OGH 11Os88/20f

OGH11Os88/20f28.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Florian S* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 19. Mai 2020, GZ 15 Hv 148/19d‑124, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130618

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Florian S* (richtig) gemäß § 336 StPO von dem Vorwurf freigesprochen, er habe am 20. Juli 2018 in E* seine am 8. Juni 2018 geborene Tochter Antonia S* vorsätzlich getötet, indem er sie heftig schüttelte und ihren Kopf gegen einen stumpfen, flächigen Gegenstand schlug.

[2] Die Geschworenen hatten sowohl die Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (1) als auch jeweils die Eventualfragen nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB (2) und nach § 86 Abs 1 StGB (3) sowie dem Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB (4) verneint.

 

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Rechtliche Beurteilung

 

[4] Schon im Ermittlungsverfahren hatte der Angeklagte ein Schriftstück vorgelegt, das Schlussfolgerungen einer von ihm beauftragten Person mit besonderem Fachwissen enthält (ON 67 S 19 ff). Dieses (bei den Akten befindliche) Privatgutachten wurde in der Hauptverhandlung nicht verlesen (ON 122 und 123).

[5] Dennoch habe der Vorsitzende das betreffende Schriftstück – wie die Verfahrensrüge (Z 4) unter Berufung auf eine Formulierung im Hauptverhandlungsprotokoll (ON 123 S 34: Den Geschworenen werden „die Anklageschrift sowie die übrigen Akten mitgegeben“) einwendet – nicht ausgesondert, sondern mit den übrigen Akten in das Beratungszimmer schaffen (§ 322 zweiter Satz StPO) lassen (zur Dokumentation von § 322 StPO verlangter Vorgänge vgl Swiderski, WK‑StPO § 322 Rz 4).

[6] Selbst wenn dies zuträfe (vgl dagegen den prozessökonomisch umsichtigen Amtsvermerk des Vorsitzenden vom 18. August 2020 [ON 135], wonach die „übrigen Akten“ allein die in der Hauptverhandlung verlesenen oder vorgeführten Aktenbestandteile umfasst hätten), könnte darin – der Beschwerde zuwider – keine (gemäß § 252 Abs 4 StPO ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohte) Umgehung der Bestimmungen des § 252 Abs 1 StPO gelegen sein (zur Relevanz unter dem Aspekt von Verstößen gegen § 322 StPO siehe RIS‑Justiz RS0118038, RS0100697 [T5]; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 111; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 9). Denn Privatgutachten fallen – wie die Rüge der Sache nach selbst einräumt („keine prozessuale Bedeutung als Beweismittel“) – von vornherein nicht unter (das bedingte Verlesungsverbot des) § 252 Abs 1 StPO (RIS‑Justiz RS0115646 [insbesondere T8]; Hinterhofer, WK‑StPO § 125 Rz 36; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 40 f; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 463/1).

[7] Die weitere Beschwerde (nominell Z 10) argumentiert, die Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) sei infolge einer darin enthaltenen Formulierung („Die Gutachten ließen Interpretationen offen“) mit Blick auf den Inhalt der in der Hauptverhandlung vorgekommenen Sachverständigengutachten „unschlüssig“, somit „undeutlich, unvollständig und in sich widersprechend“. Den Geschworenen wäre daher eine „Verbesserung im Sinne des § 332 Abs 4 StPO aufzutragen gewesen“, was jedoch zu Unrecht unterblieben sei.

[8] Der Inhalt der in § 331 Abs 3 StPO bezeichneten Niederschrift könnte zwar (nur) über eine Anfechtung aus Z 10 erster Fall zur Urteilsnichtigkeit führen (RIS-Justiz RS0118017). Ein zu Unrecht erteilter Auftrag zur (in § 332 Abs 4 StPO ausschließlich vorgesehenen) Verbesserung des Wahrspruchs (Z 10 erster Fall) wird aber gar nicht behauptet. Ebenso wenig das Unterbleiben eines solchen Auftrags trotz Behauptung eines bei der Abstimmung unterlaufenen Missverständnisses durch zumindest einen der Geschworenen (Z 10 zweiter Fall) oder, dass – aus Z 9 relevant – der Wahrspruch (maW die Feststellungsebene) undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend wäre (zu diesen Nichtigkeitsgründen Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 66 ff).

 

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

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