OGH 10ObS86/18x

OGH10ObS86/18x19.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 1 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei MDDr. A*****, vertreten durch die Lippitsch.Neumann.Hammerschlag Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84‑86, vertreten durch Dr. Eva‑Maria Bachmann‑Lang, Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Mai 2018, GZ 6 Rs 25/18w‑21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 23. Jänner 2018, GZ 8 Cgs 64/17z‑17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00086.18X.1219.000

 

Spruch:

Aus Anlass der Revision wird das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in einem Senat aufgetragen, dem jeweils ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehört.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

 

Begründung:

Die Klägerin wurde am 9. 12. 2013 erstmals als Wohnsitzzahnärztin in die Zahnärzteliste der österreichischen Zahnärztekammer eingetragen und war in weiterer Folge als niedergelassene Zahnärztin tätig. Zuletzt war die Klägerin als niedergelassene Zahnärztin vom 3. 11. 2015 bis 4. 9. 2016 tätig. Vom 5. 9. 2016 bis 20. 9. 2017 war ihre berufliche Tätigkeit gemäß § 44 Zahnärztegesetz (BGBl I 2005/126, ZÄG) im Zusammenhang mit der Geburt ihres Sohnes am 31. 10. 2016 unterbrochen. Die Klägerin war ab 1. 10. 2016 aufgrund ihrer Berufsunterbrechung mit ihrem Gatten nach dem GSVG in der Krankenversicherung mitversichert, dies bis zum Zeitpunkt ihrer neuerlichen Eintragung als Wohnsitzzahnärztin am 21. 9. 2017.

Aus Anlass der Geburt ihres Sohnes beantragte die Klägerin bei der Beklagten am 21. 11. 2016 die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der Variante 12 (+2) für den Zeitraum 31. 10. 2016 bis 30. 10. 2017.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 3. 5. 2017 ab.

Die Klägerin begehrt mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum 31. 10. 2016 bis 30. 10. 2017.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Klägerin nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 KBGG erfülle.

Das Erstgericht sprach der Klägerin Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 33 EUR täglich für den Zeitraum 31. 10. 2016 bis 30. 10. 2017 zu. Dem Senat des Erstgerichts gehörten neben der Vorsitzenden zwei fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, dass die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Berufungsgericht entschied über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung. Dem Senat gehörten neben dem vorsitzenden Senatspräsidenten, einem Berufsrichter und einer Berufsrichterin zwei fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber an.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels war von Amts wegen die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung wahrzunehmen.

1. Gemäß § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG haben die fachkundigen Laienrichter vorbehaltlich des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG je zur Hälfte dem Kreis der Arbeitgeber und dem der Arbeitnehmer anzugehören. Aus dieser Bestimmung ergibt sich deutlich, dass die fachkundigen Laienrichter in Sozialrechtssachen grundsätzlich dem Kreis der Versicherten und ihrer Arbeitgeber anzugehören haben.

2. Gemäß § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG haben in Streitsachen nach dem GSVG, dem BSVG, dem FSVG, dem Betriebshilfegesetz, und – wenn der Kläger ein Notar ist – nach dem NVG alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber anzugehören. Unter diese Ausnahmen fallen auch Unfallversicherungssachen und Pflegegeldsachen von Selbständigen (10 ObS 44/17v mzwH).

3. Im vorliegenden Fall macht die Klägerin jedoch einen Anspruch nach dem KBGG geltend. Ihre Anspruchsberechtigung dazu ergibt sich ausschließlich nach den §§ 2 und 24 KBGG. Lediglich die Zuständigkeit des jeweils in Anspruch genommenen Krankenversicherungsträgers leitet sich aus den §§ 25, 28 KBGG ab. Rechtsstreitigkeiten nach dem KBGG sind nicht unter den Ausnahmefällen des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG aufgezählt, sodass es bei der Grundregel des § 12 Abs 1 ASGG zu bleiben hat (zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld einer niedergelassenen Ärztin vgl etwa 10 ObS 34/07h, SSV‑NF 21/18; zum Anspruch eines Rechtsanwalts auf Familienzeitbonus jüngst 10 ObS 109/18d und 10 ObS 111/18y).

4. Bereits das Erstgericht war daher nicht vorschriftsmäßig besetzt, weil dem erkennenden Senat nur fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber angehörten. Die dadurch bewirkte Nichtigkeit (§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO) ist im konkreten Fall jedoch geheilt, weil die Klägerin zur Zeit des Verstoßes durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 40 Abs 1 ASGG) und sich die Parteien in die Verhandlung zur Hauptsache eingelassen haben, ohne die Unrichtigkeit zu rügen (RIS‑Justiz RS0085526 [T1]; Neumayr in ZellKomm3 § 37 ASGG Rz 5 mwH).

5. Auch das Berufungsgericht, dem zwei fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber angehörten, war nicht vorschriftsmäßig besetzt, was die Entscheidung nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig macht (RIS‑Justiz RS0042176). Der dem Berufungsgericht unterlaufene Verstoß gegen § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG wurde nicht nach § 37 Abs 1 ASGG geheilt, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung erfolgte (RIS‑Justiz RS0040259). Auch durch den Umstand, dass die nicht vorschriftsgemäße Besetzung des Berufungsgerichts in den Rechtsmittelschriften nicht gerügt wurde, ist keine Heilung der damit verbundenen Nichtigkeit eingetreten (vgl 10 ObS 117/10v, SSV‑NF 24/66, mwH).

6. Es musste daher aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels des Klägers der vorliegende Nichtigkeitsgrund von Amts wegen wahrgenommen, das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung in vorschriftsgemäßer Besetzung aufgetragen werden.

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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