OGH 10ObS74/88

OGH10ObS74/8831.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienricher Dr.Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Oskar Harter (Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosa G***, Pensionistin und Rentnerin, 3525 Sallingberg 72, vertreten durch Dr.Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U*** (Landesstelle Wien), 1200 Wien, Adalbert

Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Adolf Fiebich, Dr.Vera Kremslehner und Dr.Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeitsund Sozialrechtssachen vom 13.November 1987, GZ 34 Rs 174/87-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26. Juni 1987, GZ 15 Cgs 1134/87-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision wird das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in einem Senat aufgetragen, in dem alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber angehören.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 6.Februar 1980 wurde der Unfall, den der Ehegatte der Klägerin am 25.September 1979 im eigenen Betrieb, einer Ford-Vertragswerkstätte und Tankstelle, als nach § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG unfallversicherter Kfz-Mechanikermeister erlitten hat und an dessen Folgen er am selben Tag gestorben ist, nach § 175 Abs 1 ASVG als Arbeitsunfall anerkannt und ua ausgesprochen, daß der Klägerin ab 25.September 1979 eine Witwenpension von 20 vH der Bemessungsgrundlage gebührt. Mit am 6.Juni 1986 zugestelltem Bescheid der beklagten Partei vom 4.Juni 1986 wurde diese Witwenrente ab 28.Mai 1986 auf 40 vH der Bemessungsgrundlage erhöht, weil die Klägerin am 28.Mai 1986 das 60. Lebensjahr vollendet hatte.

In ihrem bei der beklagten Partei am 2.Juli 1986 eingelangten Schreiben vom 25.Juni 1986 vertrat die Klägerin den Standpunkt, daß ihr die Witwenrente bis zu drei Monaten vor ihrem am 14.März 1985 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten gestellten Antrag auf Berufsunfähigkeitspension gebühre.

Mit Bescheid vom 18.Februar 1987 sprach die beklagte Partei aus, daß der Klägerin auch für die Zeit vom 2.April 1986 bis 27.Mai 1986 die Witwenpension im Ausmaß von 40 vH der Bemessungsgrundlage gebühre.

Gegen diesen am 23.Februar 1987 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin innerhalb der im § 67 Abs 2 ASGG genannten Frist von vier Wochen Klage. Darin behauptete sie, sie habe ihren Anspruch auf die erhöhte Witwenrente spätestens drei Monate nach dem 1.April 1985 angemeldet. Die beklagte Partei hätte ihr die erhöhte Witwenrente auch deshalb schon ab 1.April 1985 gewähren müssen, weil ihr bekannt gewesen sei, daß sie seither von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine Berufsunfähigkeitspension beziehe. Die Klägerin begehrte daher, die beklagte Partei zur Gewährung der erhöhten Witwenrente bereits ab 1.April 1985 zu verurteilen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Klägerin die erhöhte Witwenrente erst am 2.Juli 1986 beantragt habe.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 19.Juni 1985 eine Witwenrente von 40 vH der Bemessungsgrundlage zu gewähren und wies das Mehrbegehren, diese erhöhte Leistung auch für die Zeit vom 1.April bis 18.Juni 1985 zuzuerkennen, ab.

Beide fachkundigen Laienrichter des erstgerichtlichen Senates gehörten dem Kreis der Arbeitgeber an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergegangene mündliche Berufungsverhandlung Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren gänzlich abwies. Dem berufungsgerichtlichen Senat gehörte ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer an. Das Berufungsgericht führte dazu aus, daß es sich um keine Streitsache nach § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG handle. Deshalb habe das Erstgericht gegen diese Bestimmung verstoßen, doch sei dieser Verstoß nach § 37 Abs 1 leg cit geheilt, weil die Parteien zur Zeit des Verstoßes durch qualifizierte Personen vertreten gewesen seien. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässig.

Das Berufungsurteil leidet an einer von den Parteien nicht geltend gemachten Nichtigkeit, weil das Berufungsgericht nicht vorschriftmäßig besetzt war.

Die für die jeweilige Rechtsstreitigkeit zuzuziehenden, durch ihre Ladung vom Vorsitzenden bestimmten fachkundigen Laienrichter haben nach § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG vorbehaltlich des Abs 3 zweiter Halbsatz dieser Gesetzesstelle je zur Hälfte dem Kreis der Arbeitgeber und dem der Arbeitnehmer anzugehören. Nach der bezogenen Ausnahmebestimmung haben in Streitsachen nach dem GSVG, dem BSVG, dem FSVG, dem Bundesgesetz über die Gewährung der Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) an Mütter, die in der gewerblichen Wirtschaft oder in der Land- und Forstwirtschaft selbständig erwerbstätig sind, und - wenn der Kläger ein Notar ist - nach dem NVG alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber anzugehören.

Der damals für die Unfallversicherung betreffende Sozialrechtssachen zuständige 9.Senat des Obersten Gerichtshofes hat in der E 4.November 1987 9 Ob S 25/87 eingehend begründet, daß unter den im § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG genannten Streitsachen nach dem GSVG nach der klaren Absicht des Gesetzgebers nicht nur Sozialrechtssachen zu verstehen sind, die sich auf die in diesem Bundesgesetz geregelte Kranken- und Pensionsversicherung beziehen, sondern auch solche Sozialrechtssachen, die sich auf die im ASVG geregelte Unfallversicherung ua aller selbständig Erwerbstätigen, die Mitglieder einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft sind, beziehen.

Der nunmehr für die Unfallversicherung betreffende Sozialrechtssachen zuständige erkennende Senat teilt diese Rechtsmeinung und deren den mehrfachen Veröffentlichungen der zitierten Vorentscheidung (SSV-NF 1/51; ZAS 1988, Judikaturbeilage H 2, 7) zu entnehmende Begründung, der noch folgende Überlegung angefügt sei:

Das im § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG erwähnte Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger (FSVG) regelt nach seinem § 1 - anders als das Bundesgesetz über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (GSVG) - nicht nur die Kranken- und die Pensionsversicherung, sondern auch die Unfallversicherung. Nach § 2 Abs 1 FSVG sind aufgrund dieses Bundesgesetzes, soweit es sich um natürliche Personen handelt, einige Gruppen im Inland freiberuflich selbständig Erwerbstätiger in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert. Nach § 3 Abs 2 leg cit sind auf die Unfallversicherung der nach § 2 in diesem Versicherungszweig pflichtversicherten Personen die gesetzlichen Bestimmungen entsprechend anzuwenden, die für die Unfallversicherung der gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG teilversicherten Personen gelten. Da in Streitsachen nach dem FSVG, aufgrund dessen freiberuflich selbständig Erwerbstätige ua in der Unfallversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert sind, trotz der diesbezüglichen materiellen Verweisung des § 3 Abs 2 FSVG auf die für die Unfallversicherung der gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG teilversicherten Personen geltenden Bestimmungen (des ASVG) unbestritten alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber zuzugehören haben, muß dies kraft Größenschlusses umso mehr in den die Unfallversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen betreffenden Sozialrechtssachen gelten.

Der bei der in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergegangene mündliche Verhandlung erfolgten Entscheidung des Berufungsgerichtes unterlaufene Verstoß gegen § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG kann nicht im Sinne des § 37 Abs 1 ASGG und des § 260 Abs 4 ZPO unberücksichtigt bleiben, sondern bildet den aus Anlaß der zulässigen Revision nach den §§ 513 und 471 Z 7 ZPO auch von Amts wegen wahrzunehmenden, nicht geheilten, im § 477 Abs 1 Z 2 ZPO bezeichneten Nichtigkeitsgrund (Kunderna, ASGG § 37 Erl 4; Feitzinger-Tades, ASGG § 37 Anm 4; die oben zitierten Entscheidungen).

Das angefochtene Urteil war daher nach den §§ 509 Abs 1, 513 und 477 Abs 1 Z 2 ZPO als nichtig aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in einem Senat aufzutragen, in dem alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber angehören (Kuderna aaO; Feitzinger-Tades, ASGG § 37 Anm 10; die oben zitierten Entscheidungen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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