OGH 10ObS45/21x

OGH10ObS45/21x19.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Krachler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. K*****, vertreten durch Althuber Spornberger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2021, GZ 7 Rs 62/20v‑22, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00045.21X.0519.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war ab 19. 1. 2016 bis zur Erklärung ihres Verzichts auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft mit 31. 7. 2017 als selbständige Rechtsanwältin tätig. In dieser Zeit unterlag sie einer Gruppenkrankenversicherung für Rechtsanwälte.

[2] Die erste Tochter der Klägerin, E*****, wurde am 30. 5. 2017 geboren. Die Klägerin bezog für die erste Tochter von 30. 5. 2017 bis 25. 7. 2017 Wochengeld und in weiterer Folge bis 29. 5. 2018 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens.

[3] Von 28. 5. 2018 bis 16. 7. 2018 war die Klägerin als bei einer GmbH angestellte Juristin unselbständig erwerbstätig.

[4] Ab 17. 7. 2018 bezog die Klägerin Wochengeld für ihr zweites Kind, dessen errechneter Geburtstermin der 11. 9. 2018 war. Am 31. 8. 2017 gebar die Klägerin ihre zweite Tochter, M*****. Der Wochengeldbezug endete am 4. 12. 2018. Ab 5. 12. 2018 bezog die Klägerin Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 33 EUR täglich als „Sonderleistung II“ (gemeint: nach § 24d Abs 2 KBGG).

[5] Mit Bescheid vom 18. 3. 2019 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens aus Anlass der Geburt der zweiten Tochter für den Zeitraum von 31. 8. 2018 bis 30. 8. 2019 mangels Erfüllung der Voraussetzungen der § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG ab.

[6] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens aus Anlass der Geburt ihrer zweiten Tochter in Höhe von 66 EUR täglich für den Zeitraum von 5. 12. 2018 bis 30. 8. 2019 (Hauptbegehren). Sie erfülle die Voraussetzung des § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG, weil sie ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin nur unterbrochen, sich um ihre erste Tochter gekümmert und unmittelbar darauf ihre Erwerbstätigkeit in weiterer Folge unselbständig fortgesetzt habe. Daran ändere der Verzicht der Klägerin auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft nichts. Die Rechtsanwaltsordnung kenne keine der Ruhendmeldung eines Gewerbes vergleichbare Bestimmung. Die Aufrechterhaltung der Berufsbefugnis sei wirtschaftlich nicht leistbar.

[7] Die Beklagte wandte ein, dass die Klägerin das Erwerbstätigkeitserfordernis (§ 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG) im Beobachtungszeitraum von 182 Tagen, der vom 17. 1. 2018 bis 17. 7. 2018 gereicht habe, nicht erfüllt habe. Der Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft sei der Abmeldung eines Gewerbes gleichzuhalten.

[8] Das Erstgericht wies das Klagehauptbegehren ab. Durch ihren Verzicht habe die Klägerin ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin mit 31. 7. 2017 beendet, sodass keine gemäß § 24 Abs 2 KBGG gleichgestellte Unterbrechung dieser Tätigkeit vorgelegen sei.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin in der Hauptsache nicht Folge. Sei – wie hier durch den Verzicht – die Ausübung der Rechtsanwaltschaft beendet worden, könne ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von einer tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Nur eine bestehende Erwerbstätigkeit könne vorübergehend im Sinn des § 24 Abs 2 KBGG unterbrochen werden.

[10] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[11] 1.  Die Klägerin argumentiert, dass es für die Anwendbarkeit von § 24 Abs 2 KBGG nicht auf die Art der Erwerbstätigkeit ankomme. Der Gesetzgeber stelle vielmehr auf die „Versicherungspflicht“, nicht aber darauf ab, ob eine Erwerbstätigkeit selbständig oder unselbständig ausgeübt werde. Nehme daher – wie im vorliegenden Fall – eine bis nach der Geburt ihres ersten Kindes selbständig erwerbstätige Rechtsanwältin unmittelbar im Anschluss an den Bezug von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens eine unselbständige Erwerbstätigkeit auf, so liege darin keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Sinn des § 24 Abs 2 KBGG.

[12] 2.1  Dem steht der Wortlaut des Gesetzes entgegen, sodass die Revision ungeachtet des behaupteten Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht zulässig ist (RS0042656):

[13] 2.2  Unter Erwerbstätigkeit versteht man gemäß § 24 Abs 2 KBGG (idF seit dem FamilienzeitbonusG, BGBl I 2016/53) primär die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit (Satz 1).

[14] 2.3  Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten gemäß § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG ua Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder VKG oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.

[15] Es muss daher jedenfalls eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit bestehen, welche im Zeitraum des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens vorübergehend unterbrochen wird, weil nur eine bestehende Erwerbstätigkeit „vorübergehend unterbrochen“ werden kann. Wird diese Erwerbstätigkeit hingegen beendet, so kann ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von einer tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausgegangen werden (10 ObS 42/13v SSV‑NF 27/29 mwH; jüngst 10 ObS 52/20z).

[16] 2.4  Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass die Voraussetzung für die Gleichstellung des Beschäftigungsverbots und der Karenz nach dem MSchG – also bei Vorliegen eines Dienstverhältnisses das aufrechte Fortbestehen dieses Dienstverhältnisses – bei selbständig Erwerbstätigen nicht gefordert werden kann. Es kommt nach § 24 Abs 2 KBGG vielmehr auch bei selbständig Erwerbstätigen wesentlich darauf an, dass ihre Erwerbstätigkeit „nach gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften“ lediglich vorübergehend unterbrochen ist (10 ObS 44/19x SSV‑NF 33/62 zu § 44 ZÄG).

[17] 3.1  Auch die zweite, von der Revisionswerberin als erheblich bezeichnete Frage, ob im Fall einer Rechtsanwältin eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Sinn des § 24 Abs 2 KBGG vorliegt, wenn sie nach der Geburt ihres (ersten) Kindes auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet und direkt im Anschluss an den Erhalt von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens wieder (unselbständig) erwerbstätig ist, stellt sich nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Verfahrensergebnissen im vorliegenden Fall nicht: Denn die Klägerin hat ihre für die Beurteilung der Unterbrechung maßgebliche selbständige Tätigkeit als Rechtsanwältin mit Erklärung des Verzichts zum 31. 7. 2017 nicht unterbrochen, sondern beendet. Sie hat sie auch nicht wieder aufgenommen, sondern war im Jahr 2018 als Juristin unselbständig erwerbstätig. Auf die weiteren Ausführungen der Klägerin, wonach die Rechtsanwaltsordnung keine Möglichkeit vorsehe, die Anwaltschaft „ruhend“ zu stellen und eine Aufrechterhaltung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte mit hohen Kosten verbunden und wirtschaftlich nicht zumutbar sei (vgl dazu Vanas‑Metzler , Wunschbrief aus der Karenz an die Anwaltschaft, AnwBl 2017, 100) kommt es im konkreten Fall daher nicht an.

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