OGH 10ObS98/14f

OGH10ObS98/14f25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer RAe OG in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 8. Juli 2014, GZ 11 Rs 52/14t‑10, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 19. August 2014, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00098.14F.1125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Alterspension ist an die allgemeine Voraussetzung geknüpft, dass die Wartezeit durch Versicherungsmonate erfüllt ist (§ 235 Abs 1 und 2 iVm § 222 Abs 1 Z 1 ASVG).

1.2 Allein mit ihren 296 österreichischen Versicherungsmonaten erfüllt die Klägerin die Wartezeit nicht (§ 236 Abs 2 Z 2 ASVG). Sie erfüllt aber ‑ unstrittig ‑ die Wartezeit nach Zusammenrechnung mit den in Spanien (im Zeitraum 1996 bis 2003) erworbenen weiteren 83 Versicherungsmonaten.

2.1 Besteht allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften kein Leistungsanspruch, insbesondere weil mit den eigenen Zeiten die Wartezeit nicht erfüllt ist, so ist die zwischenstaatliche Berechnung durchzuführen (Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 52 VO 883/2004 Rz 6). Allerdings ist es für den zuständigen Träger nach Art 52 Abs 4 VO (EG) 883/2004 möglich, unter bestimmten Voraussetzungen von der zwischenstaatlichen Berechnung abzusehen, wenn dies für die Versicherten keine Nachteile bringt, wenn also aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Berechnungsmethoden die nationale Leistung in allen Fällen zumindest gleich hoch ist, wie die Pro‑rata‑temporis Leistung (sogenannte „abgekürzte Berechnung“, Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 52 VO 883/2004 Rz 11 ff).

2.2 Da die Klägerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren bezweifelte, dass die „abgekürzte Berechnung“ für sie mit keinen Nachteilen verbunden sei und eine Pro-rata‑temporis-Vergleichsberechnung verlangte, legte die beklagte Partei in der mündlichen Streitverhandlung vom 6. 2. 2014 eine solche Vergleichsberechnung vor, die exakt der im Wege der „abgekürzten Berechnung“ erzielten Pensionshöhe entsprach. Die Vergleichsberechnung wurde zum Akt genommen (Beilage ./3). Die Klägerin anerkannte deren Echtheit bzw die Übereinstimmung mit dem Original und verwies zur Richtigkeit auf ihr (bisheriges) eigenes Vorbringen, ohne aber zur Vergleichsberechnung konkret Stellung zu nehmen bzw dazu ein Vorbringen zu erstatten, etwa dass die in der Vergleichsberechnung angenommenen Parameter (Anzahl der ausländischen Beitragsmonate, der Kindererziehungsmonate, der Bemessungsgrundlagenetc) nicht den Tatsachen entsprachen. Das Erstgericht gab den Inhalt der Vergleichsberechnung in seinem Urteil nicht im Einzelnen wieder, wies aber in seiner rechtlichen Beurteilung darauf hin, dass auch die Berechnung nach der „Pro‑rata-temporis Methode“ keine höhere Pension ergebe, weil dabei die aufgrund des höheren Steigerungsbetrags ermittelte Pension im Verhältnis der österreichischen Zeiten zu den Gesamtversicherungszeiten zu entsprechen habe.

3. In ihrer Revision macht die Klägerin nunmehr eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens bewirkende Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes geltend, die darin liegen soll, dass das Berufungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung den Inhalt der Vergleichsberechnung Beilage /.3 wiedergegeben und seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe. Nach der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0121557) erfordert die Berücksichtigung des Inhalts einer in den Feststellungen der Vorinstanzen ‑ wenn auch ohne wörtliche Wiedergabe ‑ enthaltenen Urkunde, deren Echtheit überdies zugestanden wurde, nicht die amtswegige Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung. Die Wiedergabe des unstrittigen Wortlauts einer Urkunde durch das Berufungsgericht ist prozessual unbedenklich, weil unstrittiges Parteienvorbringen ‑ und dazu gehört auch der Inhalt einer von beiden Seiten für bedeutsam angesehenen Urkunde ‑ ohne weiteres der Entscheidung zu Grunde zu legen ist (RIS‑Justiz RS0121557 [T1]). Es begründet daher keinen Verfahrensmangel, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung (auch) auf die von ihm wiedergegebene Vergleichsberechnung Beilage ./3 stützte. Zudem wird in der Revision nicht dargelegt, inwieweit der angebliche Verfahrensverstoß für die Entscheidung relevant sein sollte.

4. Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung hält die Klägerin an ihrem Standpunkt fest, jede Kürzung ihrer Pension sei ungerechtfertigt, weil sie derzeit noch nicht 65 Jahre alt sei und deshalb in Spanien noch keine Pensionsleistung für die dort erworbenen Versicherungszeiten erhalte. Im Sinn der von der europäischen Sozialgesetzgebung angestrebten Gleichstellung sämtlicher Beitrags‑ und Versicherungszeiten wäre sie so zu stellen, wie wenn sie alle Versicherungs‑ und Beitragsmonate in Österreich erworben hätte; es habe bei der Pensionsberechnung kein „zwischenstaatlicher Kürzungsfaktor“ Anwendung zu finden, sodass ihr eine fiktive Vollpension in Höhe von 482,13 EUR zustehe und nicht nur die von der beklagten Partei mit 354,64 EUR errechnete Pension.

4.1 Auch mit diesem Vorbringen wird aber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

4.2 Die Klägerin will über die gemäß Art 6 der VO (EG) 883/2004 (unstrittig erfolgte) Zusammenrechnung der österreichischen und spanischen Versicherungsmonate für die Wartezeit hinaus die Berücksichtigung der spanischen Versicherungsmonate auch für die Berechnung der Pensionshöhe erreichen, indem ihre in Spanien zurückgelegten Versicherungsmonate gleichsam in die österreichische Versicherungslast übernommen werden sollen. Bereits die Vorinstanzen haben aber darauf hingewiesen, dass dem Art 52 der VO (EG) 883/2004 (vormals Art 46 der VO [EWG] 1408/71) eindeutig entgegensteht (siehe bereits 10 ObS 92/09s).

Ergänzend ist anzumerken, dass auch Art 52 VO (EG) 883/2004 keine Regelungen für eine eigenständige Rentenberechnung im Sinne einer europäischen Gesamtrente enthält. Die vorgeschriebene gemeinschaftsrechtliche Rentenberechnung belässt es vielmehr im Grundsatz bei der Versicherungs‑ bzw Leistungslast der beteiligten Mitgliedstaaten und deren Berechnung nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht. Das mitgliedstaatliche Rentenberechnungsrecht wird lediglich modifiziert nach dem sogenannten „pro‑rata‑temporis‑Prinzip“, indem zunächst ein theoretischer Betrag und dann die anteilige Leistung berechnet wird (vgl Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht 6. Aufl Art 52 VO 883/2004 Rz 3).

4.3 Beim Pro‑rata‑temporis‑Verfahren wird in einem ersten Schritt ein theoretischer Rentenbetrag errechnet und dabei (jeweils) eine rein innerstaatliche Rentenbiographie unterstellt, dh alle fremdmitgliedstaatlichen Zeiten sind so zu berücksichtigen, als ob sie nach inländischem Recht zurückgelegte anrechnungsfähige und damit auch abzugeltende Zeiten darstellten. In einem zweiten Schritt wird aus dieser so ermittelten hypothetischen Gesamtrente (dem theoretischen Betrag) nach dem Verhältnis der in den Mitgliedstaaten vor Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegten Versicherungszeiten der tatsächlich zu zahlende Betrag („tatsächlicher Betrag der anteiligen Leistung“) errechnet. Diese Berechnung des tatsächlichen Betrags der anteiligen Leistung hat den Zweck, die jeweilige Last der Leistungen nach dem Verhältnis der Dauer der in jedem dieser Mitgliedstaaten vor Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegten Versicherungszeiten auf die Träger der beteiligten Mitgliedstaaten zu verteilen. Zur Ermittlung des Zahlbetrags der gemeinschaftsrechtlich berechneten anteiligen Leistung wird somit der ermittelte theoretische Betrag im Verhältnis der inländischen Rentenversicherungszeiten vor Eintritt des Versicherungsfalles und der in allen Mitgliedstaaten insgesamt zurückgelegten anrechenbaren Zeiten vor Eintritt des Versicherungsfalls aufgeteilt (Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht 6. Aufl Art 52 VO [EG] 883/2004 Rz 15 f und 34 f). Der auf diese Weise ermittelte „tatsächliche Betrag“ bezeichnet den Rentenanspruch, den der zuständige Träger der Höhe nach zu erbringen hat. Dieser Betrag entspricht der anteiligen Leistung des Mitgliedstaats (Pro‑rata‑temporis‑Anteil). Das Pro‑rata‑temporis-Teilrentensytem führt somit entgegen der Rechtsansicht der Klägerin gerade nicht zu einer Übernahme ihrer in Spanien zurückgelegten Versicherungszeiten in die österreichische Versicherungslast.

Die Revision ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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