Spruch:
Im Verfahren zum AZ 20 E Vr 1.192/95 des Landesgerichtes St.Pölten wurde das Gesetz verletzt durch
1. die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers für Christian G***** in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO;
2. die gesonderte Ausfertigung des Urteils ON 8 vom 4.Juni 1996 hinsichtlich des genannten Beschuldigten in gekürzter Form in den Bestimmungen der §§ 458 Abs 3, 488 Z 7 StPO.
Dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Christian G***** betreffenden Teil (ON 8) aufgehoben und es wird dem Landesgericht St.Pölten insoweit die Erneuerung des Verfahrens unter Beachtung der zitierten Verfahrensvorschriften aufgetragen.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren zum AZ 20 E Vr 1.192/95 des Landesgerichtes St.Pölten legte die Staatsanwaltschaft mit Strafantrag vom 26.März 1996 dem Erstbeschuldigten Georg S***** (als unmittelbarem Täter) und dem Zweitbeschuldigten Christian G***** (als Beitragstäter gemäß § 12 [ergänze: dritter Fall] StGB) das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB zur Last (ON 4).
Der Einzelrichter beraumte die Hauptverhandlung für den 4.Juni 1996 an (S 3 a verso), ohne die Beschuldigten gemäß § 41 Abs 3 StPO aufzufordern, entweder einen Verteidiger zu wählen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 41 Abs 2 StPO zu beantragen, und unterließ es, den Beschuldigten G*****, der insoweit untätig blieb, gemäß § 488 Z 1 letzter Satz StPO einen Verteidiger beizugeben. Obwohl (demzufolge) entgegen § 41 Abs 1 Z 2 StPO nur der Erst-, nicht aber auch der Zweitbeschuldigte in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten war, wurden mit Urteil vom 4.Juni 1996 Georg S***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 148 erster Fall StGB und Christian G***** des Verbrechens des "schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 12, 146, 148 erster Fall StGB" - gemeint: des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betruges als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 146, 148 erster Fall StGB - schuldig erkannt. Unter Anwendung des § 41 StGB wurden Georg S***** zu vier und Christian G***** zu zwei Monaten (jeweils für eine Probezeit von drei Jahren) bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe verurteilt.
Georg S***** meldete durch seinen Wahlverteidiger Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 10), während Christian G***** - dessen unmittelbar nach Verkündung ohne Beisein eines Verteidigers abgegebener Rechtsmittelverzicht (S 418) ohne Wirkung war (§§ 466 Abs 1 zweiter Satz, 489 Abs 1 StPO) - seine Verurteilung in Rechtskraft erwachsen ließ.
Der Einzelrichter fertigte hierauf das Urteil hinsichtlich Christian G***** gesondert in gekürzter Form aus. Dabei verwies er in Ansehung der Tat des Georg S*****, zu welcher Christian G***** nach dem Schuldspruch beigetragen hatte, entgegen §§ 488 Z 7, 458 Abs 3 Z 1, 270 Abs 2 Z 4, 260 Abs 1 Z 1 StPO bloß auf den Strafantrag (Punkt 1 in ON 4), anstatt diese Tat in den Urteilstenor aufzunehmen (ON 8; Foregger/Kodek, StPO6 § 458 Erl III, § 488 Erl II).
Über die (ausgeführte) Berufung des Angeklagten S***** wurde noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Zuziehung eines Verteidigers für den Beschuldigten Christian G***** und die Abfassung einer gesonderten Urteilsausfertigung in Ansehung dieses Beschuldigten in gekürzter Form stehen - wie der Generalprokurator in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 41 Abs 1 Z 2 StPO ist in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter ein Verteidiger beizuziehen, wenn für die Tat, außer in den Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 3 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Im vorliegenden Verfahren war demnach aufgrund des maßgeblichen ersten Strafsatzes des § 148 StGB - sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe - die Verteidigung der Beschuldigten in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben. Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers für den Zweitbeschuldigten Christian G***** verletzt somit das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO (13 Os 89/92, 11 Os 117/92, 13 Os 131/90).
Das solcherart zustandegekommene Urteil ist, soweit es den Zweitbeschuldigten betrifft, gemäß §§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 1 a StPO nichtig. Da eine Benachteiligung des Christian G***** durch die gesetzwidrig abgeführte Hauptverhandlung nicht ausgeschlossen werden kann, war in Ansehung dieses Beschuldigten das Urteil gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben und die neuerliche Verhandlung und Entscheidung unter Beiziehung eines Verteidigers anzuordnen (vgl auch Mayerhofer StPO4 § 292 E 28a-31).
Der Verteidigerzwang in der neuen Hauptverhandlung ergibt sich, obwohl über Christian G***** infolge des Verschlimmerungsverbotes (§§ 290 Abs 2, 293 Abs 3 StPO) keine strengere als eine zweimonatige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt werden darf, weiterhin aus der schon genannten Strafdrohung des ihm laut Strafantrag angelasteten Deliktes (13 Os 131/90).
Aber auch die gesonderte Ausfertigung des Urteils hinsichtlich des Beschuldigten G***** in gekürzter Form steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Wird der Beschuldigte freigesprochen oder nach einem umfassenden und durch die übrigen Ergebnisse der Verhandlung unterstützten Geständnis verurteilt oder wird die aus mehreren Punkten bestehende Anklage teils auf die eine, teils auf die andere Art erledigt und verzichten in allen diesen Fällen die Parteien auf alle Rechtsmittel oder melden sie innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel an, so kann das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt werden, es sei denn, daß der Einzelrichter eine ein Jahr übersteigende Freiheitsstrafe verhängt oder eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme angeordnet hat (§§ 458 Abs 3, 488 Z 7 StPO). Liegen bezüglich eines Endurteils über mehrere Personen (§ 56 Abs 1 StPO) auch nur bei einer die genannten Voraussetzungen nicht vor, so ist die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form unzulässig (Foregger/Kodek, StPO6 § 458 Erl I).
Aufgrund der rechtzeitigen Berufungsanmeldung des Erstbeschuldigten (ON 10) war demnach eine (gesonderte) Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form hinsichtlich des Zweitbeschuldigten Christian G***** nicht zulässig.
Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
Im erneuerten Verfahren wird zu beachten sein, daß nur jener Täter gewerbsmäßig handelt, dessen Absicht darauf gerichtet ist, sich selbst (unmittelbar aus der Tat oder mittelbar auf dem Umweg über einen Dritten, aber immer als eine unmittelbare wirtschaftliche Folge der Tat) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen; daß er eine solche Einnahme (nur) für einen Dritten anstrebt, genügt nicht (Leukauf/Steininger, Komm3 § 70 RN 6 a). Sollte deshalb die Qualifikation des dem Zweitbeschuldigten vorgeworfenen Betruges nach § 148 erster Fall StGB ebensowenig zu bejahen sein wie schon bisher die Schadensqualifikation (§ 147 Abs 2 StGB), so wäre im Hinblick auf die angenommene Tatzeit (Mai bis November 1992) die Verjährung der Strafbarkeit des allenfalls verbleibenden Grunddeliktes nach § 146 StGB zu prüfen.
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