European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00076.10I.0622.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Der Kläger ist in Österreich als Rechtsanwalt tätig. Mit Antrag vom 27. 12. 2005 beantragte er unter Hinweis auf § 50 RAO iVm § 6 der Satzung der Versorgungseinrichtung Teil A der Rechtsanwaltskammer ***** eine Versorgungsleistung aus dem Titel des Alters. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Abteilung II/3 des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer ***** vom 16. 2. 2006 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Vorstellung an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer *****, welche mit Bescheid vom 8. 6. 2006 abgewiesen wurde. Eine vom Kläger dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof blieb erfolglos.
Mit Schriftsatz vom 6. 11. 2008 beantragte der Kläger neuerlich die Zuerkennung der Alterspension A gemäß § 50 RAO (Vollendung des 68. Lebensjahres). Auch dieser Antrag wurde mit Bescheid der Abteilung II/3 des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer ***** vom 12. 2. 2009 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Vorstellung an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer *****, welche mit Bescheid vom 17. 9. 2009 ebenfalls abgewiesen wurde. Der Kläger erhob dagegen neuerlich Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieses Verfahren ist beim Verfassungsgerichtshof zur AZ B 1293/09 anhängig.
Gegen die beiden Bescheide der beklagten Partei vom 8. 6. 2006 und 17. 9. 2009 erhob der Kläger am 17. 12. 2009 beim Erstgericht auch Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, ihm aufgrund der Bestimmungen der RAO iVm § 6 der Satzungen der beklagten Partei der Versorgungseinrichtung Teil A eine Alterspension ab dem 1. 1. 2006 im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen. Hilfsweise wird beantragt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm ab dem 15. 11. 2008 eine Alterspension nach § 50 Abs 2 lit a RAO im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen. Der Kläger brachte im Wesentlichen vor, dass er seit 5. 12. 1972 in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen und damit Zwangsmitglied der beklagten Partei sei. Sein Anspruch auf Alterspension unterliege ausschließlich den Bestimmungen der RAO. Er sei sich dessen bewusst, dass er nach der geltenden Gesetzeslage die Voraussetzungen für die Gewährung einer Alterspension (Verzicht auf die Eintragung in die Rechtsanwaltsliste, Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft im In‑ und Ausland, Verzicht auf die Eintragung in die Verteidigerliste) nicht erfülle. Die geltende Gesetzeslage sei jedoch aus mehreren Gründen verfassungswidrig. Sein Anspruch auf Altersversorgung gegenüber der beklagten Partei sei ein zivilrechtlicher Anspruch iSd Art 6 EMRK. Es müsse ihm daher in analoger Anwendung der §§ 65, 67 ASGG eine Klagemöglichkeit vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht eingeräumt werden.
Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück, weil im gegenständlichen Fall keine Rechtsstreitigkeit nach § 65 ASGG vorliege. Eine gesetzliche Regelung dahingehend, dass Rechtsstreitigkeiten über Altersversorgungsleistungen gemäß den §§ 50 ff RAO vor den Arbeits‑ und Sozialgerichten oder überhaupt im Gerichtswege anhängig gemacht werden könnten, bestehe weder in den einschlägigen Bestimmungen des ASGG noch der RAO oder der JN. Es liege somit das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs vor, weshalb die Klage gemäß § 42 JN a limine zurückzuweisen sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers keine Folge. Nach seinen Ausführungen handle es sich bei der Alters‑, Berufsunfähigkeits‑ und Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte (§§ 49 bis 54 RAO) um keine staatliche Sozialversicherung und damit um keine Pensionsversicherung. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch falle weder in den Geltungsbereich des ASVG, des FSVG oder des GSVG, weshalb es sich beim gegenständlichen Rechtsstreit um keine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 ASGG handle. Entscheidungen über die Zuerkennung von Pensionen gehörten jedenfalls nicht zum „Kernbereich“ des Zivilrechts, weshalb die nachprüfende Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausreichend sei. Das Verfahren vor dem Ausschuss der beklagten Partei erfülle auch die Voraussetzungen für das Vorliegen eines „fair trial“ iSd Art 6 EMRK. Schon daraus ergebe sich, dass der Argumentation des Klägers, aufgrund des Vorliegens eines civil rights iSd Art 6 EMRK habe jedenfalls ein (ordentliches) Gericht über den zugrundeliegenden Anspruch zu entscheiden, ‑ unabhängig von der Frage der Richtigkeit dieser Argumentation ‑ jedenfalls die Grundlage entzogen sei. Das Erstgericht sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass für die gegenständliche Klage der Rechtsweg nicht zulässig sei.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer vergleichbaren Fallkonstellation des Verfahrensrechts, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs für die gegenständliche Klage, fehlt. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass das Rechtsmittelverfahren einseitig ist, weil die Zurückweisung der Klage vor Streitanhängigkeit erfolgte (vgl § 521a ZPO).
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte handle es sich bei Streitigkeiten aus dem Bereich der Sozialversicherung (Alterspension) um Streitigkeiten über privatrechtliche Ansprüche iSd Art 6 EMRK. Diese Streitigkeiten gehörten daher zum „Kernbereich“ des Zivilrechts, weshalb die Garantien des Art 6 EMRK im vorliegenden Fall ohne Einschränkungen Anwendung zu finden hätten. Es werde ihm aufgrund der geltenden Gesetzeslage zur Durchsetzung seines behaupteten Anspruchs die Möglichkeit einer Klage vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht nicht eingeräumt. In Analogie zu den bestehenden Bestimmungen sei ihm jedoch eine solche Klagemöglichkeit einzuräumen.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Die Bestimmung des § 65 ASGG umschreibt den Begriff der Sozialrechtssachen. Die Aufzählung in Abs 1, die die Grundlage für die sachliche Zuständigkeit der Gerichtshöfe als Arbeits‑ und Sozialgerichte in Sozialrechtssachen bildet, ist im Hinblick auf § 100 ASGG nicht taxativ. Die in anderen Rechtsvorschriften enthaltenen Verweisungen auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung sowie auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze gelten nämlich nach § 100 ASGG als Verweisungen auf die Bestimmungen des ASGG und damit auf die Arbeits‑ und Sozialgerichte. Ein wesentliches Merkmal im Verfahren in Sozialrechtssachen ist die sukzessive Kompetenz der Gerichte. Sozialrechtssachen iSd § 65 ASGG sind daher unter anderem nicht solche Angelegenheiten, in welchen ausschließlich (also unter Ausschluss der sukzessiven Kompetenz der Gerichte) Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben ( Kuderna , ASGG² 427). Liegt aber keine Sozialrechtssache vor, ist für die Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs vor den Arbeits‑ und Sozialgerichten der Rechtsweg unzulässig (vgl Neumayr in ZellKomm § 65 ASGG Rz 1 mwN).
Nach § 49 Abs 1 RAO haben die Rechtsanwaltskammern Einrichtungen zur Versorgung der Rechtsanwälte für den Fall des Alters und der Berufsunfähigkeit sowie zur Versorgung der Hinterbliebenen für den Fall des Todes des Rechtsanwalts mit einer zu beschließenden Satzung zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Gemäß § 50 Abs 1 RAO haben jeder Rechtsanwalt und seine Hinterbliebenen bei Vorliegen der Voraussetzungen und bei Eintritt des Versicherungsfalls Anspruch auf Alters‑, Berufsunfähigkeits‑ und Hinterbliebenenversorgung. Diese Bestimmung räumt dem einzelnen Rechtsanwalt und seinen Hinterbliebenen somit einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Alters‑, Berufsunfähigkeits‑ und Hinterbliebenenversorgung ein. Die Voraussetzungen für diesen Rechtsanspruch müssen gemäß § 50 Abs 2 RAO in den Satzungen der Versorgungseinrichtungen festgelegt werden und den in dieser Gesetzesstelle festgelegten Grundsätzen entsprechen. Über einen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung hat der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer gemäß § 54 RAO längstens innerhalb dreier Monate (im Verwaltungsweg) zu entscheiden.
Da Streitigkeiten über Ansprüche eines Rechtsanwalts auf Versorgungsleistungen nach den §§ 49 ff RAO in der Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG nicht angeführt sind und in den §§ 49 ff RAO auch keine Verweisung auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung bzw auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze enthalten ist (vgl § 100 ASGG), handelt es sich bei diesen Streitigkeiten um keine Sozialrechtssachen iSd § 65 ASGG. Der Rechtszug gegen Bescheide des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer als Verwaltungsbehörde über einen solchen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung geht daher an den Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof (vgl Art 129 ff B‑VG). Diese Rechtsansicht entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe öffentlichen Rechts (vgl VfSlg 14210; VwGH 8. 9. 2000, Zl 97/19/0401 uva).
Dieser eindeutigen Gesetzeslage hat auch der Kläger selbst Rechnung getragen, indem er gegen die beiden verfahrensgegenständlichen Bescheide des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben hat. Er räumt in seinen Rechtsmittelausführungen auch ausdrücklich ein, dass für ihn aufgrund der geltenden Gesetzeslage keine Klagsmöglichkeit im Rahmen der sukzessiven Kompetenz gegen die beiden Bescheide vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht bestehe. Er ist jedoch der Ansicht, dass ihm in analoger Anwendung des § 65 ASGG eine solche Klagsmöglichkeit offen stehen müsse, da es sich nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei Streitigkeiten aus dem Bereich der Sozialversicherung (Alterspension) um Streitigkeiten über privatrechtliche Ansprüche iSd Art 6 EMRK handle, worüber ein Gericht („tribunal“) zu entscheiden habe.
Ob eine Sache in den Kompetenzbereich der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden fällt, richtet sich in erster Linie nach der positiv‑rechtlichen Zuweisung durch den Gesetzgeber. Ihm sind jedoch gemäß Art 6 Abs 1 EMRK insofern verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, als über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen („civil rights“) ein unabhängiges und unparteiisches Gericht („tribunal“) zu entscheiden hat. Nach Lehre und neuerer österreichischer Rechtsprechung muss daher jedenfalls im Kernbereich der „civil rights“ ein Gericht (Behörde mit Tribunal‑Qualität) entscheiden; die bloß nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof reicht hier nicht aus (vgl Mayr in Rechberger , ZPO³ Vor § 1 JN Rz 4 mwN). Eine gesetzliche Verweisung solcher Ansprüche durch einfaches Gesetz vor Behörden, denen keine Tribunal‑Qualität iSd Art 6 Abs 1 EMRK zukommt, ist aber dennoch wirksam, solange diese Kompetenzvorschrift nicht durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung, dann stellt sich Art 6 EMRK als Generalklausel dar, die zivilrechtliche Ansprüche dem Gericht zuweist (vgl Ballon in Fasching ² § 1 JN Rz 61 mwN).
Wie bereits dargelegt wurde, ist über Anträge auf Gewährung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwälte (§§ 49 ff RAO) im Verwaltungsweg zu entscheiden (§ 54 RAO). Eine sukzessive Kompetenz der Arbeits‑ und Sozialgerichte wurde vom Gesetzgeber nicht begründet. Auch für eine analoge Anwendung des § 65 ASGG ist kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Diese positiv‑rechtliche Zuweisung durch den Gesetzgeber an die Verwaltungsbehörden ist wirksam, solange die entsprechende Kompetenzvorschrift nicht durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden ist. Die Arbeits‑ und Sozialgerichte sind hingegen nicht berechtigt, Bescheide von Verwaltungsbehörden dahingehend zu überprüfen, ob die für das Verwaltungsverfahren vorgesehene Verfahrensordnung EMRK‑konform ausgestaltet ist. Es ist daher abschließend nur der Vollständigkeit halber noch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14210) Entscheidungen über die Zuerkennung von Pensionen aus der im Rahmen der rechtsanwaltlichen Selbstverwaltung geschaffenen Altersversorgung nicht zu dem traditionellen Kernbereich des Zivilrechts gehören und daher (neben der Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen) die nachprüfende Kontrolle der Entscheidungen der Verwaltungsbehörde (Versorgungseinrichtung) durch den Verwaltungsgerichtshof ausreichend ist.
Da es sich beim gegenständlichen Verfahren somit um keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG handelt, haben die Vorinstanzen die Klage zutreffend wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen.
Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.
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