Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen mit 222,34 EUR (davon 37,06 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Verfahrens erster Instanz, einen mit 242,93 EUR (davon 40,49 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Berufungsverfahrens und einen mit 166,56 EUR (davon 27,76 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).
Der am 8. 11. 1944 geborene Kläger hat als Folgewirkung des Urteils des EuGH vom 23.5.2000, Rs C-104/98 , Buchner ab 1. 6. 2000 Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2001 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt (der Arbeiter) die Höhe dieser Leistung ab 1. 6. 2000 mit monatlich 16.043,20 S (1.165,90 EUR) und ab 1. 1. 2001 mit monatlich 16.171,50 S (1.175,23 EUR) bestimmt. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage mit dem auf Zahlung einer (höheren) vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit unter Anwendung der für Frauen gültigen geringeren Abschläge gemäß § 261 Abs 4 ASVG gerichteten Begehren. Diese Bestimmung knüpfe, was die Berechnung der Pensionshöhe betreffe, an das Regelpensionsalter gemäß § 253 Abs 1 ASVG an, welches für Männer bei 65 und für Frauen bei 60 Jahren liege. Diese Anknüpfung und die daraus resultierende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen sei mit dem unterschiedlichen Regelpensionsalter aber nicht notwendig verbunden und daher gemeinschaftsrechtlich unzulässig. Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Buchner sei die hier strittige Leistung nämlich nicht als Alterspension zu werten, weshalb keine Ausnahmebestimmungen von der Gleichbehandlungspflicht der Männer und Frauen im Sinne der Richtlinie 79/7/EWG (im Folgenden "Richtlinie" oder "RL") zum Tragen kämen. Die Tatsache, dass Frauen die Hauptlast der Kindererziehung tragen, sei für die Pensionsberechnung ohnedies in den §§ 224, 227a ASVG ausreichend berücksichtigt, wonach die Zeiten der Kindererziehung als Versicherungszeiten anzurechnen seien. Die österreichische Rechtslage für die Berechnung der hier strittigen Leistung verstoße damit eindeutig gegen das EU-Recht. Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung unter Hinweis auf § 261 ASVG in der am 1. 6. 2000 noch anwendbaren Fassung. Demnach habe der Kläger (ohne den besonderen Steigerungsbetrag für die Höherversicherung) zum Stichtag 71,167 Steigerungspunkte erworben. Diese seien für je 12 Monate der Inanspruchnahme der Leistung vor dem Regelpensionsalter um 2 Punkte im hier höchstzulässigen Gesamtausmaß von 10 Steigerungspunkten zu vermindern. Die Pensionsleistung des Klägers entspreche daher 61,167 Steigerungspunkten. Der Ausnahmetatbestand des Art 7 der Richtlinie ermögliche es den Mitgliedstaaten, die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Festsetzung des Rentenalters schrittweise abzubauen, ohne das komplexe finanzielle Gleichgewicht des Systems zu erschüttern. Die genannte Ausnahmeregelung umfasse dabei nicht nur die ausdrücklich angeführte Festsetzung des Rentenalters allein, sondern auch solche Bestimmungen, die im Zusammenhang damit eine unterschiedliche Dauer der Beitragsleistung für Männer und Frauen zuließen. Die unterschiedliche Abschlagsregelung des § 261 Abs 4 ASVG widerspreche daher nicht dem Gemeinschaftsrecht.
Das Erstgericht sprach dem Kläger die bescheidmäßig zuerkannte Leistung zu und wies das auf Gewährung einer höheren Pensionsleistung gerichtete Mehrbegehren ab. Es schloss sich der Rechtsansicht des beklagten Versicherungsträgers an. Den Ausnahmetatbeständen nach Art 7 Abs 1 RL sei im Wesentlichen gemeinsam, dass sie "begünstigende" Leistungen für Frauen erhalten wollten. Die Mitgliedstaaten hätten aber die Aufrechterhaltung der diskriminierenden Regelung auf ihre Berechtigung zu überprüfen, wobei ein fester Zeitpunkt für die Abschaffung der Ausnahmetatbestände in der Richtlinie nicht vorgesehen sei. Auch bei der "vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit" sei eine geschlechtsspezifische Festsetzung des Rentenalters grundsätzlich zulässig. Die Richtlinie selbst ziele nur auf eine allmähliche Abschaffung dieser Ausnahme. Im aktuellen Jahresbericht der Europäischen Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechtes finde sich im Kapitel "Gleichbehandlung von Männern und Frauen" keine Erwähnung über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Österreich oder einen anderen Mitgliedstaat im Zusammenhang mit der Ausnahmebestimmung des Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie. Gegen § 261 Abs 4 ASVG bestünden demnach keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken und es bestehe zumindest derzeit zu einer Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes kein Anlass. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge und führte in seiner rechtlichen Beurteilung unter anderem aus:
"Der Kläger verweist - zu Recht - darauf, dass es sich bei der hier zuerkannten Leistung nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Buchner gemeinschaftsrechtlich um keine Altersrente handle, sodass die Grundsätze der vom Erstgericht herangezogenen Entscheidung 10 ObS 334/01, die im Übrigen auf Fragen der Pensionsberechnung gar nicht eingehe, auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden seien. Vielmehr stelle sich hier die Frage, ob nicht die Neufassung des § 261 Abs 4 durch das Bundesgesetz BGBl I 1997/139 eine unzulässige neue Schlechterstellung der Männer bedeuten könnte. Näher dargelegt werden vom Berufungswerber diese gemeinschaftsrechtlichen Bedenken aber nicht. ...
Im hier zu beurteilenden Fall geht es ... nicht um eine ... unmittelbare Diskriminierung, wie sie in § 588 Abs 7 ASVG erfolgte. § 264 ASVG sieht vielmehr eine vollkommen geschlechtsneutrale Regelung vor, die für alle Versicherungsfälle des Alters und der Invalidität in gleicher Weise gilt. Eine (mittelbare) Diskriminierung vermag der Kläger demnach auch nur in einer Art "Momentaufnahme" zu erkennen, indem er die unterschiedlichen Auswirkungen dieser Regelung auf Männer und Frauen mit gleichem Versicherungsverlauf bei Inanspruchnahme einer ganz bestimmten Pensionsleistung zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt herausgreift.
Genauso wie der Berufungswerber hier für Männer, welche die (zwischenzeitig nicht mehr dem Rechtsbestand angehörende) vorzeitige Alterspension bei geminderter Arbeitsfähigkeit früher schon nach Vollendung des 55. Lebensjahres erlangen konnten, im Ergebnis zutreffend Nachteile sieht, sind diese beispielsweise bei Eintritt der Invalidität vor Vollendung des 55. Lebensjahres in keiner Weise zu erkennen: Die Invaliditätspension ist hier für Frauen und Männer, die jeweils eine Verminderung ihrer Leistung um 10 Steigerungspunkte hinnehmen müssen, bei gleichem Versicherungsverlauf auch gleich hoch. Nimmt ein Mann hingegen die normale Alterspension nach § 253 ASVG in Anspruch, wird er in aller Regel im Vergleich zu einer Frau, die dieselbe Leistung ebenfalls mit dem für sie geltenden Regelpensionsalter erhält, eine höhere Pension erlangen, da er bis zu seinem Pensionsantritt noch zusätzliche Beitragszeiten erwirbt. Dazu vertritt der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der in seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften ein unterschiedliches Rentenalter für männliche und weibliche Arbeitnehmer aufrechterhalten hat, berechtigt ist, die Höhe der Rente je nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers verschieden zu berechnen. Die Festsetzung des Rentenalters bestimmt tatsächlich den Zeitraum, währenddessen die Betroffenen Beiträge zur Rentenversicherung entrichten können. Wenn ein unterschiedliches Rentenalter aufrechterhalten worden ist, ist auch eine unterschiedliche Art der Berechnung der Rente notwendig und objektiv mit diesem Unterschied verbunden und fällt somit unter die in der genannten Bestimmung vorgesehene Ausnahme (Urteil vom 30.4.1998, Rs C-377/96 bis C-384/96 , De Vriendt ua mwN; ebenso 22.10.1998, Rs C-154/96 , Wolfs).
Das am Stichtag 1.6.2000 anzuwendende gesetzliche Regelwerk für die Berechnung der Pensionshöhe führt in vielen Fällen zu keinem Unterschied in der Leistungshöhe, in anderen Fällen aber auch zu unterschiedlichen Leistungen, wobei die Höhe um maximal 10 Prozentpunkte (Steigerungspunkte) differieren kann. Während bei einem verhältnismäßig frühen Eintritt des Versicherungsfalles - und damit noch in entsprechend weiter Entfernung vom Regelpensionsalter - keine Unterschiede in der Pensionshöhe feststellbar sind, kommen diese mit zunehmender Nähe des Versicherungsfalles zum Regelpensionsalter immer stärker zum Tragen:
Während etwa der Kläger, der zum Stichtag 55 Jahre und 6 Monate alt war und die vorzeitige Alterspension demnach 9 ½ Jahre vor dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in Anspruch genommen hat, den Verlust von 10 Steigerungspunkten hinzunehmen hat, verliert eine Frau mit gleichem Versicherungsverlauf, die dieselbe Pension zum selben Zeitpunkt, aber nur 4 ½ Jahre vor dem für sie geltenden Regelpensionsalter beansprucht, immerhin noch 9 Steigerungspunkte (die Pension beträgt bei dieser Berechnung 16.304 S brutto im Vergleich zu der dem Kläger bescheidmäßig zuerkannten Leistung von 16.043,20 S brutto). Diese Differenz erhöht sich dann allerdings, je näher der tatsächliche Pensionsantritt des Mannes beim Regelpensionsalter der Frau liegt: Wenn daher bei einem Mann der Versicherungsfall mit 59 Jahren und 6 Monaten eintritt, verliert er nach wie vor 10 Steigerungspunkte, während im vergleichbaren Fall eine Frau nur mehr einen Steigerungspunkt verliert. Erst bei einem Pensionsantritt nach Vollendung des 60. Lebensjahres nimmt dann auch der Abschlag bei Männern mit jedem halben Jahr um einen Punkt ab, bis mit der Erreichung des (höheren) Regelpensionsalters gar kein Abschlag mehr vorgenommen wird. Tendenziell erzielen daher Männer, je länger sie sich im Erwerbsleben halten können, höhere Pensionen als Frauen, denen die zwischen dem
60. und 65. Lebensjahr erworbenen Beitragszeiten naturgemäß fehlen. Während dieser höhere Leistungsbezug der Männer, wie oben aufgezeigt wurde, nach der Judikatur des EuGH nicht mit dem Gemeinschaftsrecht in Widerspruch steht, will der Kläger für jene Übergangsphase, in der die Männer im Verhältnis zu einer weiblichen Versicherten noch eine geringere Leistung erhalten, einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot der Richtlinie erkennen. Dies erscheint weder auf den ersten Blick nachvollziehbar, da hier nur die Vorzeichen umgekehrt und das andere Geschlecht von einer geringeren Pensionshöhe betroffen ist, noch bei näherer Prüfung:
Bei der Bestimmung des § 261 ASVG handelt es sich um ein bewegliches System, das zu unterschiedlichen Stichtagen auch unterschiedliche Ergebnisse in die eine oder in die andere Richtung bewirken kann, das aber jedenfalls bei Eintritt des Versicherungsfalles vor dem 55. Lebensjahr zu völlig gleichen Leistungen und darüber hinaus wohl auch in Summe zu keinen sachfremden Ergebnissen führt, wenngleich es in Abhängigkeit vom unterschiedlichen Regelpensionsalter auch zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die Pensionshöhe kommt. Insoweit besteht auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsalter und der unterschiedlichen Pensionshöhe ... (zu der hier bejahten Kohärenz zwischen dem Regelpensionsalter und der Pensionshöhe vgl insbes EuGH 30.1.1997, Rs C-139/95 Balestra, RN 40ff). Überdies erfolgt durch § 261 ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung keine direkte Diskriminierung der Männer, sondern geht es hier nur um Fälle indirekter Diskriminierung des einen oder des anderen Geschlechtes. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied in der gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung der in Frage stehenden Bestimmungen.
Auf das von der Beklagten weiters ins Treffen geführte Argument, wonach der österreichische Gesetzgeber mit der unterschiedlichen Festsetzung des Regelpensionsalters eine Reihe von gesellschaftlichen und sozialen Nachteilen der Frauen ausgleichen und nicht allein dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass die Frauen die Hauptlast der Kindererziehung zu tragen hatten, kommt es damit nicht mehr entscheidend an. Es genügt vielmehr an dieser Stelle der bloße Hinweis auf die nach wie vor eklatanten Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen innerhalb der einzelnen Berufszweige. Auch wenn die Anrechnung von Versicherungszeiten nunmehr einen gewissen Ausgleich für die Kindererziehung schafft, tragen die Frauen in der Praxis nach wie vor die Hauptlast der Pflege- und Erziehungsarbeit; sie sind daher nicht nur von den damit verbundenen besonderen Belastungen, sondern auch von nicht unerheblichen Nachteilen im praktischen Erwerbsleben, insbesondere in Bezug auf die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten betroffen, sodass der nationale Gesetzgeber nach wie vor die Ziele einer besonderen Frauenförderung verfolgt. Insgesamt weisen Frauen außerdem immer noch im Durchschnitt einen schlechteren Versicherungsverlauf auf und erzielen damit auch geringere Pensionseinkommen. Zu bedenken ist schließlich noch, dass die Regelung des § 261 ASVG der Höhe nach gedeckelt ist und keine abrupten Pensionsunterschiede offenbart, sondern als Einschleifregelung konzipiert ist.
In diesem Licht kann das Aufrechterhalten einer derartigen (geschlechtsneutralen) Regelung, die nur die unmittelbare Konsequenz eines - zeitlich begrenzten - unterschiedlichen Rentenalters zwischen Männern und Frauen ist, mit dem Gemeinschaftsrecht nicht in Widerspruch stehen, solange die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in regelmäßigen Abständen die Ausnahmetatbestände unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung auf ihre Berechtigung zu überprüfen, ohne dass dazu derzeit nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, aber auch nach dem aktuellen Kommissionsbericht ein Handlungsbedarf besteht. Das Berufungsgericht verwirft damit nicht nur die verfassungsrechtlichen Bedenken des Berufungswerbers, sondern sieht auch keinen Anlass für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens (RIS-Justiz RS0115904; zuletzt OGH 19.3.2002, 10 ObS 49/02g). Auch darauf hat das Erstgericht schon zutreffend hingewiesen."
Gegen dieses Urteil richte sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Entscheidung ist zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Der österreichische Gesetzgeber hat im Gefolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 6. 12. 1990, G 223/88 ua (VfSlg 12.568 = DRdA 1991/49 = ZAS 1992/8, Tomandl), mit dem die unterschiedlichen Altersgrenzen für Männer und Frauen bei der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer (§ 253b ASVG) wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz aufgehoben worden waren, die Zulässigkeit unterschiedlicher Altersgrenzen für Männer und Frauen im Verfassungsrang festgeschrieben. Gemäß § 1 des BVG über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl 1992/832 (im Folgenden: BVG-Altersgrenzen), sind gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, zulässig. Nach § 2 dieses Bundesverfassungsgesetzes ist - beginnend mit 1. 1. 2019 - für weibliche Versicherte die Altersgrenze für die vorzeitige Alterspension jährlich bis 2028 mit 1. 1. um sechs Monate zu erhöhen. Nach § 3 ist - beginnend mit 1. 1. 2024 - für weibliche Versicherte die Altersgrenze für die Alterspension bis 2033 mit 1. 1. jährlich um sechs Monate zu erhöhen.
Mit der Verabschiedung des BVG-Altersgrenzen sollte die bestehende Privilegierung weiblicher Versicherter beim Pensionsantritt so lange aufrecht erhalten werden, wie die gesellschaftliche, familiäre und ökonomische Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt dies erforderte. Der Normgeber beabsichtigte somit eine Angleichung des Pensionsantrittsalters erst in jenem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem gegenwärtig noch vorhandene Schlechterstellungen von Frauen im Arbeitsleben als beseitigt angesehen werden können. Dieses Ziel soll bis zum Jahr 2018 verwirklicht sein (Wolfsgruber, Pensionsanfallsalter und Europarecht, RdW 2001/687, 675 ff [677] mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien).
Seit dem Beitritt Österreichs zum EWR (mit 1. 1. 1994) und zur Europäischen Gemeinschaft (mit 1. 1. 1995) ist auch der gemeinschaftsrechtliche Kontext zu beachten, insbesondere die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl 1979 L 6, 24). Art 4 RL verbietet jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere bei der Berechnung der Leistungen. Nach Art 7 Abs 1 lit a steht die Richtlinie nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen (demgegenüber ist eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Antrittsalters bei Pensionsformen wie der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit unzulässig; insoweit sind die Rechtsausführungen des Erstgerichts unzutreffend).
Die zeitlich begrenzt zulässige Aufrechterhaltung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalters kann auch nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der RL den Erlass von Maßnahmen, die untrennbar mit dieser Ausnahmeregelung verbunden sind, sowie die Änderung derartiger Maßnahmen erforderlich machen (vgl Urteil des EuGH vom 23. 5. 2000 in der Rechtssache C-104/98 , Buchner, Slg 2000 I-3625 Tz 23 mwN). Der Ausnahme in Art 7 Abs 1 lit a RL würde nämlich ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn ein Mitgliedstaat, der für Männer und Frauen ein unterschiedliches Renten(Pensions)alter festgesetzt hat, nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine damit zusammenhängenden Maßnahmen erlassen oder ändern dürfte (vgl EuGH-Urteil Buchner Tz 24 mwN). Setzt ein Mitgliedstaat unter Berufung auf Art 7 Abs 1 lit a RL für die Gewährung der Alters- und Ruhestandsrente für Männer und Frauen ein unterschiedliches Alter fest, so ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH der mit der Wendung "etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen" in Art 7 Abs 1 lit a RL definierte Anwendungsbereich der zugelassenen Ausnahme auf solche in anderen Leistungssystemen bestehenden Diskriminierungen beschränkt, die notwendig und objektiv mit dieser unterschiedlichen Altersgrenze verbunden sind (vgl Urteil Buchner Tz 25 mwN). Ob dies der Fall ist hat das nationale Gericht zu beurteilen (vgl Urteil vom 30. 3. 1993 in der Rs C-328/91 , Thomas ua, Slg 1993 I-1247 Tz 13). In der Entscheidung Buchner (Tz 32) hat der EuGH dargelegt, dass zwischen dem Mindestalter für den Bezug der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit (vergleichbar der gegenständlichen Pensionsleistung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit) und dem gesetzlichen Rentenalter kein direkter Zusammenhang besteht, da das Mindestalter für die Entstehung des Anspruchs auf die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit für Frauen auf 55 Jahre, dh 5 Jahre vor dem gesetzlichen Pensionsalter, für Männer dagegen auf 57 Jahre, dh 8 Jahre vor dem gesetzlichen Pensionsalter, festgesetzt wurde.
Demgegenüber knüpft die Bestimmung des § 261 Abs 4 ASVG in der Fassung des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 1999, BGBl I 2000/2, für die Berechnung der Pensionshöhe an das "Regelpensionsalter" gemäß § 253 Abs 1 ASVG an, das für Männer bei 65 und für Frauen bei 60 liegt. Sie schreibt vor, dass bei Inanspruchnahme einer Leistung vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters die ermittelte Summe der Steigerungspunkte zu vermindern ist. Das Ausmaß der Verminderung beträgt für je 12 Monate der früheren Inanspruchnahme 2 Steigerungspunkte. Das Höchstausmaß der Verminderung beträgt 15 % der ermittelten Summe der Steigerungspunkte, höchstens jedoch 10 Steigerungspunkte.
Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 261 ASVG mit der gemeinschafts- und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Festsetzung eines geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Antrittsalters für die Alterspension in Zusammenhang stehend zu sehen ist. Ziel der Regelung ist es, dass für Männer und Frauen bei Inanspruchnahme einer Leistung vor dem Monatsersten nach Erreichen des Regelpensionsalters die Leistung - ohne Unterschied der Geschlechter - in Relation zum Ausmaß einer Pensionsleistung steht, die bei Inanspruchnahme nach Erreichen des Regelpensionsalters gebührt. Die Beibehaltung des unterschiedlichen Pensionsalters impliziert daher eine unterschiedliche Berechnung der Höhe der hier gegenständlichen Pensionsleistung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Die unterschiedliche Berechnung der Höhe dieser Pensionsleistung ist eine notwendig an die Festsetzung des Pensionsalters geknüpfte Konsequenz.
Dies hat bereits das Berufungsgericht ausführlich und zutreffend dargestellt. § 261 Abs 4 ASVG widerspricht daher nicht der RL 79/7/EWG .
Aber auch die vom Revisionswerber angedeuteten verfassungsrechtlichen Bedenken wegen Verletzung eines Bauprinzips der Verfassung werden vom Senat nicht geteilt. Es ist richtig, dass der Verfassungsgesetzgeber immer wieder Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes dadurch "unterlaufen" hat, dass er vom VfGH aufgehobene Gesetze als Verfassungsgesetze wieder in Kraft setzte oder die Gesetzesaufhebung in ähnlicher Weise unwirksam machte (Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 Rz 146; Mayer, Bundes-Verfassungsrecht3 Art 44 II. 3.). Diese verständlicherweise der rechtspolitischen Kritik ausgesetzte Verfassungsgesetzgebung ist verfassungsrechtlich nur dann unzulässig, wenn dadurch ein Baugesetz der Verfassung verletzt wird (VfSlg 15.373). Eine solche Verletzung wird von einem Teil der Lehre wegen Verletzung des rechtsstaatlichen und des gewaltenteilenden Grundprinzips behauptet (Walter/Mayer aaO mwN; zuletzt etwa Hiesel, Von der Verfassungsunkultur zur verfassungswidrigen Verfassungsgesetzgebung? AnwBl 2001, 306 [308 f]). Freilich muss dem "einfachen" Verfassungsgesetzgeber im Licht des demokratischen Grundprinzips bei einer harmonisierenden Auslegung auch in diesem Bereich ein gewisser Gestaltungsspielraum zugebilligt werden. Im Hinblick auch darauf, dass die Gesetzesprüfungskompetenz des VfGH (nur) zu einer speziellen und eingegrenzten Problematik ausgeschaltet, das rechtsstaatliche Prinzip aber nicht in breitem und unbestimmtem Ausmaß beeinträchtigt wird, erscheint dem Senat der Gestaltungsspielraum des einfachen Verfassungsgesetzgebers nicht überschritten.
Damit ist der Revision des Klägers ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Wegen der (insbesondere gemeinschafts-)rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen klagenden Partei die Hälfte der Kosten ihres Vertreters - ohne 50 %ige Erhöhung - zuzusprechen (SSV-NF 2/29 ua).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)