Spruch:
Die Durchführung der Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen Attila B***** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, AZ 5 c E Vr 9802/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, ohne Beiziehung eines Verteidigers verletzte das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO.
Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.November 1996, GZ 5 c E Vr 9802/96-18, wird aufgehoben und diesem Gericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung unter Beiziehung eines Verteidigers aufgetragen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wien erhob am 26.August 1996 gegen den türkischen Staatsangehörigen Attila B***** Strafantrag wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (ON 3). In dem daraufhin zum AZ 5 c E Vr 9802/96 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingeleiteten Strafverfahren beraumte der Einzelrichter die Hauptverhandlung für den 13.November 1996 an (ON 4). Dazu lud er Attila B***** als Beschuldigten vor, ohne ihn gemäß § 41 Abs 3 StPO aufzufordern, entweder einen Verteidiger zu wählen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 41 Abs 2 StPO zu beantragen. Er unterließ es auch, dem Beschuldigten gemäß § 488 Z 1 letzter Satz StPO von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben. Die Hauptverhandlung, in welcher der Beschuldigte demzufolge entgegen § 41 Abs 1 Z 2 StPO nicht durch einen Verteidiger vertreten war, wurde zur Ladung eines Zeugen auf unbestimmte Zeit vertagt (ON 8). Sie wurde am 27.November 1996 ohne Beiziehung eines Verteidigers fortgesetzt, Attila B***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 107 Abs 1) StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (ON 15, 18).
Der Beschuldigte meldete sogleich nach Urteilsverkündung Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (S 91), die er nach Zustellung einer Urteilsausfertigung nicht schriftlich ausführte. Über die Berufung wurde bisher nicht entschieden.
Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Zuziehung eines Verteidigers für den Beschuldigten Attila B***** steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 41 Abs 1 Z 2 StPO ist in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter ein Verteidiger beizuziehen, wenn für die Tat, außer in den Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 4 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Entscheidend für die Notwendigkeit der Beiziehung eines Verteidigers ist die Strafdrohung der unter Anklage gestellten Tat, mag auch die im Urteil vorgenommene Subsumtion zu einem geringeren Strafrahmen führen (Mayerhofer StPO4 § 41 E 67). Auf Grund der gesetzlichen Strafdrohung des § 106 Abs 1 StGB (sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) war im vorliegenden Verfahren die Verteidigung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben. Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Zuziehung eines Verteidigers verletzte somit das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO (12 Os 174/96, 13 Os 89/92, 11 Os 117/92, 13 Os 131/90).
Das solcherart zustandegekommene Urteil ist gemäß §§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 1 a StPO nichtig. Da eine Benachteiligung des Attila B***** durch die gesetzwidrig abgeführte Hauptverhandlung nicht ausgeschlossen werden kann, war gemäß § 292 letzter Satz StPO das Urteil aufzuheben und die neuerliche Verhandlung und Entscheidung unter Beiziehung eines Verteidigers anzuordnen (Mayerhofer StPO4 § 292 E 28 a bis 30).
Obwohl in dem neu durchzuführenden Verfahren über den Beschuldigten infolge des Verschlimmerungsverbotes (§§ 292 Abs 3, 290 Abs 2 StPO) keine strengere als eine zweimonatige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt werden darf, besteht für die Hauptverhandlung Verteidigerzwang, weil weiterhin von der Strafdrohung der ihm im Strafantrag angelasteten Delikte auszugehen ist (12 Os 174/96, 13 Os 131/90).
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