OGH 11Os117/92

OGH11Os117/923.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 1992 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Rzeszut, Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schneider als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl G* jun. wegen des Verbrechens der versuchten Erpressung nach den §§ 15, 144 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 19. Mai 1992, GZ. 12 c E Vr 783/91‑9, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Wasserbauer und des Angeklagten Karl G* jun. zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0110OS00117.9200007.1103.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 12 c E Vr 783/91 des Kreisgerichtes Korneuburg wurde durch die Unterlassung der Ladung des Verteidigers zu den Hauptverhandlungen vom 20. März 1992 und 19. Mai 1992 sowie durch die Durchführung der Hauptverhandlungen ohne Zuziehung eines Verteidigers das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 41 Abs 4, 221 Abs 1, 488 StPO verletzt.

Das in der Hauptverhandlung vom 19. Mai 1992 gefällte Urteil, GZ 12 c E Vr 783/91‑9, wird aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung unter Zuziehung eines Verteidigers aufgetragen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung verwiesen

 

 

Gründe:

 

Mit Strafantrag vom 16. Oktober 1991, 4 St 1375/91, legte die Staatsanwaltschaft Korneuburg dem am 9. März 1950 geborenen Landwirt Karl G* (jun.) das Verbrechen der versuchten Erpressung nach den §§ 15, 144 Abs 1 StGB zur Last.

Rechtliche Beurteilung

Obwohl der Verteidiger Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in Retz, mit Schriftsatz vom 22. Oktober 1991 seine Bevollmächtigung (ersichtlich zumindest auch) durch den Angeklagten (der den gleichen Vornamen wie sein Vater trägt, gegen den ebenfalls ein Strafverfahren anhängig war ‑ AS 1, 86) angezeigt hatte (ON 5), führte die Einzelrichterin des Kreisgerichtes Korneuburg die Hauptverhandlung am 14. November 1991 (ON 6), zu der der geladene Verteidiger nicht erschien, und die Hauptverhandlungen vom 20. März 1992 (ON 7) und 19. Mai 1992 (ON 8), zu denen der ausgewiesene Verteidiger entgegen den Bestimmungen der §§ 221 Abs 1, 488 StPO gar nicht geladen worden war (AS 1a und 1a verso), ohne Zuziehung eines Verteidigers durch (AS 73, 91, 97), erkannte den nichtgeständigen Karl G* mit Urteil vom 19. Mai 1992, GZ 12 c E Vr 783/91‑9, des Vergehens der Nötigung nach den §§ 105 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn nach dieser Gesetzesstelle zu einer gemäß dem § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten. Über die vom Angeklagten gegen dieses Urteil ‑ dessen Ausfertigung der Vorschrift des § 79 Abs 3 StPO zuwider (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 ENr 1 zu § 79) ebenfalls nicht dem Verteidiger zugestellt wurde (AS 1b) ‑ selbst ergriffene Berufung (ON 8, Seite 113 und ON 10) ist noch nicht entschieden.

Gemäß dem § 41 Abs 4 StPO besteht für die Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter Verteidigerzwang, wenn für die Tat ‑ außer in den Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 3 StGB ‑ eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Karl G* lag nach dem Anklagevorwurf das mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedrohte Verbrechen der versuchten Erpressung nach den §§ 15, 144 Abs 1 StGB zur Last.

Mag auch der Schuldspruch des Angeklagten schließlich nur wegen des ‑ mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedrohten ‑ Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs 1 StGB, somit wegen eines Deliktes ergangen sein, in Ansehung dessen Verteidigerzwang nicht besteht, bewirkte das Unterlassen der Zuziehung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung vom 19. Mai 1992 absolute Nichtigkeit des danach gefällten Urteiles nach dem § 281 Abs 1 Z 1a StPO (Mayerhofer‑Rieder StPO3, ENr 4a zu § 281 Abs 1 Z 1a uam).

Da nach Lage des Falles durch die das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 41 Abs 4, 221 Abs 1 und 488 StPO verletzende Vorgangsweise des Erstgerichtes im ersten Rechtsgang ein Nachteil für den nicht geständigen Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, war in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes das prozeßordnungswidrig zustandegekommene, mit einer (vom Angeklagten in seiner Berufung nicht geltendgemachten) absoluten Nichtigkeit behaftete Urteil aufzuheben und die Verfahrenserneuerung in erster Instanz anzuordnen.

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