Begehung der vom Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz, AZ 9 Hv 29/18p, umfassten vorsätzlichen Abgabenhinterziehungen im Juni 2006 und im Juni 2007 sowie im Jänner 2012 (vgl § 58 Abs 2 StGB) und den Urteilsannahmen zur Durchführung einer Beschuldigtenvernehmung am 16. Jänner 2013 (vgl § 58 Abs 3 Z 2 StGB) weitererFeststellungen zu verjährungshemmenden Umständen iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB bedurft hätte.
[22] Dass das Erstgericht aus den getroffenen Feststellungen rechtlich verfehlt auf das Vorliegen von Verjährung geschlossen hat, wird von der Rüge – wiewohl naheliegend – gerade nicht behauptet. Der dem Urteil – wie einleitend dargestellt – zur Frage der Verjährung anhaftende Rechtsfehler gereicht dem Angeklagten aber zum Vorteil, weshalb ein amtswegiges Aufgreifen desselben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) nicht in Betracht kommt (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 586 und § 290 Rz 1 f).
[23] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[24] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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