European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00031.21P.0330.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin bezog aus Anlass der Geburt ihres Kindes am 3. 1. 2018 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 29. 3. 2018 bis 31. 10. 2018 in Höhe von 39,88 EUR pro Tag. Die Klägerin führte sämtliche, insbesondere auch die 7. bis 10. Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen, innerhalb der vorgesehenen Fristen durch.
[2] Sie sendete am 18. 3. 2019 ein Telefax, beinhaltend die verlangten Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen 7 bis 10 an die von der Wiener Gebietskrankenkasse angegebene Nummer. In der Telefaxsendung war ein kurzes Schreiben der Klägerin vom 17. 3. 2019 enthalten, in dem sie darauf hinwies, dass sie im Anhang Kopien der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen übermittle. Die Klägerin verwendete ein Telefaxgerät an ihrem Arbeitsplatz, von dem aus sie regelmäßig Telefaxe versendet, wobei die Sendeberichte stets dasselbe Erscheinungsbild aufweisen. Für sie bestand kein erkennbarer Grund, von der Fehlerhaftigkeit der Telefaxsendung auszugehen.
[3] Die Wiener Gebietskrankenkasse erhielt jedoch ein Telefax bestehend aus ausschließlich leeren Seiten.
[4] Mit Bescheid vom 13. 8. 2019 sprach die Wiener Gebietskrankenkasse aus, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens um 1.300 EUR verringere und forderte die Rückzahlung dieses Betrags. Die Klägerin habe die vorgeschriebenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht vollständig nachgewiesen.
[5] Das Erstgericht stellte fest, dass der Rückersatzanspruch der Beklagten nicht zu Recht bestehe.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Klägerin habe keine Veranlassung gehabt, von einer Fehlerhaftigkeit der Telefaxsendung auszugehen, insbesondere habe auch der Sendebericht auf „ok“ gelautet. Die Klägerin habe ein funktionierendes Telefaxgerät verwendet und die richtige Nummer angewählt. Sie habe den Umstand, dass die Untersuchungsbestätigungen nicht bei der Beklagten eingelangt seien, daher nicht zu vertreten.
[7] In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die beklagte Österreichische Gesundheitskasse keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Rechtliche Beurteilung
[8] 1.1 Ist wie im vorliegenden Fall der rechtzeitige Nachweis bestimmter Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen unterblieben, so besteht gemäß § 24c Abs 2 Z 1 KBGG trotzdem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn dies aus Gründen geschieht, die nicht von den Eltern zu vertreten sind.
[9] 1.2 Ausschlaggebend ist, dass die Gründe, die den Nachweis verhindern, vom beziehenden Elternteil nicht zu vertreten sind und diesem kein rechtlich relevanter Vorwurf im Sinne des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG gemacht werden kann (10 ObS 122/20v). Die Frage, ob der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil den nicht rechtzeitigen Nachweis einer Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung zu vertreten hat, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0130213 [T2]). Eine die Revision dennoch rechtfertigende Unvertretbarkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts zeigt die Beklagte nicht auf:
[10] 2.1 Schriftliche Anbringen können der Behörde gemäß § 13 Abs 2 AVG (hier iVm § 25a KBGG und § 360b ASVG) in jeder technisch möglichen Form, daher auch mit Telefax übermittelt werden (Hengstschläger/Leeb, AVG [Stand: 1. 1. 2014, rdb.at] § 13 AVG Rz 9). In Übereinstimmung mit dieser Rechtslage enthält auch das Informationsblatt zu den Leistungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes, auf das sich die Beklagte im Verfahren bezogen hat, keinen Hinweis darauf, dass der gesetzlich vorgesehene Nachweis über die Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht mit Telefax erfolgen dürfte. Schon vor diesem Hintergrund kommt dem Argument der Beklagten, der Nachweis dürfe nur „persönlich, postalisch, online per elektronischer Signatur/Finanz Online“ erbracht worden, keine Berechtigung zu (vgl auch jüngst 10 ObS 2/21y; 10 ObS 140/20s).
[11] 2.2 Richtig ist, dass ein Anbringen nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nach § 13 Abs 1 AVG nur dann als eingebracht anzusehen ist, wenn es der Behörde tatsächlich zugekommen ist (zB VwGH 2012/05/0180; 2008/03/0077 ua), wovon sich die Partei – etwa bei Übertragung durch Telefax – zu vergewissern hat (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 13 AVG Rz 33 mwH). Dafür reicht ein Sendebericht mit dem Vermerk „ok“ nicht aus, weil er nicht zwingend den Schluss erlaubt, dass eine Schriftsatzkopie den Adressaten tatsächlich erreicht hat (VwGH 2009/05/0118; 2008/03/0077).
[12] 2.3 Darauf kommt es aber hier nicht an, weil ausschließlich zu prüfen ist, ob der Klägerin unter den konkreten Umständen ein rechtlich relevanter Vorwurf zu machen ist, dass sie sich nicht vergewissert hat, ob ihre Eingabe tatsächlich bei der Wiener Gebietskrankenkasse eingelangt ist.
[13] Die Klägerin hat – nach dem insofern übereinstimmenden Vorbringen beider Parteien – innerhalb weniger Tage auf ein Erinnerungsschreiben der Beklagten vom 11. 3. 2018 mit der Telefaxsendung vom 18. 3. 2018 reagiert. Sie hat daher entgegen den Ausführungen der Beklagten in der außerordentlichen Revision nicht die Verpflichtung zur Erbringung des Nachweises übersehen.
[14] Die Klägerin hat zur Übermittlung des Telefaxes eine von der Wiener Gebietskrankenkasse ihr bekanntgegebene Nummer korrekt verwendet. Sie hat ein Faxgerät an ihrem Arbeitsplatz für die Übermittlung verwendet, das sie regelmäßig bedient und das sie auch im vorliegenden Fall korrekt bedient hat: Die Behauptung der Beklagten in der außerordentlichen Revision, dass die Klägerin die Seiten verkehrt in das Faxgerät eingelegt hätte, findet in den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichts keine Grundlage. Die Klägerin hat den Sendebericht geprüft: er war mit dem Vermerk „ok“ versehen und hatte dasselbe Erscheinungsbild wie alle Sendeberichte, die die Klägerin von diesem Gerät erhielt. Mit ihrer – wiederum von den Feststellungen abweichenden – Behauptung, die „bloße Übermittlung von neun leeren Seiten als Resultat einer unrichtigen Bedienung des Faxgeräts“ reiche nicht für die Annahme des Nachsichtsgrundes des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG aus, zeigt die Beklagte im konkreten Fall keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf.
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