OGH 10ObS49/97x

OGH10ObS49/97x15.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Carl Hennrich und Dr.Peter Wolf (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Peter K*****, vertreten durch Dr.Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1053 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Paul Bachmann, Dr.Eva-Maria Bachmann und Dr.Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Oktober 1996, GZ 10 Rs 302/96x-42, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.Februar 1996, GZ 17 Cgs 186/94f-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 30.3.1940 geborene Kläger schloß das Studium der Allgemeinmedizin ab, in der Folge absolvierte er einen zahnärztlichen Lehrgang mit abschließender Staatsprüfung und übte seit 1967 ausschließlich die Tätigkeit eines Zahnarztes aus, zumindest während der letzten 60 Kalendermonate vor dem Stichtag (1.11.1993) als freipraktizierender Zahnarzt mit eigener Ordination (bestehend aus zwei Behandlungsräumen, einem Wartezimmer und einem Laborraum für technische Arbeiten samt Nebenräumen sowie zwei, zuletzt drei Assistentinnen). Sämtliche zahnärztlichen Tätigkeiten wurden (entsprechend den Bestimmungen des ÄrzteG) ausschließlich vom Kläger selbst verrichtet, wobei die wöchentliche Arbeitszeit inklusive zahntechnischer Arbeiten und Büroarbeit etwa 50 Stunden betrug. Ordinationszeiten waren von Montag bis Dienstag und Donnerstag bis Freitag 8,00 bis 13,00 Uhr und 14,00 bis 18,00 Uhr, am Mittwoch nur von 8,00 bis 13,00 Uhr. Der Kläger hatte eine Praxis mit allen Krankenkassen, behandelte täglich rund 40 bis 50 Patienten nach Terminvergabe 14 Tage bis drei Wochen im vorhinein (sog Bestellpraxis), ausgenommen akute Schmerzpatienten. Allfällige zahntechnische oder Laborarbeiten wurden vom Kläger außerhalb dieser Ordinationszeiten durchgeführt.

Neben dieser Praxis betrieb der Kläger auch einen Handel mit zahnärztlichem Bedarf, wobei jedoch das wirtschaftliche Schwergewicht auf der zahnärztlichen Tätigkeit lag. In der letzten Zeit vor Einstellung des Ordinationsbetriebes kaufte der Kläger nur mehr für seinen eigenen Ordinationsbedarf ein.

Der Kläger hat seine ärztliche Tätigkeit zwischenzeitlich eingestellt. Vom Verwaltungsausschuß des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien wurde ihm ab 1.10.1994 die Invaliditätsversorgung wegen dauernder Berufsunfähigkeit gewährt.

Der Kläger leidet an einem nicht besserungsfähigen Cervikalsyndrom mit typischen Schmerzen im Bereich der Nacken-Schulterregion und Sensibilitätsstörungen im Bereich beider Hände samt depressiver Verstimmung. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen im chirurgisch-orthopädischen Bereich kann er nur mehr leichte und mittelschwere Arbeiten durchführen, wobei Arbeiten, die eine Zwangshaltung der Schulterregion erfordern, dem Kläger nur noch halbzeitig über den ganzen Tag verteilt zugemutet werden können. Der Kläger ist auch nicht in der Lage, Tätigkeiten, die mit der genannten Zwangshaltung verbunden sind, durchgehend über einen halben Arbeitstag in der Dauer von vier Stunden auszuüben, sondern muß dazwischen immer wieder Pausen einlegen.

Mit Bescheid vom 6.7.1994 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Kläges auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 132 GSVG ab. Zwischenzeitlich hat die beklagte Partei jedoch das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 131c GSVG anerkannt und gewährt dem Kläger seit 1.4.1995 einen Vorschuß auf eine vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nach § 131c GSVG.

In seiner Klage stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei beginnend ab Antragstellung zu verpflichten, ihm die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger ab 1.11.1993 die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und wies lediglich das Mehrbegehren für den Zeitraum ab 27.10.1993 (unangefochten und damit rechtskräftig) ab.

Es beurteilte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß der Kläger, der das 50.Lebensjahr überschritten habe, aufgrund des einleitend wiedergegebenen medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage sei, der von ihm zumindest in den letzten 60 Monaten vor dem Stichtag ausgeübten Erwerbstätigkeit als frei praktizierender Zahnarzt weiter nachzugehen. Eine im Rahmen des medizinischen Leistungskalküls (halbzeitig über den ganzen Tag verteilt) liegende Tätigkeit als frei praktizierender Zahnarzt wäre völlig praxisfremd und wirtschaftlich völlig unrentabel. Dem Kläger wäre es durch eine nicht kalkülüberschreitende Tätigkeit nicht möglich, einen Erwerb zu erzielen. Kalkülentsprechende Verweisungstätigkeiten, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse bzw Fähigkeiten voraussetzen wie der Beruf eines Zahnarztes, bestünden nicht. Der Kläger sei daher dauernd erwerbsunfähig im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG, zumal die persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes jedenfalls erforderlich sei. Allerdings gebühre ihm die begehrte Pension erst ab dem Stichtag (im Sinne des § 113 Abs 2 GSVG) und nicht bereits ab dem Antragstag.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und auch dessen rechtliche Beurteilung, wonach der Kläger erwerbsunfähig im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19.Novelle BGBl 1993/336 sei. Die Tätigkeit des Zahnarztes sei aufgrund der Zwangshaltung beim Kläger nach dessen medizinisch bedingtem Leistungskalkül jedenfalls kalkülüberschreitend. Selbst unter Bedachtnahme darauf, daß er seine frühere Tätigkeit über einen halben Arbeitstag in der Dauer von vier Stunden ausüben könne und einer damit einhergehenden Patientenreduktion auf die Hälfte sei nichts gewonnen, weil der Kläger auch bei einer sog Halbzeitauslastung diese Tätigkeiten nur mit Pausen zu verrichten imstande sei, sodaß unter Berücksichtigung von Schmerzpatienten ohne Anmeldung eine Unzumutbarkeit für den Kläger verbunden wäre. Aufgrund des (vom Berufungsgericht in seiner rechtlichen Gestaltung näher untersuchten) Einzelvertrages der Sozialversicherungsträger mit dem Kläger als frei praktizierendem Arzt sei auch eine Übertragung der Tätigkeit an einen anderen Arzt im Vertragsbereich nicht möglich, wobei eine Aufgabe der Kassenordination samt Aufbau einer Privatordination "gar nicht zur Debatte" stehe und wirtschaftlich ebenfalls nicht vertretbar wäre. Eine Delegierung der eigenen ärztlichen Tätigkeit an andere Ärzte scheide daher aus. Was seinen Handel mit zahnärztlichem Bedarf betreffe, so sei dieser Tätigkeitsbereich wirtschaftlich völlig untergeordnet gewesen, sei doch das Schwergewicht stets auf der zahnärztlichen Tätigkeit gelegen und in der letzten Zeit vor Einstellung der Ordination auch nur noch für den eigenen Bedarf eingekauft worden; im übrigen habe die beklagte Partei hiezu keinerlei Vorbringen erstattet, sodaß die erst in der Berufung nachgeschobenen Ausführungen am Neuerungsverbot scheitern müßten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 zulässige und vom Kläger auch beantwortete Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Dies aus folgenden Erwägungen:

1. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 3.Satz ZPO). Die Revision bekämpft hiermit die Wendung des Berufungsgerichtes, es sei unstrittig, daß der Kläger nicht mehr als Zahnarzt arbeiten könne. Dies ist in der Tat unrichtig, zumal diese Frage ja der wesentliche Streitpunkt zwischen den Parteien im gesamten Verfahren war. Eine (nur im Tatsachenbereich mögliche: Kodek in Rechberger, ZPO Rz 4 zu § 503) Aktenwidrigkeit liegt damit jedoch nicht vor. Das Berufungsgericht nahm vielmehr - durch seine gerügte Formulierung, daß dies unstrittig sei - eine rechtliche Beurteilung vorweg, für die jedoch (wie noch aufzuzeigen sein wird) die Feststellungsgrundlage nicht ausreicht.

2. Auch der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 3. Satz ZPO). In Wirklichkeit werden hierin nämlich (ausschließlich) Feststellungsmängel infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung gerügt (Kodek, aaO Rz 5). Der Vorwurf einer inhaltlichen Nichterledigung der Beweisrüge der Berufung muß daran scheitern, daß eine solche (in gesetzmäßiger Ausführung) tatsächlich nicht gegeben war.

3. Den Schwerpunkt des Rechtsmittels bildet dessen Rechtsrüge. Diese läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß das Berufungsgericht einen erheblichen Teil der erstgerichtlichen Feststellungen "falsch verstanden" habe: Der Kläger könne nach wie vor einen ganzen Tag hindurch Patientenarbeit verrichten, müsse allerdings zwischen den einzelnen Patienten immer wieder Pausen einlegen, sodaß lediglich die Gesamtarbeitszeit (über den Tag verteilt) nur vier Stunden betragen dürfe. Nach der Lebenserfahrung bekämen hiebei auch sog Schmerzpatienten im Rahmen einer zahnärztlichen Bestellpraxis einen (wenn auch kurzen) Termin zugewiesen; überdies kämen solche ebenfalls nach der Lebenserfahrung in nur eher unbedeutender Zahl vor, sodaß sie sich auf die zahnärztliche Alltagsarbeit und deren Einteilung nicht wesentlich auswirke. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes sei auch eine Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Klägers auch in Blickrichtung auf eine mögliche Reduktion der Patientenanzahl bei gleichzeitigem Unterbleiben von Vertretungsleistungen durch andere Ärzte unverzichtbar; vom Kläger sei daher eine Umorganisation der Praxis dahingehend, daß er nur mehr in der Hälfte der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit Patientenarbeit verrichte und die andere Hälfte dieser Zeit für die "Erholung und körperliche Lockerung" verwende, zu fordern; da er in den letzten Jahren stets auf Basis von Höchstbeitragsgrundlagen eingestuft gewesen sei, wäre aus wirtschaftlicher Sicht auch bei Reduktion der Patientenarbeit das rentable Führen der zahnärztlichen Praxis möglich, wobei der Kläger auch verpflichtet sei, unter Umständen erhebliche Einschränkungen seines Einkommens in Kauf zu nehmen (etwa durch Kündigung des einen oder anderen Kassenvertrages, Terminvergabe nur mehr an jeden zweiten Patienten).

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof folgendes erwogen:

a) Die beklagte Partei gesteht zu, daß der Anspruch des Klägers für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum ab dem Stichtag 1.11.1993 nach der Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19.Novelle (BGBl 1993/336) - iVm §§ 3, 2 Abs 1 Z 1 FSVG - zu prüfen ist. Als erwerbsunfähig gilt demnach ein Versicherter, der das 50.Lebensjahr vollendet hat (lit a) und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Beriebes notwendig war (lit b), wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwrbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Ein Versicherter, der krankheitsbedingt dauernd außerstande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat, hat nach Vollendung des 55.Lebensjahrs Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nach § 131c Abs 1 Z 3 GSVG (was seitens der beklagten Partei zwischenzeitlich anerkannt worden ist).

Unter der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes ist nach ständiger Rechtsprechung des Senates die ausführende Mitarbeit zu verstehen, die notwendig ist, um wirtschaftlich gesehen den vom Versicherten zuletzt geführten Betrieb rentabel aufrechtzuerhalten (SSV-NF 4/159, 8/114, 9/22, 9/56, 10 ObS 2275/96y, 10 ObS 20/97g uva). Da das Gesetz von der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung und nicht etwa von der tatsächlichen Erbringung derselben spricht, muß rückschauend geprüft werden, ob diese objektiv im Hinblick auf den betreffenden Betrieb auch erforderlich war (SSV-NF 8/114). Dieses Kriterium ist bei einem nicht in einer Ordinationsgemeinschaft (§ 23 ÄrzteG) gemeinsam mit einem oder mehreren anderen freiberuflichen Ärzten, sondern allein praktizierenden Zahnarzt, der nach den Bestimmungen des ÄrzteG (§ 22 Abs 2) auch alle wesentlichen (zahn-)äztlichen Tätigkeiten selbst ("persönlich und unmittelbar") auszuüben hat (und nach den Feststellungen auch stets selbst verrichtet hat), jedenfalls zu bejahen, und wird auch von der beklagten Partei in ihrer Revision nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Ihre Argumentation geht vielmehr - nach unsubstantiierter Pauschalbestreitung der Erfordernisse noch in erster Instanz - nunmehr einzig noch dahin, den bisherigen Ganztagespraxisbetrieb dem medizinischen Leistungskalkül angepaßt auf eine Halbzeitpraxis mit Kassen-/oder Patientenreduzierung samt damit verbundener (unter Umständen sogar erheblicher) Einkommensreduktion umzustellen.

b) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates, daß ein Selbständiger dann, wenn seine Arbeitsleistung zur Führung des Betriebes in der bisherigen Form nicht mehr in der Lage ist, gehalten ist, eine Umstrukturierung vorzunehmen, wenn auf diese Art der Betrieb wirtschaftlich (rentabel) weitergeführt werden kann (SSV-NF 7/110, 8/114, 9/22, 9/56, 10 ObS 2275/96y = infas 1997/S 6 uva). Zu einer solchen Umorganisation gehört unter Umständen auch eine Einschränkung des Umfanges der persönlichen Arbeitsleistung, wenn dies wirtschaftlich vertretbar ist; der Versicherte muß dabei auch eine Einkommenseinbuße in Kauf nehmen (10 ObS 2395/96w, 10 ObS 20/97g). Vom Kläger ist daher ebenfalls grundsätzlich zu verlangen, im Rahmen einer Privatordination weiter als Zahnarzt tätig zu sein, wenn er nicht mehr in der Lage ist, eine Kassenpraxis zu führen; die Ausführungen des Berufungsgerichtes, daß eine solche Tätigkeit als Privatarzt nicht möglich wäre, sind reine Annahmen, für die jede Feststellungsgrundlage fehlt. In diesem Zusammenhang steht nicht einmal fest, daß der Kläger seine Kassenpraxis durch Einschränkung des Patientenstocks nicht so weit einzuschränken in der Lage gewesen wäre, daß er unter Beachtung des medizinischen Leistungskalküls weiter hätte tätig sein können. Weiters steht nicht fest, daß die vierstündige Nettoarbeitszeit, die dem Kläger nach den Feststellungen jedenfalls zumutbar ist, tatsächlich auf acht Stunden zu verteilen ist (was offenbar von beiden Vorinstanzen unterstellt wurde). Fest steht bloß, daß der Kläger an einem Tag nur vier Stunden an Patienten arbeiten kann, dazwischen allerdings Pausen einlegen muß. Wielange diese Pausen sein müssen und welche (Brutto)Arbeitszeit sich daraus insgesamt ergibt, wurde hingegen nicht geprüft (und demgemäß auch nicht festgestellt); diese Frage könnte aber unter Umständen im Zusammenhang mit der notwendigen Arbeitszeit der beschäftigten drei Assistentinnen und der dadurch gegebenen wirtschaftlichen Belastung eine Rolle spielen. Gerade bei einer - wie hier - Bestellpraxis besteht die Möglichkeit, die Termine soweit zu koordinieren, daß das Pausenerfordernis gewahrt wird. Durch entsprechende Pausen zwischen der Behandlung der Patienten könnte dem Rechnung getragen und damit auch die Behandlung von - wie vom Erstgericht releviert (Seite 7 der Entscheidung) - Schmerzpatienten gesichert werden. Der Umstand, daß die Behandlung für jeden Patienten nicht im vorhinein fix geplant werden kann, ist zwar ein allgemeines Problem einer Bestellpraxis; dem kann aber durch eine entsprechend vorsichtige Planung der Termine Rechnung getragen werden. Es entspricht im übrigen der Erfahrung (§ 269 ZPO), daß auch bei Terminvereinbarungen in Zahnarztpraxen Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen.

c) Bei den Ausführungen des Erstgerichtes, daß die Fortsetzung der Tätigkeit des Klägers als frei praktizierender Zahnarzt wirtschaftlich "völlig unrentabel" wäre, handelt es sich um eine rechtliche Beurteilung, für die derzeit eine ausreichende Tatsachengrundlage fehlt. Unter Beachtung der zu b) näher erläuterten Umstände ist es hiefür erforderlich zu erheben, welches Einkommen der Kläger bei Fortsetzung der Praxis in dem durch das Leistungskalkül möglichen Umfang und in dem noch maßgeblichen Zeitraum (1.11.1993 bis 31.3.1995) zu erzielen in der Lage gewesen wäre und welche Kosten damit verbunden gewesen wären. Erst aufgrund solcher Feststellungen kann sodann beurteilt werden, ob die Weiterführung der Praxis wirtschaftlich vertretbar gewesen wäre. Die von der Revision hiezu gerügten Feststellungsmängel liegen damit vor.

d) In diesem Zusammenhang sei - der Vollständigkeit halber - auch noch darauf hingewiesen, daß etwa im derzeit aktuellen Wiener Telefonbuch (so wie auch in den anderen Bundesländern) die Ärzte und unter diesen wiederum die Zahnärzte besonders zusammengefaßt sind. Dabei sind für den Wiener Innenstadtbereich zahlreiche (rund 30 %) Zahnärzte erfaßt, bei denen Ordinationszeiten angeführt sind, welche regelmäßig höchstens vier Stunden pro Tag betragen. Dies bietet zwar keine Grundlage, die geeignet wäre, davon auszugehen, daß Ordinationen in diesem Umfang jedenfalls (insbesondere auch beim Kläger) möglich und wirtschaftlich vertretbar sind, zumal aus diesen Telefonbucheintragungen nicht ersichtlich ist, welche (vereinbarten) Behandlungstermine diese Ärzte allenfalls darüber hinaus wahrnehmen. Da aber schon nach dieser leicht zugänglichen Unterlage etwa 30 % aller Wiener Zahnärzte regelmäßig Ordinationszeiten von höchstens vier Stunden haben - in welchem Umfang auch der Kläger, wenngleich bei Einhaltung von noch zu klärenden Pausenzeiten, tätig sein kann - , kann jedenfalls nicht - wie vom Erstgericht (ohne Feststellungsgrundlage) geschehen und vom Berufungsgericht gebilligt - von vorneherein (gleichsam als notorisch) unterstellt werden, daß die Ausübung einer zahnärztlichen Tätigkeit in diesem (eingeschränkten) Umfang völlig "praxis(lebens)fremd" und unrentabel wäre. Diese Frage wird vielmehr im obigen Sinne zu prüfen sein.

d) Der Kläger hat seine Behauptung, er könne seinen Beruf nicht mehr ausüben, aber auch darauf gestützt, daß die Feinmotorik seiner Hände gestört sei und er daher nicht mehr mit gefährlichen Instrumenten im Mund eines Patienten tätig sein könne (Punkt 2. der Klage). Im Ersturteil findet sich zwar hiezu die Feststellung, daß beim Kläger Sensibilitätsstörungen im Bereich beider Hände bestehen; welche Auswirkungen sich hieraus tatsächlich auf die zahnärztliche Tätigkeit ergeben, kann aus den Feststellungen jedoch nicht abgeleitet werden. Möglicherweise stehen die Sensibilitätsstörungen mit der Zwangshaltung im Zusammenhang, dies ist aber (noch) keineswegs klar. Im Hinblick auf die Bedeutung der Feinmotorik für die zahnärztliche Tätigkeit ist auch hiezu jedenfalls eine eindeutige Klärung erforderlich.

e) Letztlich kommt aber auch dem Umstand Bedeutung zu, daß der Kläger auch einen Handel mit zahnärztlichem Bedarf betrieb. Es wurde wohl festgestellt, daß der Kläger "in der letzten Zeit" tatsächlich nur mehr für den Eigenbedarf einkaufte. Es bleibt aber zu prüfen, wie die Situation während des Beobachtungszeitraumes war. Auf die wirtschaftliche Bedeutung kommt es nicht an, sofern das Gewerbe tatsächlich ausgeübt wurde; sollte der Kläger beide Tätigkeiten ausgeübt haben, so wäre er auch auf den Handel verweisbar (SSV-NF 9/22). Zwar wurde ein Vorbringen hiezu nicht erstattet, doch liegen (überschießende) Tatsachenfeststellungen vor, die zu berücksichtigen sind (§ 87 Abs 1 ASGG). Auch dies wird im zweiten Rechtsgang somit zu beachten sein.

f) Da demnach - zusammenfassend - wesentliche, für die Entscheidung relevante Fragen ungeprüft geblieben sind, ist die Sache noch nicht spruchreif. Um die Sache spruchreif zu machen, bedarf es insoweit einer Verhandlung erster Instanz, weshalb die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.

g) Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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