OGH 11Os75/23y

OGH11Os75/23y3.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Oktober 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und dieHofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maringer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * G* wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB, AZ 10 St 60/22m der Staatsanwaltschaft Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Februar 2023, GZ 21 Bl 231/22m‑8, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00075.23Y.1003.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 10 St 60/22m der Staatsanwaltschaft Innsbruck verletzt der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Februar 2023, GZ 21 Bl 231/22m‑8, § 196 Abs 2 erster Satz StPO (iVm § 195 Abs 2 vierter Satz StPO sowie § 195 Abs 1 Z 1 StPO).

 

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Innsbruck führte zu AZ 10 St 60/22m ein Ermittlungsverfahren gegen * G* wegen des Verdachts des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB. Dem Verfahren lag der Vorwurf zugrunde, er hätte am 24. Februar 2021 ein Lichtbild des Polizeibeamten * N* samt einem dazu verfassten Posting mit dem Text „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in I*. Ein 82jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig“ auf Facebook geteilt und diesen damit auf eine Weise, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde, eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, wobei die Äußerung „in Beziehung auf eine Berufshandlung des Privatbeteiligten als Polizist“ erfolgte (ON 2.2).

[2] Am 26. April 2022 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 1 StPO ein, weil die – „jedenfalls tatbildliche“ – inkriminierte Äußerung iSd § 111 Abs 1, Abs 2 StGB nicht der österreichischen Strafgerichtsbarkeit unterliege. Zum einen sei davon auszugehen, dass mit Blick auf den Wohnsitz des Beschuldigten der Handlungsort in Deutschland liege, zum anderen sei dieses Vergehen als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen, weshalb die Anknüpfung an einen Erfolg (im Inland) nicht in Betracht komme (ON 1.2 und 6; § 67 Abs 2 StGB).

[3] Mit Antrag vom 4. Mai 2022 (ON 5.2) begehrte N* fristgerecht die Fortführung des Ermittlungsverfahrens und brachte – soweit relevant – vor, dass es sich beim Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB um ein Erfolgsdelikt handle und daher in Bezug auf die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tat die inländische Gerichtsbarkeit zu bejahen sei. Dies gründete er unter anderem auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (13 Ns 75/11z, 12 Ns 33/14w [jeweils zu § 111 Abs 1 StGB], 11 Os 4/96 [zu § 3h VerbotsG]), und eine Kommentarstelle (Rami in WK2 StGB § 111 Rz 2/1), wonach sowohl die Wahrnehmbarkeit (hier: für einen Dritten – § 111 Abs 1 StGB) als auch das Zugänglichwerden (hier: für eine breite Öffentlichkeit – § 111 Abs 2 StGB) einer Tathandlung eine von dieser selbst zumindest gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt und damit einen Erfolg iSd § 67 Abs 2 StGB beschreiben.

[4] Die Staatsanwaltschaft erstattete eine ablehnende Stellungnahme (ON 6), in welcher sie vor allem unter Verweis auf 14 Os 81/09g und 12 Ns 64/18k des Obersten Gerichtshofs ihre Ansicht, § 111 StGB wäre in beiden Begehungsvarianten ein abstraktes Gefährdungsdelikt, wiederholte.

[5] In der Äußerung (ON 7) hielt der Fortführungswerber der Staatsanwaltschaft entgegen, dass sich die inländische Gerichtsbarkeit aus der im Fortführungsantrag zitierten Judikatur ergebe, sie sich damit aber „nicht wirklich“ auseinandergesetzt hätte.

[6] Das Landesgericht Innsbruck wies den Antrag auf Fortführung mit Beschluss vom 27. Februar 2023, AZ 21 Bl 231/22m (ON 8), „ab“ und führte aus, dass die Staatsanwaltschaft mit Blick auf die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung „gleichsam vertretbar“ eine Anknüpfung an einen im Inland gelegenen Erfolgsort abgelehnt, der Fortführungswerber aber die angestrebte rechtliche Konsequenz unter Verweis auf die „angeführten oberstgerichtlichen Entscheidungen“ nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz abgeleitet hätte, „zumal diese andere Fallkonstellationen betreffen und sich nicht mit der vorliegend im konkreten Einzelfall zu lösenden Rechtsfrage auseinandersetzen“.

Rechtliche Beurteilung

 

[7] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[8] Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens unter anderem dann anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1).

[9] Der Antrag oder die Äußerung (§ 196 Abs 1 StPO) muss die Gründe einzeln und bestimmt bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes abzuleiten ist (§ 195 Abs 2 vierter Satz StPO). Das Gesetz normiert solcherart für einen Fortführungsantrag eine dem Standard der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) entsprechende Begründungspflicht (Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 29).

[10] Indem der Fortführungswerber sein Vorbringen, dass die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tat der österreichischen Strafgerichtsbarkeit unterliege, insbesondere auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, nach denen die in § 111 Abs 1 StGB angesprochene Wahrnehmbarkeit (13 Ns 75/11z, 12 Ns 33/14w) und das in Abs 2 leg cit beschriebene Zugänglichwerden (11 Os 4/96) einer Tathandlung (hier: einer elektronischen Äußerung) eine von dieser zumindest gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt und damit einen Erfolg iSd § 67 Abs 2 StGB bezeichneten, gründete, hat er die vom Gesetz vorgegebene Begründungspflicht erfüllt (vgl RIS‑Justiz RS0118429 [T7]).

[11] Im Übrigen wurde – entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft (ON 1.2 S 2, ON 6 S 4) – in 14 Os 81/09g zu § 3h VerbotsG in Bezug auf die Tatbegehung „sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird“ (unter Verweis auf Lässig in WK2 VerbotsG § 3h Rz 3) das Vorliegen eines Erfolgsdelikts gerade nicht verneint. 12 Ns 64/18k wiederum trifft lediglich zu „nicht möglicher Erfolgsanknüpfung“ bei § 282 Abs 1 StGB, eine Aussage (vgl jedoch Plöchl in WK2 StGB § 282 Rz 6 f).

[12] Das Landesgericht Innsbruck hätte daher eine Entscheidung in der Sache nicht mit der Begründung (vermeintlich) nicht prozessförmiger Geltendmachung eines Fortführungsgrundes ablehnen dürfen (§ 196 Abs 2 erster Satz StPO; vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 4/1). Es hätte sich vielmehr mit der Argumentation des Antrags auf Fortführung des Verfahrens inhaltlich auseinandersetzen müssen und mit Blick auf § 195 Abs 1 Z 1 StPO (vgl zu Fehlern bei der Lösung von für die Einstellungsentscheidung maßgeblichen Rechtsfragen: Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 23) nicht auf eine (bloß) „gleichsam vertretbar[e]“ Rechtsansicht abstellen dürfen.

[13] Demnach verletzt der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Februar 2023, GZ 21 Bl 231/22m‑8, § 196 Abs 2 erster Satz StPO (iVm § 195 Abs 2 vierter Satz StPO sowie § 195 Abs 1 Z 1 StPO).

[14] Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkt nicht zum Nachteil des Beschuldigten, sodass ihre Feststellung nicht mit konkreter Wirkung zu verbinden war (§ 292 vorletzter Satz StPO).

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