European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00120.22I.0131.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I 1) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (I 2) sowie mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (I 4), demzufolge auch im Strafausspruch und im Verfallserkenntnis aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * R*jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I 1) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (I 2), jeweils eines Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz (zweiter Fall) SMG (I 3) und nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (II) sowie mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (I 4) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S* und andernorts vorschriftswidrig
(I) Suchtgift
(1) in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erzeugt, indem er vom Jahr 2010 bis zum Jänner 2022 zahlreiche Cannabispflanzen zur Blüte brachte, erntete und daraus zumindest 8.410 Gramm Cannabiskraut (enthaltend 814,08 Gramm Delta‑9‑THC) gewann und
(2) in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er zumindest 4.030 Gramm (enthaltend 390,10 Gramm Delta‑9‑THC) des zu I 1 erwähnten Cannabiskrauts mehreren (im Ersturteil teils namentlich genannten) Personen teils schenkte, teils gewinnbringend verkaufte,
wobei sein Vorsatz jeweils auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über eine längere Zeit sowie den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste, weiters
(3) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er am 25. Februar 2022 1.516,30 Gramm Cannabiskraut (enthaltend 147,23 Gramm Delta‑9‑THC) in seinem Wohnhaus bis zur Sicherstellung lagerte und für den gewinnbringenden Verkauf bereithielt, sowie
(4) ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er in den Jahren 2007 bis 2010 wiederholt (Delta‑9‑THC‑hältiges) Cannabiskraut von Dritten ankaufte und anschließend bis zum Eigenkonsum innehatte, ferner
(II) Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift mit dem Vorsatz angebaut, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, indem er vom Jahresende 2021 bis zum 25. Februar 2022 (über I 1 hinaus) weitere 100 Cannabispflanzen anpflanzte und kultivierte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Ihrer Erledigung sei vorangestellt, dass das Erstgericht die festgestellte Menge an Dritten überlassenem (I 2) Cannabiskraut anhand folgender Sachverhaltsprämissen errechnete: (1.) Der Erlös aus den (entgeltlichen) Überlassungen habe einem Vermögenswert von insgesamt 26.346,85 Euro entsprochen und (2.) der jeweilige „Verkaufspreis“ habe „zumindest“ 6 Euro pro Gramm betragen (US 6 f).
[5] Die festgestellte Menge an erzeugtem (I 1) Cannabiskraut wiederum errechnete das Erstgericht durch Addition des Überlassenen (I 2) mit „Eigenkonsum des Angeklagten von einem Gramm Cannabiskraut [täglich – US 4] über einen Zeitraum von zwölf Jahren“ (US 7).
[6] Wie die gegen den Schuldspruch zu I 1 und I 2 gerichtete Mängelrüge zutreffend aufzeigt, sind jene Feststellungen (US 4) offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), die den rechtlichen Schluss tragen, die insoweit tatverfangenen Suchtgiftquantitäten würden das Fünfzehn‑ (§ 28a Abs 2 Z 3 SMG; I 2) und das Fünfundzwanzigfache (§ 28a Abs 4 Z 3 SMG; I 1) der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigen:
[7] Als – eine notwendige Bedingung für die bekämpften Feststellungen jener (entscheidenden) Tatsachen bildende (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410) – Grundlage für seine Berechnung (US 6 f) der erzeugten (I 1) und der Dritten überlassenen (I 2) Suchtgiftmenge zog das Erstgericht einen „durchschnittlichen Reinheitsgehalt“ des (gesamten) oben erwähnten Cannabiskrauts von 9,68 % Delta-9-THC heran (US 5; ein Gehalt an sonstigen von der Suchtgiftverordnung erfassten Stoffen wurde nicht festgestellt).
[8] Dass das vom (unbekämpften) Schuldspruch zu I 3 umfasste – im Gegensatz zu jenem (I 1 und 2) sichergestellte – Cannabiskraut gerade diesen Wirkstoffgehalt an Delta‑9‑THC aufwies (US 5), leiteten die Tatrichter explizit aus einem dazu eingeholten Sachverständigengutachten ab (US 7).
[9] Für die Annahme, das davon verschiedene, (vorangehend über mehr als ein Jahrzehnt hinweg sukzessive) jeweils zunächst erzeugte (I 2) und sodann teils anderen überlassene (I 2) Cannabiskraut (US 4) hätte „durchschnittlich“ diesen Wirkstoffgehalt aufgewiesen, werden im Ersturteil jedoch gar keine Gründe genannt. Sie bleibt solcherart bloße Behauptung.
[10] Gleiches gilt – wie die Rüge ebenfalls mit Recht einwendet – für eine weitere jener Sachverhaltsprämissen, anhand derer sich dem Ersturteil zufolge (im Tatsächlichen) die Überschreitung des Fünfzehnfachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) an Delta‑9‑THC (zum Schuldspruch zu I 2) „errechnet“ (US 6): Den Umstand nämlich, dass der „Verkaufspreis“ (je Gramm Cannabiskraut) „zumindest EUR 6“ betragen habe (US 6 f). Im Übrigen wäre – bei gleichbleibendem Gesamterlös und Wirkstoffgehalt (siehe oben) – die Gesamtmenge an verkauftem Suchtgift zwangsläufig geringer als im Ersturteil errechnet, wenn – was das Erstgericht des ersten Rechtsgangs für möglich hielt („zumindest“) – der Grammpreis 6 Euro überstiegen hätte.
[11] Der angesprochene Begründungsmangel erfordert die (gänzliche) Aufhebung des Schuldspruchs zu I 1 und I 2. Denn die solcherart erfolgreich bekämpften Feststellungen liegen im Gegenstand nicht nur der Subsumtion nach dem jeweiligen Qualifikationstatbestand (§ 28a Abs 4 Z 3 bzw Abs 2 Z 3 SMG), sondern zugleich der rechtlichen Annahme (auch nur) einfacher Grenzmengenüberschreitung (§ 28b SMG) – somit der Subsumtion nach § 28a Abs 1 (erster bzw fünfter Fall) SMG – zugrunde. Steht doch ohne dieses Tatsachensubstrat überhaupt keine bestimmte (Mindest-)Menge an erzeugtem oder überlassenem Wirkstoff fest. Soweit die (übrigen) diesbezüglichen Urteilskonstatierungen (US 4) einen – insoweit gar nicht erfolgten – Schuldspruch nach § 27 Abs 1 dritter (I 1) bzw achter (I 2) Fall SMG allenfalls zu tragen vermögen, können sie nicht bestehen bleiben (RIS‑Justiz RS0115884; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 18).
[12] Mit Blick auf den Wegfall des Schuldspruchs zu I 1 und I 2 aber steht – auf der Basis der (verbleibenden) Urteilsfeststellungen (US 3 bis 6) – die Verjährung der Strafbarkeit (§ 57 StGB) der vom Schuldspruch I 4 umfassten (§ 27 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG subsumierten) Taten infrage (vgl US 3: Tatzeitraum „von 2007 bis 2010“).
[13] Der auf § 20 Abs 1 StGB gestützte Ausspruch des Verfalls „de[s] aus dem Suchtgifthandel erzielte[n] und sichergestellte[n] Erlös[es] von EUR 3.800 Bargeld und Gold- und Silbermünzen im Ankaufswert von EUR 22.546,85“ (US 3) wiederum ist vom Schuldspruch I 2 abhängig (vgl Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7).
[14] Dies führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 289 StPO).
[15] Das (weitere) gegen die damit beseitigten Urteilsaussprüche gerichtete Beschwerdevorbringen, das
- aus Z 4 die Abweisung eines Beweisantrags (ON 20 S 4 f) releviert, der sich nach seiner Zielrichtung („dass der angeklagte Sachverhalt […] nicht unter § 28a Abs 4 SMG falle, sondern lediglich unter § 28a Abs 1 SMG“) nur auf den dem Schuldspruch zu I 1 entsprechenden Anklagevorwurf bezogen haben kann, und
- aus (der Sache nach Z 11 erster Fall iVm) Z 5 zweiter Fall unvollständige Begründung der Tatsachengrundlage (US 7) des Verfallsausspruchs einwendet,
hat demnach auf sich zu beruhen.
[16] Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang sei jedoch hinzugefügt:
[17] 1. Die im Ersturteil zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht (US 7 ff), wonach nicht die Substanzbeschaffenheit zur Tatzeit (bei § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG demnach: zum jeweiligen Zeitpunkt des Überlassens), sondern stets jene „Suchtgiftzusammensetzung“ subsumtionsrelevant sei, die bei (allfällig späterer) „Einnahme auf den Konsumenten einwirkt“, widerspricht dem Gesetz. Denn die in § 28a Abs 1 SMG angeführten Tathandlungen beziehen sich auf in der Suchtgiftverordnung erfasste, die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende und – wie die Verwendung der Gegenwartsform in jener Bestimmung unmissverständlich anzeigt – zum Tatzeitpunkt tatsächlich vorhandene Wirkstoffe. Dies erfordert Feststellungen zur Beschaffenheit – also zur Wirkstoffart (hier allenfalls: Delta‑9‑THC und THCA) und ‑menge – tatverfangener Substanzen (und zu einem darauf bezogenen Vorsatz) im Zeitpunkt der Tatbegehung (RIS‑Justiz RS0132031).
[18] Der – vom Erstgericht für den „strafgerichtlichen Alltag“ gehegten – Befürchtung, dass keine „verlässliche Aussage über das Verhältnis von Delta‑9‑THC zu THCA zu einem (bestimmten) Zeitpunkt in der Vergangenheit getroffen werden kann“ (US 8), sei erwidert:
[19] Dass das tatverfangene Cannabiskraut (überhaupt) auch THCA enthielt, wurde im Ersturteil gar nicht festgestellt. Im Übrigen reichen wahldeutige Feststellungen (zB Delta‑9‑THC und THCA in dieser oder in jener Quantität) aus, wenn sie – im für die Subsumtion (hier nach § 28a [Abs 1 oder Abs 2 Z 3 oder Abs 4 Z 3] SMG) relevanten Umfang – zum gleichen rechtlichen Schluss führen (13 Os 7/21k [Rz 10 f, 15] = RIS‑Justiz RS0098710 [T21] mit Rücksicht auf die für Delta‑9‑THC mit 20 Gramm und für THCA mit 40 Gramm festgelegte Grenzmenge). Sollte dennoch nicht festgestellt werden können, ob die tatbildlich manipulierte Menge eines Wirkstoffs – oder mehrerer Wirkstoffe gemeinsam – die dafür festgelegte Grenzmenge (oder deren Fünfzehn‑ oder Fünfundzwanzigfaches) übersteigt, ist nicht anders zu verfahren als in sonstigen Fällen mangelnder Feststellbarkeit entscheidender Tatsachen (§ 14 zweiter Halbsatz StPO).
[20] 2. Nach den im Ersturteil getroffenen Feststellungen (US 4 f) handelte es sich bei den vom Schuldspruch I 1 umfassten Verhaltensweisen um eine tatbestandliche Handlungseinheit, also um eine (einzige) Tat (RIS-Justiz RS0122006, im gegebenen Zusammenhang RS0131856 [T4]); Gleiches gilt für die vom Schuldspruch zu I 2 umfassten Verhaltensweisen (US 4 f).
[21] Wären diese beiden Taten – wie im Ersturteil „errechnet“ (US 6 f: 4.391 Gramm [I 2] und [demnach] 8.771 Gramm [I 1] Cannabiskraut, enthaltend je 9,68 % Delta‑9‑THC) – jeweils in Bezug auf eine größere Menge Suchtgift begangen worden als von der Anklage angenommen (ON 14 S 1: 4.030 Gramm [I 2] und 8.410 Gramm [I 1] Cannabiskraut, enthaltend je 9,68 % Delta‑9‑THC), stünde dies – anders als dem Erstgericht im ersten Rechtsgang offenbar vorschwebt (US 6 f) – einer entsprechenden Feststellung nicht entgegen (§ 267 StPO). Übrigens gälte dies auch dann, wenn dadurch eine andere als die in der Anklage bezeichnete strafbare Handlung begründet würde (§ 262 StPO; instruktiv zur Tat im prozessualen Sinn Ratz, Zur Unzulässigkeit einer Subsumtionseinstellung, JBl 2006, 291; zu vergleichbaren Fallgestaltungen siehe RIS‑Justiz RS0113142 [T1], RS0098487 [T10]).
[22] 3. Im Fall eines neuerlichen Ausspruchs des Verfalls der „sichergestellten Vermögenswerte“ wäre – zur Vermeidung von (hier vom Beschwerdeführer geltend gemachter) Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall StPO – die „Überzeugung“ (US 7) des Gerichts, dass just diese Gegenstände (Bargeld sowie Gold‑ und Silbermünzen) „durch den Verkauf von Suchtgift“ erlangt (§ 20 Abs 1 StGB) wurden (oder im Sinn des § 20 Abs 2 StGB Ersatzwerte für auf diese Weise Erlangtes darstellen), unter Berücksichtigung der – dem widersprechenden – Verantwortung des Angeklagten (ON 19 S 3) zu begründen (vgl demgegenüber US 7, 10).
[23] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung zu verweisen.
[24] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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