Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Den Angeklagten P*****, N*****, K*****, B***** und Z***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche der Angeklagten N*****, G***** und B***** von weiteren einschlägigen Vorwürfen enthält - wurde Bashkim P***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (I. 2., II. 3.), Besim N***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 dritter Fall StGB (II. 4.), Bashkim K***** und Afrim G***** je des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II. 2.), Iljaz B***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (I. 3.) und Gani Z***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I. 1., II. 1.) schuldig erkannt.
Danach haben
I. am 30. April 2012 an einem nicht exakt bekannten Ort vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um das 25-fache übersteigenden Menge, nämlich 3.007,01 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 22,0 +/- 1,2 % von Deutschland nach Österreich eingeführt, und zwar
1. Gani Z***** als unmittelbarer Täter, indem er das Suchtgift von Deutschland nach Österreich brachte;
2. Bashkim P***** als Bestimmungstäter, indem er über eine bisher nicht ausgemittelte Person namens „Toni“ den Auftrag erteilte, 3 kg Kokain für die Einfuhr nach Österreich zu besorgen;
3. Iljac B***** als Bestimmungstäter, indem er das Suchtgift bei einer noch nicht ausgemittelten Person namens Dylber Be***** bestellte;
II. am 30. April 2012 in V***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich 3.007,01 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 22,0 +/- 1,2 % anderen überlassen, und zwar
1. Gani Z***** dem Afrim G***** und dem Bashkim K*****;
2. Afrim G***** und Bashkim K***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter einem verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres;
3. Bashkim P***** als Bestimmungstäter, indem er den Auftrag zur Übergabe des Suchtgifts in der Wohnung des Bashkim K***** gab;
4. Besim N***** als Beitragstäter, indem er Afrim G***** und Iljaz B***** zu der Wohnung des Bashkim K***** lotste.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden des Erstangeklagten P*****, des Zweitangeklagten N*****, des Drittangeklagten K*****, des Fünftangeklagten B***** und des Sechstangeklagten Z*****, die die vier Erstgenannten auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5a StPO stützen, während der Letztgenannte nur eine Tatsachenrüge ausführt.
Rechtliche Beurteilung
Zu den Verfahrensrügen (Z 4):
Unabdingbare Voraussetzung einer meritorisch zu behandelnden Geltendmachung des formellen Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO ist ein Antrag oder ein nach Art von Anträgen substantiierter Widerspruch sowie (in der Regel) ein dagegen gefasster Beschluss des Schöffengerichts (RIS-Justiz RS0099250, auch RS0099163; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302). Der Zweit- und der Fünftangeklagte, partiell aber auch der Erst- und der Drittangeklagte vermögen sich - beim Erst- und Drittangeklagten zu Teilen ihres Vorbringens - auf derlei Vorgänge in der Hauptverhandlung nicht zu berufen und entziehen sich bereits damit (insoweit) sachlicher Erwiderung.
Die Staatsanwaltschaft hatte zum Schutz der Persönlichkeit bzw Identität der verdeckten Ermittler deren Vernehmung unter Ausschluss der Öffentlichkeit sowie in Abwesenheit der sechs Angeklagten beantragt.
Der Erstangeklagte hatte sich gegen die Vernehmung des verdeckten Ermittlers VE 1 in seiner Abwesenheit ausgesprochen, „zumal sich die beiden ja unmittelbar persönlich bekannt sind und dies sein Fragerecht einschränken würde“.
Der Drittangeklagte war der von der Staatsanwaltschaft begehrten Vorgangsweise entgegengetreten, „dies vor dem Hintergrund, da diesem ebenfalls die Identität bekannt ist“.
Der Schöffensenat fasste unter anderem den Beschluss auf Vernehmung der verdeckten Ermittler in Abwesenheit sämtlicher Angeklagter gemäß § 250 Abs 1 StPO, um eine vollkommen unbeeinflusste und unbefangene Aussage der verdeckten Ermittler möglich zu machen; „ungeachtet des Umstands, dass die Angeklagten den verdeckten Ermittlern bereits begegnet sein mögen, würden sie im Rahmen einer nunmehrigen Zeugenaussage besonderes Augenmerk auf äußerliche Besonderheiten legen und sich allenfalls bemühen, sich das Aussehen der verdeckten Ermittler einzuprägen, wodurch der Schutz der Identität der verdeckten Ermittler gefährdet wäre“ (ON 205 S 25 f).
Im Anschluss an die Vernehmungen der beiden verdeckten Ermittler wurde die Hauptverhandlung jeweils kurzzeitig unterbrochen und den Verteidigern die Möglichkeit zur Rücksprache wegen allfälliger weiterer Fragen an die Zeugen geboten; davon machten der Erst- und der Drittangeklagte Gebrauch (ON 205 S 41 und S 46). Überdies wurde den sechs Angeklagten die Aussage der beiden verdeckten Ermittler zur Kenntnis gebracht, ohne dass dies zu weiteren Fragen an die Zeugen führte (ON 205 S 47).
Der Erstangeklagte macht in seiner Nichtigkeitsbeschwerde (erstmals) geltend, er sei durch seine Abwesenheit während der Vernehmung des VE 1 gehindert worden, gezielte Fragen an diesen Zeugen zum Beweis der durch diesen vorgenommenen Tatprovokation zu stellen. Der Drittangeklagte behauptet in seinem Rechtsmittel bloß abstrakt, er sei in seinen „Frage- und Verteidigungsrechten beschnitten“ worden und habe dies „die Entscheidung nicht unmaßgeblich beeinträchtigt“.
Gleich einem Verfahrensantrag ist auch ein Widerspruch gegen einen solchen in der Hauptverhandlung zu begründen, um dem Schöffengericht die Berechtigung des Widerspruchs nachzuweisen und ihm damit die für ein den Verfahrensgrundsätzen entsprechendes Zwischenerkenntnis erforderliche Gegenposition aufzuzeigen. Ein substanzloser Widerspruch ist grundsätzlich keine taugliche Grundlage einer Verfahrensrüge; neues Vorbringen in der Beschwerdeschrift ist nicht zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0109117). Da der Erst- und der Drittangeklagte in ihrem prozessualen Agieren diesen Anforderungen nicht entsprochen haben, vermögen sie mit ihren Verfahrensrügen somit nicht durchzudringen.
Überdies hindert Art 6 MRK nicht, dass ein Angeklagter im Fall des gesetzlichen Nachweises seiner Schuld selbst im Fall einer einem staatlichen Organwalter zurechenbaren Tatprovokation für die Tat verurteilt wird. Denn aus diesem Konventionsverstoß (vgl innerstaatlich § 5 Abs 3 StPO) ist kein materieller Straflosigkeitsgrund für die provozierte Straftat abzuleiten. Allerdings ist das Vorliegen einer Tatprovokation durch Organwalter des Staats bei der Sanktionsfindung angemessen in Rechnung zu stellen und ein gerechter Ausgleich dafür zu finden, dass der Angeklagte das - dessen ungeachtet - verpönte Verhalten ohne dieser Einflussnahme nicht gesetzt hätte (RIS-Justiz RS0119618, vor allem 13 Os 73/08x mit eingehender Darstellung der Problemlage; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 86). Im Gegenstand gingen aber - so sei zur Abrundung bemerkt - die Tatrichter gerade nicht vom Vorliegen einer Tatprovokation aus (vgl US 13, 20 f).
Die Frage der Tatprovokation tangiert sohin - was der Erstangeklagte im Übrigen durchaus einräumt - lediglich die Strafzumessung, nicht aber die Schuld- oder Subsumtionsfrage; damit scheidet aber eine dazu erhobene Verfahrensrüge (Z 4) prinzipiell aus.
Zur partiellen Bekanntheit der verdeckten Ermittler sei letztlich auf die Annahmen des Erstgerichts verwiesen (besondere Gefahr des Herausfindens der Identität dieser Polizisten durch Betrachtung bei der Vernehmung). Diese Sachverhaltsgrundlagen der prozessualen Verfügung sind nur nach den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO zu bekämpfen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 40 ff; RIS-Justiz RS0118977), woran sich der Erst- und der Drittangeklagte jedoch in keiner Weise orientieren.
Zu den Tatsachenrügen (Z 5a):
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583). Ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial bloß aus Erwägungen der Tatrichter Bedenken abzuleiten, ermöglicht die Tatsachenrüge nicht (RIS-Justiz RS0119424). Sie will eben nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, nicht aber zu im Urteil geschilderten Begleitumständen oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnis keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).
Indem aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO nur das angebliche Fehlen aktenkundiger Beweisergebnisse für die Schuld des Angeklagten, nicht aber gegen dessen Schuld sprechende Tatumstände releviert werden, gelangt eine solche Tatsachenrüge nicht zur prozessförmigen Darstellung (13 Os 28/09f, 11 Os 127/09z ua).
Die Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo kann mit der Tatsachenrüge nicht eingefordert werden (RIS-Justiz RS0102162, RS0117445 [T2]).
Im Einzelnen bleibt zu erwidern:
Auch für den Bereich der Tatsachenrüge gilt, dass die Frage einer allfälligen Tatprovokation die Schuld- und Subsumtionsfrage nicht tangiert und deshalb nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht aufgegriffen werden kann.
Dass der VE 1 in seiner Aussage in der Hauptverhandlung mehrfach von seinen schriftlichen Berichten abgewichen sei und bei Widersprüchen „pauschaliert“ auf diese verwiesen habe, begründet - so sei zusätzlich festgehalten - dem Vorbringen des Erstangeklagten entgegen keine erheblichen Bedenken an Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen. Nicht zutreffend ist auch angesichts der logisch und empirisch einwandfreien erstgerichtlichen Erwägungen US 13 und 16 der Vorwurf einer „unstatthaften Vermutung“ (der Sache nach Z 5 vierter Fall) zu Lasten des Erstangeklagten im Zusammenhang mit seiner Tatgeneigtheit und -bereitschaft; keineswegs stützten sich die Tatrichter bloß auf „Gerüchte vom Hörensagen“.
Der Vorwurf des Zweitangeklagten, das Erstgericht habe ihm „völlig unsubstantiiert“ die Angehörigkeit zu einer Gruppe hoch organisierter Suchtgifthändler unterstellt (der Sache nach Z 5 vierter Fall), versagt aufgrund der Erwägungen über die Einbindung des Zweitangeklagten (des Bruders des Erstangeklagten) in alle Aktivitäten im Vorfeld der verfahrensgegenständlichen Verbrechen (US 11, 15 f). Kein formeller Nichtigkeitsgrund liegt vor, wenn ein Beschwerdeführer - wie hier - die Erwägungen des Schöffengerichts aus seiner Sicht als nicht überzeugend ansieht (Fabrizy, StPO11 § 281 Rz 46a).
Den Begriff „aktenwidrig“ versteht und verwendet der Drittangeklagte entgegen dem Gesetzeswortlaut und der dazu gefestigten Lehre und Rechtsprechung (vgl etwa RIS-Justiz RS0099492, RS0099431, RS0099524; Fabrizy, StPO11 § 281 Rz 47, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 393 und 467). Soweit er weiters eine Beteiligung an der Übergabe des Suchtgifts an den verdeckten Ermittler (Schuldspruch II. 2.) durch Hinweis auf die Aussage des Viertangeklagten G***** („der Drittangeklagte war nicht dabei, als der Viertangeklagte das Kokain in der Wohnung deponierte“ - ON 204 S 31) bestreitet, übergeht er, dass es sich dabei um seine Wohnung handelte und G***** überdies eine Aufforderung durch diesen Beschwerdeführer an ihn deponierte, das Suchtgift in der Folge einer ihm bezeichneten Person zu übergeben. Ob der Drittangeklagte einer kriminellen Vereinigung angehörte, kann mangels einer darauf zielenden Anklage und eines damit korrespondierenden Schuldspruchs als nicht entscheidend auf sich beruhen. Der gegen die Begründung des Schuldspruchs allgemein gerichtete Vorwurf nicht „überzeugender Erwägungen und Schlussfolgerungen“ (der Sache nach Z 5 vierter Fall) versagt angesichts der logisch und empirisch unbedenklichen tatrichterlichen Ableitungen US 16 f (vor allem zum Empfang des VE 2, der das Suchtgift übernehmen sollte).
Auch der Fünftangeklagte missversteht den Begriff der Aktenwidrigkeit (vgl oben). Die Bestreitung der Einordnung seiner deliktischen Tätigkeit als eine Bestimmung (§ 12 zweiter Fall StGB) anstelle des von ihm zugestandenen Beitrags (§ 12 dritter Fall StGB) ist wegen der rechtlichen Gleichwertigkeit der Beteiligungsformen des § 12 StGB nicht erwiderungsbedürftig (vgl etwa Fabrizy, StPO11 § 281 Rz 69). Hinsichtlich der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gilt das zum Drittangeklagten Gesagte. Gleichermaßen liegt kein Begründungsmangel (der Sache nach Z 5 vierter Fall) zur Kenntnis des Reinheitsgehalts des tatverfangenen Suchtgiftquantums vor (US 17: Zusage einer vom Gewicht abhängigen Vermittlungsprovision).
Ob der Sechstangeklagte seine Straftaten im Rahmen einer „Gruppierung hoch organisierter Suchtgifthändler“ oder als „typischer Drogenkurier“ beging, ist bei ihm gleichermaßen - wie beim Dritt- und Fünftangeklagten - im Gegenstand ohne rechtliche Relevanz.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizierten) Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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