Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der am 26. 5. 1951 geborene Kläger hat den Beruf eines Gas- und Wasserleitungsinstallateurs erlernt und in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag auch überwiegend ausgeübt. Diese Tätigkeit kann der Kläger unter Berücksichtigung seines körperlichen Leidenszustandes nicht mehr ausüben. Ihm sind nämlich nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten bei normaler Arbeitszeit unter Einhaltung der üblichen Arbeitspausen zumutbar. Arbeiten auf hohen Leitern (mit mehr als fünf Sprossen) und Gerüsten sowie Arbeiten in vorwiegend gebückter Körperhaltung (Zwangshaltung) sind ausgeschlossen.
Der Kläger bezog von der beklagten Partei im Zeitraum 1. 9. 1996 bis 31. 5. 1998 eine befristete Invaliditätspension. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 1. 7. 1998 wurde sein Antrag auf Weitergewährung der Invaliditätspension abgelehnt.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren ab, wobei es in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis gelangte, dass der Kläger ausgehend vom Berufsschutz als Installateur im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG noch die artverwandten Tätigkeiten eines Wassermanns im Gemeindebereich und eines Lageristen in einem Installationsunternehmen verrichten könne.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge. Es erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. 6. 1998 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß und bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung eine vorläufige Zahlung von monatlich S 8.000 zu gewähren. Wegen Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nahm das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung zur Frage der Verweisbarkeit des Klägers durch Einholung eines weiteren berufskundlichen Sachverständigengutachtens vor und gelangte im Tatsächlichen - wie bereits das Erstgericht - zu dem Ergebnis, dass für den Kläger der Installateurberuf in sämtlichen hauptberuflichen Einsatzbereichen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen mehrfacher Kalkülsüberschreitung ausscheide. Einen Beruf mit der Berufsbezeichnung "Wassermann" gebe es auf dem allgemeinen (aktuellen) Arbeitsmarkt nicht. Es seien aber grundsätzlich Arbeitsplätze für "Wassermeister" in größeren Städten und für "Wasserwarter" in kleineren Gemeinden in ausreichender Anzahl am Arbeitsmarkt vorhanden, wobei das Berufungsgericht den Tätigkeitsbereich sowie das Anforderungsprofil dieser beiden Tätigkeiten näher feststellte. Zum Verweisungsberuf des Lageristen (Kommissionierers) stellte das Berufungsgericht fest, dass diese Arbeitnehmer im Sanitärgroßhandel als kaufmännische Angestellte (Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte) beschäftigt seien. Sie stellten Sanitärwaren je nach Bestellwunsch für die gewerbliche Weiterverwendung (im Regelfall Installateurbetriebe) zusammen, fertigten Lieferscheine aus, überprüften Bestellscheine, führten einfache Abrechnungsarbeiten durch und sorgten für die ordnungsgemäße Lagerbuchhaltung sowie für die rechtzeitige Nachbestellung von Sanitär- und Installationswaren. Es handle sich dabei um Arbeiten mit leichter, häufig mittelschwerer und zumindest gelegentlich schwerer körperlicher Belastung im Rahmen des Hantierens der schweren Lagerware. Die Arbeiten werden häufig in gebückter, jedoch nicht in vorwiegend gebeugter - Arbeitshaltung durchgeführt. Das Besteigen von Hochleitern könne zumindest nicht ausgeschlossen werden.
Zur Verweisungstätigkeit eines Kunden- oder Verkaufsberaters in Sanitär-Großmärkten stellte das Berufungsgericht fest, dass diese Arbeitnehmer den Kunden (zumeist Privatkunden) bei Bedarf beim Auffinden der gewünschten Verkaufsware Hilfestellungen gäben. Sie gäben weiters Produktinformationen, erteilten Auskünfte über die zur Verfügung stehenden Warenwerte, bestellten Waren nach und sorgten für den Materialnachschub. Sie hätten Kunden auf Wunsch (insbesondere bei schweren Waren) beim Hantieren (mitunter auch beim Einladen in das Fahrzeug des Kunden) mit der Verkaufsware behilflich zu sein, sofern keine Lagerarbeiter zur Verfügung stünden. Die "Fachberatung" beschränke sich zumeist auf Produktnamen auf der Grundlage eines Produkt- bzw Fachkatalogs. Zunehmend würden die nachgefragten Informationen über einen PC abgerufen. Der Kundenberater sei auch für die ordnungsgemäße Regalisierung der Sanitätswaren in seinem Verkaufsbereich verantwortlich.
Die wichtigste Aufnahmevoraussetzung für den Beruf des "Installateur-Kundenberaters" in Sanitär-Großmärkten sei die persönliche Eignung für Kundenberatung (Kundenkontakt), Kommunikations- und Kontaktfähigkeit, wobei gerade diese Aufnahmevoraussetzungen häufig bei jahrzehntelang handwerklich tätig gewesenen Installateuren nicht vorhanden seien. Wenn eine abgeschlossene Berufsausbildung verlangt werde, handle es sich dabei um eine kaufmännische Berufsausbildung als Einzel- und Großhandelskaufmann/frau. Die berufliche Einschulung erfolge innerbetrieblich und dauere insgesamt ca drei bis vier Monate (auf jeden Fall unter sechs Monate) und baue keinesfalls auf einen erlernten Installateurberuf auf. Die kollektivvertragliche Einstufung erfolge üblicherweise in die Beschäftigungsgruppe 2 (kaufmännische Hilfskräfte) des Kollektivvertrages für Handelsangestellte bei Neuanstellung. Grundsätzlich seien gelernte, persönlich geeignete Arbeitskräfte (Verkäufer, Handwerker) und speziell Fachverkäufer oder Fachhandwerker (im Falle der Verkaufssparte Sanitär: Installateure oder Fliesenleger) willkommen. Der Slogan "Fachkräfte beraten Sie" könne "marketingmäßig" gut verkauft werden. Zu einer auch nur halbwegs substantiellen Verwertung des Berufsqualifikationsprofiles eines gelernten Installateurs komme es im Rahmen der Beschäftigung als Kundenberater in Sanitärgroßmärkten jedoch nicht. Dies treffe auch auf die anderen "Kundenberaterberufe" zB in Baumärkten zu, was aufgrund missverständlicher berufskundig-fachlicher Ausführungen in erstinstanzlichen Entscheidungen zu objektiv überprüfbaren falschen Schlussfolgerungen in den vom beigezogenen berufskundlichen Sachverständigen durchstudierten Instanzen-Entscheidungen geführt habe. Für geeignete ungelernte und vor allem für kaufmännisch ausgebildete Stellenbewerber reiche insgesamt eine drei- bis viermonatige innerbetriebliche Einschulung für das Erwerben der erforderlichen Fachqualifikation aus und es erübrige sich somit eine detaillierte Analyse hinsichtlich substantieller Verwertung des Berufsqualifikationsprofiles des gelernten Installateurs. Arbeitsmarktrealistisch erspare sich der persönlich geeignete Installateur infolge seiner Material-, Werkzeug- und handwerklichen Kenntnisse ca ein Monat von der für kaufmännisch ausgebildete oder ungelernte, persönlich geeignete Personen vorgeschriebenen Einschulungs- bzw Ausbildungszeit. Die innerbetriebliche Einschulung umfasse hauptsächlich kaufmännische Kenntnisse sowie Produktkenntnisse, den Umgang mit der hauseigenen EDV-Anlage sowie Lagerhaltungs- und Preisgestaltungsinformationen.
Darüber hinaus komme es für den Kläger bei der Ausübung des Berufes Kundenberater in Sanitärgroßmärkten zur Überschreitung des vorliegenden medizinischen Leistungskalküls, indem Arbeiten mit leichter bis fallweise mittelschwerer körperlicher Belastung und gelegentlich (kurzzeitig) vermengt mit schweren körperlichen Belastungen (speziell Tragebelastungen über 15 bis 20 kg beim Hantieren mit diversen Sanitärwaren) verlangt werden und die Arbeiten auch häufig in gebückter Arbeitshaltung durchgeführt werden.
Schließlich stellte das Berufungsgericht noch fest, dass es sich bei den Lehrberufen "Gas- und Wasserleitungsinstallateur" und "Schlosser" um zwei eigenständige und unterschiedliche Lehrberufe handle.
Daraus folgerte das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht, dass es keinen Verweisungsberuf gebe, den der Kläger unter Aufrechterhaltung seines Berufsschutzes ausüben könne. Der Kläger sei daher als invalid im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG anzusehen.
In der auf den Rechtsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revision beantragt die beklagte Partei die Abänderung der bekämpften Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die beklagte Partei vertritt in ihren Revisionsausführungen unter Hinweis auf die beiden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 10 ObS 2339/96k und 10 ObS 369/97f zusammengefasst die Ansicht, dass der Kläger als gelernter Gas- und Wasserleitungsinstallateur auf die Tätigkeit eines Fachberaters (Verkaufsberaters) für den Installationsbedarf in Groß- und Baumärkten verweisbar sei.
Diesen Ausführungen kommt im Sinne der beschlossenen Aufhebung Berechtigung zu.
Die Frage, auf welche Berufstätigkeiten ein Versicherter verwiesen werden darf, ist eine Rechtsfrage, die nicht vom Sachverständigen für Berufskunde, sondern allein von den Gerichten zu entscheiden ist. Aufgabe des Sachverständigen für Berufskunde ist es bloß, eine Aussage darüber zu machen, welche Leistungsanforderungen an die einzelnen Berufstätigkeiten gestellt werden (SSV-NF 12/120; 10 ObS 193/88 ua; RIS-Justiz RS0043194).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates, dass in vielen Fällen gelernte Handwerker auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers in der jeweiligen Branche verwiesen werden können. So hat der Senat etwa die grundsätzliche Verweisbarkeit eines Tischlers auf Wohn- und Verkaufsberater in Einrichtungshäusern (SSV-NF 10/58; 10 ObS 76/98v; 10 ObS 258/98h), eines Maurers auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers (SSV-NF 12/25; 10 ObS 158/00h), eines Malers und Anstreichers auf den Beruf eines Fachberaters in einem Baumarkt (10 ObS 90/00h), eines Karosseurs auf die Tätigkeit eines Kundendienstberaters (SSV-NF 8/84) oder einer Fotolaborantin auf die Tätigkeit einer Kundenberaterin in Fotofachgeschäften (10 ObS 417/98s), aber insbesondere auch die Verweisbarkeit eines gelernten Installateurs auf die Tätigkeit eines Fachberaters (Verkaufsberaters) für den Installationsbedarf in Groß- und Baumärkten (10 ObS 2339/96k; 10 ObS 369/97f) ausdrücklich bejaht. Begründet wurde diese Rechtsauffassung vor allem damit, dass die handwerkliche Ausbildung und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium des Verweisungsberufes bilden und diese qualifizierten Facharbeiter als Kunden- und Verkaufsberater in Groß- und Baumärkten auch tatsächlich Verwendung finden. Daher handle es sich bei diesem Verweisungsberuf um eine qualifizierte Teiltätigkeit des jeweiligen Lehrberufes. Der Wechsel eines qualifizierten Facharbeiters in eine Angestelltentätigkeit führe zu keinem Verlust des Berufsschutzes, wenn eine entsprechende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf bestehe.
Diese Nahebeziehung des erlernten und ausgeübten Berufes zu dem genannten Verweisungsberuf ist aber auch im vorliegenden Fall gegeben. So werden nach den Feststellungen als Kunden- und Verkaufsberater in Groß- und Baumärkten insbesondere gelernte Handwerker (im Falle der Verkaufssparte Sanitär: Installateur oder Fliesenleger) eingesetzt, wobei auch gegenüber den Kunden mit der Ankündigung geworben wird, dass sie durch Fachkräfte beraten werden. Gerade aufgrund dieser Ankündigung darf aber von den Kunden erwartet werden, dass sie nicht nur von im Rahmen einer kurzfristigen Produkteinschulung informierten Mitarbeitern, sondern von Fachkräften beraten und betreut werden, die ihnen aufgrund der handwerklichen Ausbildung bei Bedarf auch darüber hinausgehende Auskünfte und Ratschläge für ihre Tätigkeit als Heimwerker erteilen können. Insofern sind daher auch die praktischen und theoretischen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Installateurs insbesondere für seine Beratungstätigkeit für Heimwerker von wesentlicher Bedeutung. Die vom Berufungsgericht aufgrund eines berufskundlichen Gutachtens getroffenen Feststellungen bieten für den erkennenden Senat keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen (vgl insbesondere die beiden in der Revision zitierten Entscheidungen 10 ObS 2339/96k und 10 ObS 369/97f) abzugehen. Dass auch die Notwendigkeit einer betriebsinternen Einschulung eines qualifizierten Facharbeiters in die Tätigkeit als Fachmarktberater kein Verweisungshindernis darstellt, wurde ebenfalls bereits mehrfach ausgesprochen (vgl SSV-NF 12/25; 10 ObS 417/98s ua).
Dennoch ist die Sache nicht im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles spruchreif, weil mangels eindeutiger Feststellungen noch nicht verlässlich beurteilt werden kann, ob der Kläger die in Betracht kommende Verweisungstätigkeit eines Fachberaters (Verkaufsberaters) für den Installationsbedarf in Groß- und Baumärkten aufgrund seines eingeschränkten Leistungskalküls noch verrichten kann. Es wird insbesondere näher zu klären sein, ob der im medizinischen Leistungskalkül enthaltene Ausschluss von Arbeiten in vorwiegend gebückter Körperhaltung einer Verweisung auf die genannte Tätigkeit entgegensteht, bei der nach den Feststellungen Arbeiten häufig in gebückter Arbeitshaltung durchgeführt werden müssen. Erörterungsbedürftig ist auch die Frage, ob die mit der Verweisungstätigkeit verbundene Hebe- und Tragebelastung mit dem insoweit nicht näher präzisierten ("leichte bis mittelschwere Arbeiten") medizinischen Leistungskalkül des Klägers vereinbar ist. Schließlich wurde auch die Zahl der auf dem österreichischen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze in Groß- und Baumärkten, an denen der Einsatz von Installateuren als Fachberater in Frage kommt, nicht festgestellt. Es wurde zwar in dem der Entscheidung 10 ObS 369/97f zugrundeliegenden Verfahren erhoben, dass in Österreich für die genannte Verweisungstätigkeit insgesamt weit mehr als 100 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Solange aber eine Tatsache nicht aufgrund einer Mehrzahl gleichartiger Entscheidungen offenkundig ist, muss sie in jedem Verfahren von den Tatsacheninstanzen geprüft und neuerlich festgestellt werden, wobei Vorentscheidungen nur im Rahmen der Würdigung von Beweisen zum Tragen kommen können (SSV-NF 7/88 mwN ua). Irgendwelche persönlichkeitsbedingte Einschränkungen, welche die Verweisungsmöglichkeit im Zusammenhang mit Kundenverkehr betreffen könnten, wurden hingegen weder vorgebracht noch ergeben sich solche aus dem Akteninhalt, insbesondere dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen.
Da somit für die abschließende Beurteilung wesentliche Fragen bisher ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens in diesen Punkten aufzuheben.
Eine Kostenentscheidung hatte zu unterbleiben, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.
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