European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00137.16F.0321.000
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Moder A***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er vom Sommer 2014 bis zum Frühling 2015 in Tikrit (Irak) und „andernorts (§ 64 Abs 1 Z 9 lit b)“ sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert, indem er sich der Miliz „Asa'ib Ahl al‑Haqq“ anschloss und für diese mehrfach, darunter bei Kämpfen in Babel und im Straßenkampf bei Tikrit als Kämpfer, ferner als Leibwächter des Anführers dieser Miliz sowie als Wachorgan tätig wurde.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Sie gibt Anlass zu amtswegigem Vorgehen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), kann doch der Urteilssachverhalt die (rechtliche) Annahme inländischer Strafgerichtsbarkeit nicht tragen:
Nach dem Urteilsinhalt ist der Angeklagte irakischer Staatsangehöriger, der sich zur Zeit der Urteilsfällung in erster Instanz im Inland (in Untersuchungshaft) aufhielt (US 1, 2). Feststellungen zu einem inländischen Handlungsort im Sinn der §§ 62, 67 Abs 2 StGB wurden nicht getroffen; der Schuldspruch erfasst vielmehr nur im Ausland gesetztes Verhalten (vgl insbesondere US 9 f).
Bei Auslandstaten ist zu unterscheiden, ob sie nach § 64 StGB unabhängig von den Gesetzen des Tatorts nach österreichischem Strafrecht zu ahnden sind oder ob die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängt, dass die Tat auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei in diesem Fall bei Erledigung des Strafanspruchs im Ausland auch der inländische Strafanspruch erloschen ist (§ 65 StGB).
Das dem Angeklagten zur Last gelegte Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB wird vom Deliktskatalog des § 64 Abs 1 Z 9 StGB erfasst. Durch diese (mit BGBl I 2002/134 neu geschaffene) Bestimmung wurde Art 9 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI) innerstaatlich (vollständig) umgesetzt (vgl 1166 BlgNR XXI. GP 20 ff; eines Rückgriffs auf die [subsidiäre] Regelung des § 64 Abs 1 Z 6 StGB bedarf es daher insoweit nicht – vgl Schwaighofer SbgK § 64 Rz 97, 115; Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 85 f).
Nach § 64 Abs 1 Z 9 StGB unterliegt eine entsprechende Auslandstat (ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatorts) inländischer Gerichtsbarkeit, wenn – soweit hier von Bedeutung – der Täter entweder zum Zeitpunkt der Tat oder zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt (lit a), er im Inland wohnhaft oder gewöhnlich aufhältig ist (lit b) oder zur Zeit der Tat Ausländer war, sich im Inland aufhält und nicht ausgeliefert werden kann (lit f).
Die – vom Erstgericht ersichtlich bejahte(US 1) – Anknüpfung nach § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB setzt ihrem Wortlaut nach voraus, dass „der Täter seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“. Ob dies zur Zeit der Tat, der Einleitung des Strafverfahrens oder der Urteilsfällung in erster Instanz der Fall (gewesen) sein muss, lässt die Formulierung (wie auch der Wortlaut des erwähnten Rahmenbeschlusses; siehe dessen Art 9 Abs 1 lit c) offen. Nach Sinn und Zweck der Bestimmung ist jedoch allein auf den Tatzeitpunkt abzustellen. Denn abgesehen davon, dass Fälle nach der Tatbegehung begründeten inländischen Aufenthalts des Täters (unter den dort genannten Voraussetzungen) von § 64 Abs 1 Z 9 lit f StGB erfasst werden, würde sonst ein (inländische Gerichtsbarkeit rechtfertigender) Bezug der Tat zu österreichischen Interessen fehlen (Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 113 und 67; zur in gleicher Hinsicht auslegungsbedürftigen Bestimmung des § 64 Abs 1 Z 4a lit a StGB ebenso Schwaighofer SbgK § 64 Rz 76 ff; 13 Os 147/15i).
Feststellungen dazu, ob der Angeklagte zur Tatzeit in Österreich wohnhaft oder gewöhnlich aufhältig war (vgl zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im gegebenen Zusammenhang RIS‑Justiz RS0109116), wurden aber nicht getroffen. Ebenso wenig geht aus dem Ersturteil hervor, ob der Angeklagte im Sinn des § 64 Abs 1 Z 9 lit a StGB zur Zeit der Tat oder der Einleitung des Strafverfahrens Österreicher war oder ob der im Inland betretene Angeklagte (vgl US 1, 2) im Sinn des § 64 Abs 1 Z 9 lit f StGB zur Zeit der Tat Ausländer war und nicht ausgeliefert werden kann (zur zuletzt genannten Voraussetzung Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 122 ff und 50 ff; Tipold in Leukauf/Steininger StGB4 § 64 Rz 18; RIS‑Justiz RS0087113 [T3]; RS0092224, RS0092398 [T4]).
Der aufgezeigte (von der Beschwerde nicht relevierte) Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO – RIS‑Justiz RS0092267 [T1]) führt – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 290 Abs 1 zweiter Satz iVm § 285e StPO).
Das Vorbringen zur Nichtigkeitsbeschwerde kann daher derzeit auf sich beruhen.
Da Letztere aufgrund der amtswegigen Maßnahme gegenstandslos geworden ist, trifft den Angeklagten keine Kostenersatzpflicht (RIS‑Justiz RS0101558 [T1]).
Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang sei dem noch hinzugefügt, dass selbst der Charakter der Asa'ib Ahl al-Haqq als einer „formal und faktisch“ dem irakischen „Innenministerium“ unterstellten – mit dem irakischen Staat indes gerade nicht gleichzusetzenden – paramilitärischen Einheit (vgl US 3 bis 6) die Beurteilung dieser Vereinigung als terroristisch (§ 278b Abs 3 StGB) nicht hindern würde (vgl Wessely, ÖJZ 2004, 827 [831]; Plöchl in WK2 StGB § 278b Rz 7).
Die Entscheidung über den zugleich mit der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde eingebrachten „Antrag auf Ablehnung“ des in der Hauptverhandlung beigezogenen Dolmetschers (vgl § 126 Abs 4 StPO) fällt nicht in die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs.
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