European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00007.18S.0410.000
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil, das im Ausspruch der Konfiskation unberührt bleibt, aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der (die zur Beantwortung vorgelegten Hauptfragen sämtlich bejahenden) Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Martin M***** unter Einbeziehung der im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüche nach § 3g VG (vgl 11 Os 20/17a) der Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB idF BGBl 1996/762 (I./A./; I./B./1./ [Tatzeitraum 1. Oktober 2011 bis 31. Dezember 2011], I./B./2./ und I./B./3./) sowie der Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103 (I./B./1./ [Tatzeitraum 1. Jänner 2012 bis 8. Mai 2012] und II./1./ bis 4./) schuldig erkannt.
Danach hat er „in Wien und anderen Orten Österreichs
I./ öffentlich oder auf eine Weise, wodurch die Handlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, eine nach den Kriterien der Religion, der Rasse, oder der ethnischen Herkunft definierte Gruppe von Personen, nämlich Personen mosaischen Glaubens, in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, beschimpft oder verächtlich zu machen gesucht, indem er
A./ im Forum A***** als User 'An*****' am 27. Dezember 2009 unter Hinweis auf einen von ihm verlinkten und wörtlich zitierten Artikel der Online-Ausgabe der Berliner Tageszeitung 'taz' folgenden Beitrag veröffentlichte: 'Wobei, der letzte Absatz: Welch Überraschung, der Jude und die parasitäre Einmischung, wie immer halt! Die Ex-Jugoslawen wäen (sic!) gut beraten, die Juden gleich samt den Zigeunern in ein Lager zu stecken!';
B./ im T*****-Forum als User 'P*****'
1./ im Zeitraum zwischen 1. Oktober 2011 bis 8. Mai 2012 jedem der von ihm verfassten 45 Postings die Signatur 'Judentum ist biologisch Erbkriminalität!' hintansetzte;
2./ am 10. November 2011 zu einem Gedicht Kurt Tucholskys folgenden Beitrag verfasste: 'Dreck von Juden wie Tucholsky haben wir längst überwunden!';
3./ am 23. Dezember 2011 in einem Beitrag über den Grünen Nationalratsabgeordneten K***** die Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes als 'das alte, stinkende Judengeschmeiß des DÖW' bezeichnete;
II./ für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar oder auf eine Weise, wodurch die Handlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, eine nach den Kriterien der Religion, der Rasse oder der ethnischen Herkunft definierte Gruppe von Personen, nämlich Personen mosaischen Glaubens, in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, beschimpft oder verächtlich zu machen gesucht, indem er
1./ am 2. Jänner 2012 als Antwort auf das Zitat des Users 'E*****' mit dem Inhalt: 'Diese ganze Rumjuderei scheint ja richtig modern zu werden!' folgende Reaktion postete: 'Ekelhaft. Aber irgendwann werden diese Halb-, Viertel- und Prozentmenschen aufhören zu existieren.';
2./ am 2. Jänner 2012 zu einem Beitrag zum Thema 'Neue Zeitung – Jewish Voice from Germany' einen Beitrag folgenden Inhalts veröffentlichte: 'Und unsere Soldaten mussten dieses minderwertige Dreckszeug auch noch vor Übergriffen der zurecht aufgebrachten Zivilbevölkerung im Osten schützen.';
3./ am 3. Jänner 2012 zu einem Beitrag des Users 'D*****' zum Thema 'Juden' folgenden Beitrag postete: 'Ich bin sehr soldatisch und du hast ja prinzipiell recht, aber bei Juden wird es kein Pardon geben. (…) Dieses Dreckszeug ist total weltfremd und jede Diskussion mit ihnen führt ins Leere, da sie selbst grundlegende geschichtliche Fakten beharrlich in Abrede stellen.';
4./ am 5. Jänner 2012 zu dem Thema 'KL Dachau' und die 'Befreiung' den Bund jüdischer Soldaten als 'Geschmeißsammelstelle' bezeichnete.“
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur davon, dass den Schuldsprüchen vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte, sich zu seinem Nachteil auswirkende Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO anhaftet (§§ 344, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Nach § 283 Abs 2 StGB idF BGBl 1996/762 handelte tatbildlich, wer öffentlich (vgl Hinterhofer, SbgK § 283 Rz 22, 29 [etwa zehn Personen]) gegen eine der in § 283 Abs 1 StGB bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.
Durch BGBl I 2011/103 erfuhr die betreffende Bestimmung insofern eine Änderung, als die Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit (vgl Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 13, 20 [etwa 150 Personen]) normiert und sowohl für die Variante des Hetzens als auch des Beschimpfens (nun) kumulativ gefordert wurde, dass der Täter dadurch die geschützte Gruppe (überdies) verächtlich zu machen sucht (vgl Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 19).
§ 283 StGB in der im Urteilszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 2015/154) enthält in Abs 1 Z 1 und Z 2 drei Tatbestandsvarianten, nämlich Auffordern zu Gewalt sowie Aufstacheln zu Hass (Z 1) und das Beschimpfen einer der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen (Z 2). In Betreff der Beschimpfung (Abs 1 Z 2) wurde zudem das Erfordernis der qualifizierten Vorsatzform der Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) in Bezug auf die Verletzung der Menschenwürde anderer eingefügt (Fabrizy, StGB12 § 283 Rz 5).
In ihrem Grundtatbestand (§ 283 Abs 1 StGB) pönalisiert die aktuelle Fassung öffentliche Begehung (vgl Jerabek/Ropper in WK² StGB § 69 Rz 1 f [ab etwa zehn Personen]) auf eine Weise, dass es (die Begehung) vielen Menschen zugänglich wird (vgl Murschetz in WK² StGB § 169 Rz 13 [etwa 30 Personen]) und normiert in Abs 2 für den Fall der Begehung auf eine Weise, dass die (in Abs 1 bezeichneten) Handlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden, eine (mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte) Qualifikation.
Die Menschenwürde wird verletzt, wenn durch die Tathandlung den Angehörigen der angegriffenen Gruppe unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen wird, indem etwa das Lebensrecht als gleichwertige Bürger bestritten wird oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung dargestellt oder wenn sie sonst einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden. Maßgebend ist, dass die der betreffenden Gruppe angehörenden Menschen im unverzichtbaren Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen werden (Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 18 mwN).
Verächtlich macht derjenige, der den anderen als der Achtung seiner Mitmenschen unwert oder unwürdig hinstellt, ihn also deren Verachtung aussetzt (Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 19).
Die im Wahrspruch getroffenen Konstatierungen reichen für den anzustellenden Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB) nicht aus (vgl RIS-Justiz RS0112939; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 613).
Voraussetzung für die Verwirklichung (zumindest) des Grundtatbestands des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 StGB idgF ist öffentliche Begehung auf eine Weise, dass die Begehung vielen Menschen zugänglich wird. Die im Wahrspruch zu den Hauptfragen 1./, 3./ und 4./ getroffenen Feststellungen (Schuldsprüche I./A./, I./B./2./, 3./), nach denen der Angeklagte die Taten öffentlich oder auf eine Weise, wodurch die Handlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, begangen habe, lassen nicht erkennen, ob die Geschworenen nur eine oder beide (und im ersten Fall welche) dieser Varianten als verwirklicht ansahen. Bei Nichterweisbarkeit der öffentlichen Tatbegehung auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, wäre schon der Grundtatbestand nach § 283 Abs 1 Z 2 StGB idgF nicht erfüllt, demnach dieses Strafgesetz – zufolge der damit verbundenen Konsequenz eines Freispruchs – in seiner Gesamtauswirkung das Günstigere.
Gleiches gilt für die bejahte Hauptfrage 2./, die die Publizitätserfordernisse des § 283 Abs 2 StGB idF 1996/762, idF BGBl I 2011/103 und idF BGBl I 2015/154 jeweils mit „oder“ verknüpft. Solcherart bietet dieser Teil des Wahrspruchs (Schuldspruch I./B./1./) keine ausreichende Basis für den – durch Vergleich von Tatzeit- und Urteilszeitrecht ohne Heranziehung von Zwischengesetzen vorzunehmenden (vgl Höpfel in WK² StGB § 61 Rz 6 f) – Günstigkeitsvergleich. Dem Erfordernis, die Günstigkeitsprüfung für jede urteilsgegenständliche Tat, das heißt für jeden zu beurteilenden Lebenssachverhalt gesondert vorzunehmen (neuerlich RIS-Justiz RS0112939), kann nur durch eine (hier zumindest nach Rechtsschichten) getrennte Fragestellung zum einen bezogen auf die bis zum 31. Dezember 2011 und zum anderen zu den ab 1. Jänner 2012 getätigten Postings entsprochen werden.
Den im Wahrspruch zu den Hauptfragen 5./ bis 8./ getroffenen Feststellungen (Schuldspruchgruppe II./) ist zwar eine Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit zu entnehmen, die Formulierung, der Angeklagte habe Personen mosaischen Glaubens „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise oder in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, beschimpft und dadurch verächtlich zu machen gesucht“, lässt allerdings nicht erkennen, ob die Geschworenen durch die einzelnen inkriminierten Handlungen beide Tatvarianten als verwirklicht ansahen.
Nur bei tatbestandsmäßigem Handeln sowohl nach alter (BGBl I 2011/103) als auch nach aktueller Rechtslage käme eine Strafbarkeit nach § 283 StGB (hier aufgrund der gegenüber geltendem Recht geringeren Strafdrohung idF BGBl I 2011/103) in Betracht.
Denn die Begehung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ist mit einer Beschimpfung in einer Weise, die geeignet ist, die Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, nicht gleichzusetzen (arg „und“ in § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103). Ebensowenig kann aus der – in die betreffenden Fragen aufgenommenen – Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, das Kriterium der Beschimpfung in einer (objektiv) die Menschenwürde verletzenden Weise abgeleitet werden.
Das angefochtene Urteil war daher aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten – ohne dass es eines Eingehens auf dessen Vorbringen bedarf – bereits bei der nichtöffentlicher Beratung im Wahrspruch der Geschworenen sowie im darauf beruhenden Schuldspruch und demgemäß im Strafausspruch – nicht jedoch im Ausspruch der Konfiskation, für den bereits der rechtskräftige Schuldspruch nach § 3g VG (siehe 11 Os 20/17a) eine ausreichende Grundlage bietet – sofort aufzuheben (§§ 344, 285e StPO) und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuweisen.
Im folgenden Rechtsgang werden die Fragen so zu stellen sein, dass die Geschworenen durch ihre Antwort die Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung sämtlicher Tatbestandsmerkmale – nach Tatzeit- und Urteilszeitrecht – klären (vgl bereits 11 Os 20/17a sowie 14 Os 69/16b und 14 Os 88/16x). Den nach Maßgabe des § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleich hat der Schwurgerichtshof selbst vorzunehmen und dabei die Rechtsfrage zu beantworten, ob der Wahrspruch der Geschworenen die materiell-rechtlichen Kategorien des Strafrechts, denen subsumiert werden soll, zu tragen vermag (vgl RIS-Justiz RS0115123).
Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf die Aufhebung zu verweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)