OGH 11Os6/16s

OGH11Os6/16s4.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Andrzej S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, Z 2, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 28 Hv 20/15g des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Andrzej S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 18. Dezember 2015, AZ 11 Bs 327/15y (ON 499 der Hv‑Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00006.16S.0304.000

 

Spruch:

 

Andrzej S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

Der polnische Staatsangehörige Andrzej S***** wurde mit ‑ nicht rechtskräftigem ‑ Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. Mai 2015 (ON 345) des Verbrechens des „schweren und gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch“ nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, Z 2, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB (A/1-19), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B/1‑8) und der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (C/) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Innsbruck einer Beschwerde des Andrzej S***** (ON 494) gegen den vom Landesgericht Innsbruck am 27. November 2015 (Freitag) nach Durchführung einer Haftverhandlung mündlich verkündeten und am 30. November 2015 (Montag) zugestellten Beschluss (ON 492) auf Abweisung der Enthaftungsanträge des Genannten vom 19. November 2015 und vom 25. November 2015 nicht Folge.

Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts verwies das Beschwerdegericht einmal mehr auf die am 19. Mai 2015 erfolgte ‑ wenn auch zufolge Anmeldung von Rechtsmitteln durch den Angeklagten nicht rechtskräftige ‑ erstinstanzliche Verurteilung (vgl bereits 11 Os 80/15x).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 18. Dezember 2015 (ON 499; zu dessen Grundrechtsrelevanz trotz aktueller Strafhaft vgl Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 10) richtet sich die nunmehrige, vom Angeklagten selbst verfasste, nach Durchführung des Verbesserungsverfahrens gemäß § 3 Abs 2 GRBG von seinem Verfahrenshilfeverteidiger unterfertigte Grundrechts-beschwerde (ON 501).

Keine Verletzung im Grundrecht auf persönliche Freiheit ist ‑ der Beschwerde zuwider ‑ darin zu erblicken, dass das Oberlandesgericht den in der Ausführung der Haftbeschwerde relevierten Umstand (ON 494 S 2), der erstinstanzliche Beschluss vom 27. November 2015 sei dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Abgabe seiner persönlich verfassten Beschwerdeausführung am Morgen des 30. November 2015 noch gar nicht zugestellt gewesen, unbeanstandet ließ. Denn einerseits enthält das Gesetz gerade keine § 174 Abs 2 dritter Satz StPO (bei Verhängung der Untersuchungshaft) vergleichbare Bestimmung über die Zustellung eines Haftfortsetzungsbeschlusses innerhalb einer vorgegebenen (dort 24‑stündigen) Frist. Andererseits nimmt § 175 Abs 5 StPO geradezu in Kauf, dass nicht stets binnen der dreitägigen Beschwerdefrist ab (mündlicher) Verkündung (und Begründung; vgl ON 491 S 4) eines solchen Beschlusses auch schon eine Ausfertigung desselben vorliegt oder bereits zugestellt wurde (vgl Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 176 Rz 10). Im Übrigen war es dem Beschwerdeführer unbenommen (und hat er im gegenständlichen Verfahren im Zuge früherer Haftbeschwerden wiederholt von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht), auch nach Ablauf der Beschwerdefrist bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts (hier: am 18. Dezember 2015) über seine bereits unmittelbar nach Beschlussverkündung (ON 491 S 4) erhobene und am 30. November 2015 schriftlich ausgeführte Beschwerde ergänzendes Vorbringen zu erstatten (vgl § 89 Abs 2b erster Satz StPO; RIS‑Justiz RS0118014; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 176 Rz 10).

Einmal mehr ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass die Dringlichkeit des Tatverdachts ab Fällung des Urteils in erster Instanz im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr zu überprüfen ist. Auf Einwendungen dagegen war daher nicht weiter einzugehen (RIS‑Justiz RS0061112; zuletzt in diesem Verfahren 11 Os 138/15a). Die Beurteilung, ob dieses Urteil (ON 345) mit formellen oder materiellen Mängeln behaftet ist und inwieweit Einwände dagegen berechtigt sind, bleibt ‑ wie im gegenständlichen Verfahren schon mehrfach betont - dem Verfahren über die (ausgesprochen umfangreiche) Nichtigkeitsbeschwerde (ON 400) vorbehalten.

Soweit der Beschwerdeführer neuerlich mit einer eigenständigen Bewertung seiner Stellung als „Beschuldigter“ im Sinn des § 173 Abs 1 StPO im gegenständlichen Verfahren eine (prozessuale) Unzulässigkeit der (mit dem dem aktuell angefochtenen Beschluss des Beschwerdegerichts nicht aufgehobenen) sistierten Untersuchungshaft abzuleiten trachtet, ist er auf die Ausführungen zu 11 Os 138/15a (in dieser Strafsache) zu verweisen.

Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerde-verfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der im § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

Seine Einschätzung, der Angeklagte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens weiterhin strafbare Handlungen (jedenfalls mit nicht bloß leichten Folgen) gegen fremdes Eigentum begehen, stützte das Oberlandesgericht vor allem auf das getrübte Vorleben des bereits mehrfach und massiv einschlägig (wegen Diebstahls und auch Einbruchsdiebstahls; BS 4 iVm ON 59, 233, 239) vorbestraften Angeklagten, den überaus raschen und massiven Rückfall nach der Haftentlassung am 10. April 2014 und die hohe Frequenz der über mehrere Monate hindurch gewerbsmäßig, überregional und professionell begangenen Taten (Einbruchsdiebstähle), deren er dringend verdächtig ist. Damit hat es bestimmte Tatsachen angeführt, die nach den Grundsätzen folgerichtigen Denkens und allgemeinen Erfahrungssätzen geeignet sind, die daraus abgeleitete Tatbegehungsgefahr (jedenfalls) gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO zu tragen. Der Beschwerde zuwider wurde diese Prognoseentscheidung damit gerade nicht schon „für sich allein“ auf „Vorverurteilungen“ oder „wiederholte oder fortgesetzte Tatbegehung“ gestützt.

Da (jedenfalls) ein Haftgrund mängelfrei begründet wurde, erübrigt sich ein Eingehen auf das Beschwerdevorbringen zum Vorliegen von Tatbegehungsgefahr (auch) nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO und zum Haftgrund der Fluchtgefahr (vgl RIS‑Justiz RS0113531).

Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und der zu erwartenden Strafe für einen Rückfallstäter (ON 499 BS 4 f) ist auch der vom Oberlandesgericht gezogene Schluss auf die Verhältnismäßigkeit der tatsächlich (zufolge monatelanger Sistierung während der Dauer des laufenden Strafvollzugs zu einer anderen Strafsache) erst wenige Monate effektuierten und auf einer mittlerweile (noch nicht rechtskräftigen, aber vor Inkrafttreten des StRÄG 2015 erfolgten; vgl RIS‑Justiz RS0117810) Verurteilung erster Instanz basierenden Untersuchungshaft nicht zu beanstanden.

Mit dem bloßen Bestreiten der Einschätzung des Oberlandesgerichts, gelindere Mittel wären nicht geeignet, (auch) der dargestellten Intensität der Tatbegehungsgefahr wirksam zu begegnen (ON 499 S 5), vermag die Beschwerde keine Grundrechtsverletzung durch den angefochtenen Beschluss aufzuzeigen.

Die Relevierung einer ‑ vom Oberlandesgericht nicht anerkannten (BS 5 f) ‑ Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) durch angebliche Versäumnisse des Erstgerichts bei der Behandlung von Anträgen auf Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls geht abermals (vgl schon 11 Os 138/15a) von der erst (und ausschließlich im Rechtsmittelverfahren gegen das Urteil des Schöffengerichts [§ 271 Abs 7 iVm § 270 Abs 3 dritter Satz StPO; §§ 284 ff StPO]; RIS‑Justiz RS0126057) zu klärenden Prämisse aus, dass das jeweilige Begehren des Angeklagten mit Blick auf die Ausführung seiner Rechtsmittel gegen das Ersturteil berechtigt gewesen sei.

Soweit der Beschwerdeführer seine die Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen betreffenden Beschwerdepunkte der seinerzeitigen (der Ausführung der Grundrechtsbeschwerde als Beilage angeschlossenen) Haftbeschwerde pauschal „und insoweit identifizierend“ zum Gegenstand der nunmehrigen Grundrechtsbeschwerde erhebt, verfehlt er den in der Argumentation des Oberlandesgerichts (ON 499 S 5 ff) gelegenen Bezugspunkt der Grundrechtsbeschwerde (RIS‑Justiz RS0106464).

Hinsichtlich der Entscheidungskompetenz über zahlreiche Beschwerden betreffend seine Anträge auf Protokolls‑ und Urteilsberichtigung verkennt der Angeklagte im Übrigen, dass dem Oberlandesgericht im Fall der Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde nur (und erst) dann die Entscheidung über eine gleichzeitig erhobene Berufung zukäme, wenn der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen hätte (§§ 296 Abs 1, 285i StPO).

Wie schon vom Beschwerdegericht ausgeführt (ON 499 S 6) ist die Behauptung, es würden sich im Strafakt keine prozessordnungsgemäßen (vgl dazu §§ 96 Abs 2 und 3, 271, 271a StPO) Hauptverhandlungsprotokolle finden, im Hinblick auf die - von einer Schreibkraft nach einem aufgenommenen Diktat der Vorsitzenden übertragenen und von der Vorsitzenden unterfertigten - Originale derselben (ON 301, 336b, 340 und 344) schlichtweg unverständlich, zumal die Vorsitzende gerade keine Pflicht trifft, ein solches Diktat auch selbst zu übertragen (§ 271 Abs 4 StPO).

Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots erblickt der Beschwerdeführer überdies darin, dass sein Antrag auf „Akteneinsicht gemäß § 271a Abs 2 StPO“ in das „zur Unterstützung der Protokollierung der Hauptverhandlung aufgenommene Tonband“ bislang nicht erledigt worden sei. Dem hielt das Oberlandesgericht auf Aktenbasis entgegen, dass die Protokollführung überhaupt nicht gemäß § 271a StPO (durch Aufnahme des gesamten Verlaufs der Hauptverhandlung) unterstützt worden sei (ON 499 S 6). Indem der Angeklagte unter bloßem Hinweis auf die formularmäßige Überschrift der Protokolle (vgl StPOForm Prot 18: „Verhandlungsmitschrift gemäß §§ 271 Abs 4, 271a Abs 1 StPO“) das Gegenteil behauptet, gelingt es ihm nicht, den Obersten Gerichtshof von einer ins Gewicht fallenden und vom Oberlandesgericht nicht anerkannten Säumigkeit des Erstgerichts zu überzeugen.

Der Vorwurf, nicht näher bezeichnete, angeblich vom Erstgericht vorgenommene Berichtigungen der Hauptverhandlungsprotokolle und der schriftlichen Urteilsausfertigung seien bislang nicht zugestellt worden, wodurch eine „relevante Ausführung/Begründung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde“ bisher vereitelt worden sei, ist unverständlich und entzieht sich daher einer sachlichen Erwiderung.

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

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